Лев Толстой

Krieg und Frieden


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Zimmer.« Mit diesen Worten nahm sie ihrem Bruder Nikolai das Tintenfaß weg.

      »Gleich, gleich!« rief er und tauchte schnell noch einmal ein.

      »Ihr benehmt euch doch fortwährend unschicklich«, schalt Wjera weiter. »Vorhin kamt ihr in den Salon in einer Weise hereingestürmt, daß wir alle uns für euch schämen mußten.« Obwohl oder gerade weil das, was sie sagte, durchaus richtig war, antwortete ihr niemand, und alle vier wechselten nur untereinander Blicke. Wjera, das Tintenfaß in der Hand haltend, zögerte noch, das Zimmer zu verlassen.

      »Und wie könnt ihr denn in eurem Lebensalter Heimlichkeiten miteinander haben, Natascha mit Boris, und ihr beiden andern? Immer nur Dummheiten!«

      »Sollst du dich denn darum kümmern, Wjera?« erwiderte als Verteidigerin der vier Getadelten Natascha mit leiser, sanfter Stimme. Sie schien heute gegen alle Menschen noch gutmütiger und freundlicher gesinnt zu sein, als sie sonst schon immer war.

      »Ein dummes Benehmen ist das!« sagte Wjera. »Ich schäme mich für euch. Was sind das für Heimlichkeiten?«

      »Jeder hat seine besonderen Heimlichkeiten. Wir machen dir ja auch keine Vorwürfe wegen deines Herrn Berg«, versetzte Natascha, die nun hitzig wurde.

      »Das will ich meinen, daß ihr das nicht tut und nicht tun könnt«, erwiderte Wjera. »In meinem Verhalten wird nie jemand etwas Ungehöriges finden können. Aber ich werde Mama erzählen, wie du mit Boris umgehst.«

      »Natalja Iljinischna geht mit mir sehr gut und freundlich um«, bemerkte Boris. »Ich kann mich nicht beklagen.«

      »Reden Sie nicht so, Boris«, sagte Natascha, »Sie sind ja ein arger Diplomat« (dem Wort »Diplomat« hatten die Kinder eine besondere Bedeutung beigelegt und gebrauchten es in dieser Bedeutung sehr häufig). »Das ist ja unerträglich«, fuhr sie fort, und ihre Stimme zitterte im Gefühl der erlittenen Kränkung. »Warum fängt sie immer mit mir an?«

      »Du wirst dafür nie ein Verständnis haben«, sprach sie, zu Wjera gewendet, weiter, »weil du nie jemand geliebt hast; du hast kein Herz; du bist nur eine Madame de Genlis«1 (diesen Spitznamen, der als eine schwere Beleidigung betrachtet wurde, hatte Nikolai seiner Schwester Wjera beigelegt), »und für dich ist es das größte Vergnügen, anderen Menschen Unannehmlichkeiten zu bereiten. Aber du, du darfst natürlich mit Herrn Berg kokettieren, soviel du Lust hast!« Sie hatte schnell und hastig gesprochen.

      »Jedenfalls werde ich nicht vor den Augen fremder Gäste einem jungen Mann nachlaufen ...«

      »Na, nun hat sie erreicht, was sie wollte!« griff jetzt Nikolai in das Gespräch ein. »Sie hat uns allen Kränkendes gesagt und uns allen die Laune verdorben. Kommt, wir wollen in das Kinderzimmer gehen!« Wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm erhoben sich alle vier und verließen das Zimmer.

      »Ihr habt mir Kränkendes gesagt, ich niemandem«, entgegnete Wjera.

      »Madame de Genlis! Madame de Genlis!« riefen lachende Stimmen noch von der andern Seite der Tür zurück.

      Die schöne Wjera, durch deren Reden sich alle so unangenehm berührt und gereizt fühlten, lächelte; anscheinend ohne daß das, was ihr gesagt worden war, irgendeinen Eindruck auf sie gemacht hätte, trat sie an den Spiegel und brachte ihre Schärpe und ihre Frisur in Ordnung; während sie ihr schönes Gesicht betrachtete, schien sie immer kühler und ruhiger zu werden.

      Im Salon nahm das begonnene Gespräch seinen Fortgang.

      »Ach ja, meine Teuere«, sagte die Gräfin, »auch in meinem Leben ist nicht alles voller Rosen. Ich kann nicht blind dagegen sein, daß bei dem ganzen Zuschnitt unseres Lebens unser Vermögen nicht mehr lange vorhalten wird! Und das Schlimmste dabei ist der Klub und meines Mannes Gutherzigkeit. Selbst wenn wir auf dem Land wohnen, führen wir kein stilles, ruhiges Leben: da finden Theateraufführungen und Jagden und Gott weiß was alles statt. Aber wozu sprechen wir von mir? Wie hast denn du eigentlich deine ganzen Angelegenheiten zurechtgebracht? Ich bewundere dich oft, liebe Anna, wie du bei deinen Jahren so ganz allein weite Strecken im Reisewagen auf der Landstraße hin und her jagst, wie du bald nach Moskau, bald nach Petersburg fährst, zu allen Ministern, zu allen vornehmen Leuten gehst und alle zu behandeln verstehst; ich bewundere dich! Nun, wie hat sich denn alles einrichten lassen? Siehst du, ich, ich verstehe mich auf all solche Dinge nicht.«

      »Ach, liebes Herz«, antwortete die Fürstin Anna Michailowna, »Gott wolle verhüten, daß du je erfährst, wie schwer es ist, als Witwe ohne Stütze zurückzubleiben und für einen heißgeliebten Sohn sorgen zu müssen. Aber man lernt schließlich alles«, fuhr sie mit einem gewissen Stolz fort. »Mein Prozeß hat mich in mancher Hinsicht klug gemacht. Wenn ich eins dieser großen Tiere notwendig sprechen muß, so schreibe ich ihm ein Billett: ›Die Fürstin Soundso wünsche Herrn Soundso zu sprechen‹ und fahre persönlich in einer gewöhnlichen Droschke nötigenfalls zweimal, dreimal, viermal zu ihm hin, bis ich erreicht habe, was ich brauche. Was so einer dann von mir denkt, ist mir ganz gleichgültig.«

      »Nun, wen hast du denn für deinen Boris um seine Verwendung gebeten?« fragte die Gräfin. »Dein Sohn ist ja jetzt schon Gardeoffizier, und unser Nikolai tritt erst als Junker ein. Er hat keinen hohen Fürsprecher. An wen hast du dich denn gewendet?«

      »An den Fürsten Wasili. Er war überaus freundlich und sofort zu allem bereit; er hat die Sache dem Kaiser vorgetragen«, berichtete die Fürstin Anna Michailowna ganz entzückt; all die Demütigungen, denen sie sich hatte unterziehen müssen, um ihr Ziel zu erreichen, vergaß sie dabei vollständig.

      »Der sieht wohl auch schon recht alt aus, der Fürst Wasili?« fragte die Gräfin. »Ich habe ihn, seit wir bei Rumjanzews zusammen Theater spielten, nicht mehr wiedergesehen. Ich denke mir, er hat mich vergessen. Er machte mir damals die Cour.« Die Gräfin lächelte bei dieser Erinnerung.

      »Er ist immer noch derselbe«, antwortete Anna Michailowna. »In Liebenswürdigkeiten und Gefälligkeiten kann er sich gar nicht genugtun. Seine hohe Stellung hat in seinem Wesen keine Veränderung herbeigeführt. ›Es tut mir leid, daß ich nur so wenig für Sie tun kann, liebe Fürstin‹, sagte er zu mir; ›aber verfügen Sie ganz über mich.‹ Wirklich, er ist ein prächtiger Mensch, ein außerordentlich guter Verwandter. Aber du kennst meine Liebe zu meinem Sohn, Natalja. Ich weiß nichts, was mir zu schwer wäre, um sein Glück zu fördern. Aber meine pekuniären Verhältnisse sind so schlecht«, fuhr Anna Michailowna mit trauriger Miene und leiser Stimme fort, »so schlecht, daß ich mich jetzt in der allerschrecklichsten Lage befinde. Mein unseliger Prozeß frißt alles auf und kommt nicht vom Fleck. Kannst du dir das vorstellen: ich habe manchmal nicht zehn Kopeken in meinem Besitz und weiß jetzt nicht, wie ich die Equipierung meines Boris bezahlen soll.« Sie nahm das Taschentuch heraus und fing an zu weinen. »Ich brauche fünfhundert Rubel und besitze gerade noch einen einzigen Fünfundzwanzigrubelschein. Ich bin in einer solchen Lage, daß ... Meine einzige Hoffnung beruht jetzt auf dem Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow. Wenn der sich nicht geneigt zeigt, sein Patenkind zu unterstützen (er ist ja der Taufpate meines Boris) und ihm eine Summe zu seinem Unterhalt auszusetzen, so sind alle meine bisherigen Bemühungen zwecklos gewesen: ich habe kein Geld, um ihn zu equipieren.«

      Der Gräfin traten vor Mitgefühl die Tränen in die Augen; sie schwieg, in Überlegungen versunken.

      »Ich denke oft«, fuhr die Fürstin fort, »es ist ja vielleicht Sünde, aber ich denke oft: da lebt nun Graf Kirill Wladimirowitsch Besuchow ganz einsam und allein ... so ein riesiges Vermögen ... und wozu lebt er? Ihm ist das Leben nur noch eine Last, Boris dagegen fängt eben erst an zu leben.«

      »Er wird deinem Boris gewiß etwas hinterlassen«, sagte die Gräfin.

      »Gott weiß, ob er das tut, liebe Freundin! Diese reichen, hohen Herren sind so entsetzlich egoistisch. Aber ich will doch gleich jetzt mit Boris zu ihm fahren und ihm offen sagen, wie es steht. Mögen die Leute von mir denken, was sie wollen; mir ist das wirklich ganz gleichgültig, wenn das Schicksal meines Sohnes davon abhängt.« Die Fürstin erhob sich. »Jetzt ist es zwei Uhr, und um vier beginnt bei euch das Diner. Da habe ich noch Zeit hinzufahren.«

      Und als praktische Petersburgerin, die die Zeit