Schönheit gefiel und er alle ihre übrigen Eigenschaften sehr hoch schätzte, so hatte sie doch keinen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht. Hierüber, da es ihm den Vorwurf der Gefühllosigkeit, oder wenigstens Geschmacklosigkeit zuzuziehen scheint, wollen wir nunmehr suchen, eine Erklärung zu geben.
Die Wahrheit also ist: sein Herz gehörte schon einem andern Frauenzimmer. Hier, zweifle ich nicht, wird der Leser erstaunen, daß wir über diese Sache so lange verschlossenen Mund gehalten haben, und wird nicht wenig in Verlegenheit sein, zu erraten, was für ein Frauenzimmer das sei, weil uns bisher noch nicht das mindeste Wort von einem solchen entfallen ist, das nur wahrscheinlicherweise Sophiens Nebenbuhlerin sein konnte; denn was Madame Blifil betrifft, ob wir gleich genötigt gewesen sind, eines Verdachtes zu erwähnen, als ob sie unsern Tom sehr gerne leiden möge: so haben wir doch bis diese Stunde noch nicht den geringsten Grund zu der Mutmaßung gegeben, daß er eine Neigung zu ihr hätte; und in der That, mit Leidwesen muß ich es sagen; aber die Jugend, beiderlei Geschlechts, ist nun einmal so! – Sie läßt es gar zu leicht an der Dankbarkeit ermangeln, wenn Personen, die etwas höher an Jahren sind als sie, die Güte haben, sie mit einer gewissen vorzüglichen Achtung zu beehren.
Damit der Leser nicht länger in Ungewißheit bleiben möge, wird er die Güte haben, sich zu erinnern, daß wir oft der Familie des Wildmeisters, Jakob Seegrim, gemeiniglich der schwarze Jakob genannt, erwähnt haben, welche gegenwärtig aus einer Frau und fünf Kindern bestand.
Das zweite von diesen Kindern war eine Tochter, die Maria, oder nach einer gewöhnlichen Umänderung, Molly hieß und für eins von den hübschesten Mädchen in der ganzen Gegend gehalten wurde.
Congreve sagt sehr wahr, in der wahren Schönheit liegt etwas, das gemeine Seelen nicht bewundern können; so kann auch weder Schmutz noch Lumpen dieses Etwas vor solchen Seelen verbergen, welche nicht von gemeinem Schlage sind.
Die Schönheit dieses Mädchens machte indessen auf Tom nicht eher Eindruck, als bis sie gegen ihr sechzehntes Jahr ging, da Tom, welcher fast drei Jahre älter war, zuerst begann einen Blick der Liebe auf sie fallen zu lassen, und diese Liebe hatte er lange zuvor schon auf das Mädchen geheftet, ehe er es von sich erhalten konnte, einen Versuch auf den Besitz ihrer Person zu thun: denn, ob ihn sein Blut zwar hierzu gar mächtig reizte, so hielten ihn doch seine Gundsätze davon eben so mächtig zurück. Ein junges Frauenzimmer verführen, so gering ihr Stand auch war, schien ihm ein schwarzes Verbrechen; und die Gewogenheit, die er für den Vater, und das Mitleiden, welches er mit seiner Familie hatte, kamen solchen enthaltsamen Betrachtungen sehr stark zu Hilfe; so daß er einstens beschloß, seine Neigung gänzlich zu unterdrücken, und sich wirklich drei ganze Monate enthielt, nur einmal nach Seegrims Hause zu gehen oder seine Tochter zu sehen.
Ob nun gleich Molly, wie gesagt, durchgängig für ein hübsches Mädchen gehalten wurde und es auch in der That war, so war doch ihre Schönheit eben nicht von der sanftesten Gattung. Sie hatte wirklich sehr wenig Weibliches und hätte einem Manne ebensogut angestanden als einem Frauenzimmer; denn, die Wahrheit zu sagen, so hatte Jugend und blühende Gesundheit einen wichtigen Anteil an der Komposition ihrer körperlichen Schönheit; auch ihr Gemüt war eben nicht viel weiblicher als ihre Person. So wie diese groß und derb war, so war jenes dreist und kühn; so wenig besaß sie von der weiblichen Schamhaftigkeit, daß Jones mehr Achtung für ihre Tugend hatte als sie selbst, und da sie wahrscheinlicherweise den Tom eben so gerne leiden mochte als er sie, so ward sie, nach eben dem Verhältnis, wie sie seine Blödigkeit wahrnahm, dreist und vorlaut; und als sie sah, daß er ganz und gar das Haus vermied, so fand sie Mittel, sich ihm in den Weg zu stellen, und betrug sich auf eine solche Art, daß der Jüngling entweder sehr viel oder auch sehr wenig von einem Helden hätte an sich haben müssen, wenn ihr Vorhaben nicht gelungen wäre. Mit einem Wort, sie siegte bald über unsres Tom Jones tugendhafte Entschließung. Denn, ob sie schon zuletzt sich mit allen anständigen Weigerungen betrug, so will ich doch den Sieg lieber ihr zuschreiben, weil es in der That ihr Plan war, der zur Ausführung kam. Bei dieser Ausführung spielte indessen Molly ihre Rolle so gut, daß Tom Jones die Eroberung ganz allein sich selbst zuschrieb und das junge Mädchen für eine Person ansah, die sich den heftigen Anfällen seiner Leidenschaft ergeben hätte. Ebenso auch setzte er ihre Ergebung auf Rechnung der unwiderstehlichen Stärke ihrer Liebe zu ihm; und dies wird der Leser für eine sehr natürliche und wahrscheinliche Voraussetzung halten, da wir schon mehr als einmal der ungemeinen Anmut seiner Person gedacht haben; denn er war wirklich einer der schönsten Jünglinge von der Welt.
Wie es einige Gemüter gibt, welche gleich dem jungen Herrn Blifil ihre Neigung auf eine einzige Person heften, deren Nutzen und Behaglichkeit sie einzig und allein bei jeder Gelegenheit in Betrachtung ziehen; die, in Absicht aller übrigen, Gutes und Böses für ziemlich gleichgültig halten, insoferne es keinen Bezug auf den Vorteil oder das Vergnügen jener Person hat: so gibt es eine andere verschiedene Gemütsart, welche einen gewissen Grad der Tugend von der Eigenliebe fast entlehnt. Ein solches Gemüt kann niemals eine Art von Gefälligkeit von einem andern Menschen erhalten, ohne das Geschöpf zu lieben, dem es diese Gefälligkeit zu verdanken hat, und ohne dessen Wohlsein zu einem notwendigen Bedürfnis für seine eigene Gemütsruhe zu machen.
Von dieser letztern Gattung war unser Held. Er betrachtete dies arme Mädchen als eine Person, deren Glückseligkeit oder Elend er von sich abhängig gemacht hätte. Ihre Schönheit war noch immer ein Gegenstand seiner Begierden, obgleich größere Schönheit oder ein frischerer Gegenstand es noch mehr gewesen sein möchten. Aber die kleine Erkältung, welche der Genuß wie einen Wirtel in dieses Gewölbe geschlagen hatte, ward durch die Rücksicht auf die Anhänglichkeit, womit sie ihm ergeben war, und durch die Lage, in die er sie versetzt hatte, mehr als aufgewogen. Die erste, ihre Anhänglichkeit nämlich, erzeugte Dankbarkeit und die letzte Mitleiden; und beide zusammen mit dem Begehren nach ihrer Person erregten in ihm eine Leidenschaft, die man, ohne dem Worte eben große Gewalt zu thun, jetzt wohl Liebe nennen konnte; wenn auch das Wort vorher nicht so eigentlich hätte gebraucht werden können.
Dies war demnach die wahre Ursache jener Unempfindlichkeit, die er gegen Sophiens Reize hatte blicken lassen, und des Betragens von ihrer Seite, welches man wohl nicht unbilligerweise als eine Aufmunterung, mit seinem Liebesantrage herauszugehen, hätte auslegen dürfen. Denn da es ihm nicht einfallen konnte, seine arme hilflose Molly zu verlassen, so konnte er auch nicht den Gedanken fassen, ein solches Geschöpf, wie Sophie, zu hintergehen. Und wahrhaftig, hätte er das geringste gethan, bei diesem jungen Frauenzimmer eine Leidenschaft für sich zu erregen, so wäre er platterdings eines oder des andern jener Verbrechen schuldig gewesen, wovon ihn eines schon in sehr gerechter Weise demjenigen Schicksal unterworfen hätte, das ihm, wie ich bei seiner ersten Einführung in diese Geschichte erwähnte, unfehlbar als sein gewisses Lebensende prophezeit worden war.
Siebentes Kapitel.
Ist das kürzeste in diesem Buche.
Die Mutter war die erste, welche die Veränderung im Wuchse der Molly wahrnahm, und um solche vor ihren Nachbarn zu verbergen, kleidete sie ihre Tochter unbesonnenerweise in den Schlenter, den Sophie ihr geschickt hatte; obgleich das Fräulein auf Meilen weit nicht daran gedacht hatte, das arme Weib würde schwach genug sein, ihn einer von ihren Töchtern in derselben Gestalt zum Tragen zu geben.
Molly war vor Freuden außer sich über die erste Gelegenheit, die sie jemals gehabt hatte, ihre Schönheit in vorteilhaftem Anputze zu zeigen. Denn, ob sie es gleich recht gut aushalten konnte, sich in ihrem Spiegel zu beschauen, als sie noch völlig in Lumpen einherging, und ob sie gleich in solcher Kleidung die Eroberung von Toms Herzen und vielleicht von noch einigen mehr gemacht hatte, so dachte sie doch, der Zusatz von besserem Putz würde ihre Reize erhöhen und ihre Eroberungen ausdehnen.
Molly also, nachdem sie sich mit diesem Schlenter, mit einer neuen Spitzenhaube und anderm Putzwerke, das ihr Tom geschenkt, bestens in Staat gesetzt hatte, wandelte mit einem Fächer in der Hand den ersten besten Sonntag den Weg zur Kirche. Die Vornehmen und Großen täuschen sich, wenn sie glauben, Hoffart und Eitelkeit sei ihr ausschließliches Eigentum. Diese edlen Eigenschaften blühen ebenso frisch und lustig in Dorfkirchen und auf deren Kirchhöfen, als in den Putzzimmern und Assembleesälen. In den Dreßkammern der Dorfkirchen sind oft solche Projekte gemacht worden, deren sich ein Kardinalskonklave schwerlich