daß dies eine undankbare Aufgabe sei und ein Duell dabei nicht in Frage komme, daß man vielmehr alles mögliche tun müsse, um diesen Titularrat zu besänftigen und die Sache damit aus der Welt zu schaffen. Der Regimentskommandeur hatte Wronski gerade deshalb zu sich bestellt, weil er ihn für einen vornehm denkenden, verständigen Menschen hielt, namentlich aber für einen Mann, dem die Ehre des Regiments am Herzen lag. Sie hatten nun die Sache miteinander durchgesprochen und waren zu dem Ergebnis gelangt, Petrizki und Kedrow sollten sich mit Wronski zu diesem Titularrat begeben und ihn um Entschuldigung bitten. Der Regimentskommandeur und Wronski waren beide der Ansicht, daß Wronskis Name und das Abzeichen des Flügeladjutanten auf seinen Achselstücken zur Besänftigung des Titularrates erheblich mitwirken würden. Und tatsächlich hatten sich diese beiden Mittel teilweise wirksam gezeigt; aber der Erfolg des Vermittlungsversuchs war doch noch einigermaßen zweifelhaft geblieben, wie das Wronski auch seiner Cousine erzählt hatte.
Als Wronski im Französischen Theater angelangt war, zogen der Regimentskommandeur und er sich in das Foyer zurück, und Wronski berichtete seinem Chef über seinen Erfolg oder Mißerfolg. Nachdem der Regimentskommandeur alles hin und her erwogen hatte, kam er zu dem Entschlusse, gegen die Schuldigen nicht weiter vorzugehen; aber dann fragte er des Spaßes halber Wronski über die Einzelheiten seiner Verhandlungen aus und mußte lange Zeit immer von neuem loslachen, als er Wronski erzählen hörte, wie der Titularrat, nachdem er sich schon einigermaßen beruhigt hatte, bei der Erinnerung an die näheren Umstände des Vorfalles immer wieder in Hitze geraten sei und wie er, Wronski, als die letzten Redewendungen halbwegs nach Versöhnung geklungen hatten, ausweichend sich schleunigst zurückgezogen und dabei Petrizki vor sich hergestoßen habe.
»Eine greuliche Geschichte, aber höchst komisch. Kedrow kann sich doch mit diesem Herrn nicht schlagen! Also er ist furchtbar erbost gewesen?« fragte er lachend. »Aber wie sich heute die Claire macht! Prächtig!« bemerkte er mit Bezug auf eine neue französische Schauspielerin. »Und wenn man sie noch so oft sieht, jedesmal ist sie eine andere. So etwas bringen doch nur die Franzosen fertig.«
Fußnoten
1 (frz.) viel Glück.
6
Die Fürstin Betsy fuhr, ohne das Ende des letzten Aktes abzuwarten, aus dem Theater weg. Kaum hatte sie Zeit gehabt, in ihr Toilettenzimmer zu gehen, ihr langes, blasses Gesicht zu pudern, den Puder abzuwischen, sich zurechtzumachen und den Tee in den großen Salon zu bestellen, als auch schon ein Wagen nach dem anderen an ihrem gewaltigen Hause an der Bolschaja-Morskaja-Straße vorfuhr. Die Gäste stiegen auf der breiten Anfahrt aus, und der wohlbeleibte Pförtner, der vormittags zur Erbauung der Vorübergehenden hinter der Glastür meist seine Zeitung las, öffnete geräuschlos diese mächtige Tür und ließ die Ankommenden an sich vorüberwandeln.
Fast zu gleicher Zeit traten durch die eine Tür die Hausfrau mit aufgefrischter Frisur und aufgefrischtem Gesicht und durch eine andere die Gäste in den großen Salon mit den dunklen Wänden, den schwellenden Teppichen und dem hell erleuchteten Tische, auf dem das schneeweiße Tischtuch, der silberne Samowar und das durchscheinende porzellanene Teegeschirr im Scheine zahlreicher Kerzen glänzten.
Die Hausfrau setzte sich hinter den Samowar und legte die Handschuhe ab. Die Gesellschaft rückte sich mit Hilfe der kaum wahrnehmbaren Diener Stühle zurecht und nahm Platz, wobei sie sich in zwei Gruppen schied: die eine um den Samowar und die Wirtin, die andere am entgegengesetzten Ende des Salons um die schöne Gattin eines Gesandten, mit schwarzen, scharf gezeichneten Augenbrauen, in schwarzem Samtkleide. Das Gespräch schwankte, wie das immer in den ersten Minuten zu gehen pflegt, zunächst in beiden Kreisen unsicher hin und her, fortwährend unterbrochen durch das Hinzukommen neuer Gäste, durch Begrüßungen, durch das Anbieten des Tees, und suchte gleichsam nach einem Stoffe, bei dem es verweilen könnte.
»Sie ist als Schauspielerin außerordentlich tüchtig; man sieht, daß sie Kaulbach studiert hat«, bemerkte ein Diplomat in der Gruppe um die Gattin des Gesandten. »Haben Sie wohl bemerkt, wie künstlerisch sie hinfiel?«
»Ach, bitte, wir wollen doch nicht von der Nilsson sprechen! Über die etwas Neues zu sagen, ist ja ein Ding der Unmöglichkeit!« unterbrach ihn eine beleibte Dame mit rotem Gesicht und blondem Haar, ohne Augenbrauen und ohne Chignon, in einem alten seidenen Kleide. Dies war die Fürstin Mjachkaja, die wegen der Naturwüchsigkeit und Derbheit ihres Benehmens berüchtigt war und daher das enfant terrible genannt wurde. Die Fürstin Mjachkaja saß in der Mitte zwischen beiden Gruppen, hörte nach beiden Seiten hin zu und beteiligte sich bald hier, bald dort an der Unterhaltung. »Mir haben heute schon drei Personen dieselbe Redensart über Kaulbach gesagt, gerade wie wenn sie sich verabredet hätten. Und sie schienen, ich weiß nicht, warum, an dieser Redensart ein ganz besonderes Wohlgefallen zu finden.«
Das Gespräch war durch diese Bemerkung gestört worden, und man mußte auf ein neues Thema sinnen.
»Erzählen Sie uns etwas Ergötzliches, aber nichts Boshaftes!« sagte die Frau des Gesandten, eine Meisterin in derjenigen Art der vornehmen Unterhaltung, die man im Englischen small talk1 nennt. Sie wendete sich mit dieser Aufforderung an den Diplomaten, der ebenfalls nicht wußte, was er zur Sprache bringen solle.
»Man sagt, das sei außerordentlich schwer; nur das Boshafte sei komisch«, begann er lächelnd. »Aber ich will es versuchen. Geben Sie mir ein Thema! Es kommt alles auf das Thema an. Ist das Thema einmal gegeben, so kann man sich leicht darüber ergehen. Ich denke oft, daß die berühmten Plauderer des vorigen Jahrhunderts jetzt ihre Not hätten, etwas Neues, Verständiges zu sagen. Alles Verständige ist schon bis zum Überdruß abgenutzt.«
»Das ist auch schon längst gesagt worden«, unterbrach ihn lachend die Frau des Gesandten.
Das Gespräch hatte so harmlos begonnen; aber ebendeshalb, weil es allzu harmlos war, stockte es wieder. Man mußte zu dem sichersten, nie versagenden Mittel seine Zuflucht nehmen: zum Lästern.
»Finden Sie nicht auch, daß Tuschkewitsch etwas an sich hat, was an Louis XV. erinnert?« fragte der Diplomat und deutete mit den Augen auf einen hübschen, blonden jungen Mann, der am Tische stand.
»O ja! Er verrät denselben Stil wie dieser Salon; darum verkehrt er hier auch so viel.«
Dieser Gesprächsstoff behauptete sich eine Weile, weil in derartigen Andeutungen gerade über einen Punkt gesprochen wurde, über den man in diesem Salon nicht hätte reden dürfen, nämlich über Tuschkewitschs Beziehungen zur Frau vom Hause.
In der Gruppe, die den Samowar und die Frau vom Hause umgab, hatte unterdessen das Gespräch gleichfalls zwischen den drei unvermeidlichen Stoffen gewechselt: dem letzten Ereignis, das sich in den vornehmen Kreisen begeben hatte, dem Theater und dem Bekritteln des lieben Nächsten, und auch da blieb es, nachdem es zu dem letztgenannten Thema gelangt war, bei diesem stehen, nämlich bei der Verlästerung.
»Haben Sie schon gehört, die Maltischtschewa – wohlgemerkt: nicht die Tochter, sondern die Mutter – läßt sich ein Kostüm diable rose anfertigen!«
»Nicht möglich! Nein, das ist ja ausgezeichnet!«
»Ich muß mich nur wundern, daß sie mit ihrem Verstande – denn dumm ist sie ja nicht – nicht einsieht, wie lächerlich sie sich macht.«
Ein jeder hatte etwas zur Verdammung und Verspottung der unglücklichen Frau Maltischtschewa beizusteuern, und das Gespräch kam in munteres Prasseln und Knattern wie ein in Brand gesetzter Holzstoß.
Der Gatte der Fürstin Betsy, ein gutmütiger, dicker Herr, leidenschaftlicher Sammler von Kupferstichen, hatte gehört, daß seine Frau Gäste hatte, und kam nun in den Salon, bevor er in seinen Klub fuhr. Unhörbar trat er auf dem weichen Teppich zu der Fürstin Mjachkaja heran.
»Nun, wie hat Ihnen die Nilsson gefallen?« fragte er.
»Ach, wie kann man sich nur so heranschleichen! Wie haben Sie mich erschreckt!« antwortete sie. »Bitte, reden