und Pferdegetrappel hörbar. Kutusow kehrte mit seiner Suite nach der Stadt zurück. Der Oberkommandierende gab ein Zeichen, daß die Leute ohne Honneur weitermarschieren möchten, und ihm und seiner gesamten Suite war an den Gesichtern deutlich anzusehen, wieviel Vergnügen ihnen die Klänge des Liedes und der Anblick des tanzenden Soldaten und der frisch und fröhlich dahinmarschierenden Kompanie machte. Im zweiten Glied, auf der rechten Flanke, wo die Kutsche die Kompanie überholte, fiel einem jeden unwillkürlich der blauäugige Gemeine Dolochow auf, der besonders flott und munter nach dem Takt des Gesanges marschierte und den Vorbeifahrenden und Vorbeireitenden mit einer solchen Miene ins Gesicht sah, als ob er alle bedauerte, die in diesem Augenblick nicht mit der Kompanie marschierten. Der Husarenkornett in Kutusows Suite, der dem Regimentskommandeur nachgeäfft hatte, blieb hinter der Kutsche zurück und ritt zu Dolochow heran.
Der Husarenkornett Scherkow hatte eine Zeitlang in Petersburg zu der wilden, tollen Gesellschaft gehört, deren Matador Dolochow war. Im Ausland war Scherkow dem zum Gemeinen degradierten Dolochow wiederbegegnet, hatte aber nicht für nötig befunden, ihn zu erkennen. Jetzt nun, nachdem Kutusow mit dem Degradierten gesprochen hatte, wandte er sich mit der erfreuten Miene eines alten Freundes zu ihm:
»Nun, wie geht es dir, liebster Freund?« fragte er in den Gesang hinein und paßte den Gang seines Pferdes dem Schritt der Kompanie an.
»Wie es mir geht?« antwortete Dolochow kühl. »Wie du siehst.«
Der flotte Gesang verstärkte gleichsam noch den Ton scheinbar ungezwungener Fröhlichkeit, in welchem Scherkow gefragt hatte, und ließ den Ton beabsichtigter Kälte, in welchem Dolochow geantwortet hatte, um so stärker abstechen.
»Nun, wie stehst du mit deinen Vorgesetzten?« fragte Scherkow weiter.
»Oh, ganz gut; es sind brave Leute. Wie hast du es denn zuwege gebracht, in den Stab zu kommen?«
»Ich bin dazu abkommandiert. Ich habe Dejourdienst.«
Beide schwiegen ein Weilchen.
»Und aus dem rechten Ärmel ließ
Sie ihren Falken fliegen«,
lautete in diesem Augenblick der Text des gesungenen Liedes, das unwillkürlich bei allen Hörern ein frisches, fröhliches Gefühl erweckte. Das Gespräch der beiden hätte wahrscheinlich einen anderen Charakter getragen, wenn sie nicht bei den Klängen des Liedes miteinander gesprochen hätten.
»Ist es wahr, daß die Österreicher geschlagen sind?« fragte Dolochow.
»Wissen tut es niemand; aber gesagt wird es.«
»Freut mich!« antwortete Dolochow kurz und deutlich, wie es wegen des Gesanges notwendig war.
»Wie ist's? Komm doch mal abends zu uns und spiele mit uns Pharo«, sagte Scherkow.
»Seid ihr denn jetzt so gut bei Gelde?«
»Komm nur hin.«
»Geht nicht. Habe es verschworen. Ich trinke nicht und spiele nicht, ehe ich nicht befördert bin.«
»Nun gut, dann müssen wir also bis zum ersten Gefecht warten.«
»Das wird sich dann zeigen.«
Wieder schwiegen sie beide.
»Wenn du irgendeinen Wunsch hast, dann wende dich nur an uns; wir beim Stab werden dir immer helfen«, sagte Scherkow.
Dolochow lächelte.
»Beunruhige dich darüber nicht. Was ich haben will, darum bitte ich nicht; das nehme ich mir selbst.«
»Gewiß, gewiß; ich meinte ja auch nur ...«
»Jawohl, und ich meinte auch nur.«
»Leb wohl!«
»Adieu.«
»Er aber flog hoch in der Luft
Zur Heimat hin, der fernen ...«
Scherkow gab seinem Pferd die Sporen. Dieses trat zuerst in der Erregung von einem Huf auf den andern, ohne zu wissen, mit welchem es ansetzen sollte; dann fand es sich zurecht und jagte, die Kompanie hinter sich lassend, gleichfalls im Takt des Gesanges der Kalesche nach.
III
Als Kutusow von der Truppenbesichtigung zurückgekehrt war, begab er sich, von dem österreichischen General begleitet, in sein Arbeitszimmer, rief seinen Adjutanten und beauftragte ihn, ihm gewisse Papiere, die sich auf den Zustand der eintreffenden Truppen bezogen, sowie die von dem Erzherzog Ferdinand, dem Befehlshaber der Vorhut, eingegangenen Brief zu bringen. Fürst Andrei Bolkonski trat mit den verlangten Schriftstücken in das Arbeitszimmer des Oberkommandierenden. Vor einer auf dem Tisch ausgebreiteten Landkarte saßen Kutusow und das österreichische Mitglied des Hofkriegsrates.
»Ah ...«, sagte Kutusow, indem er sich nach Bolkonski umwandte, wie wenn er durch diesen Laut den Adjutanten auffordern wollte, noch ein wenig zu warten, und fuhr in dem begonnenen, auf französisch geführten Gespräch fort.
»Ich möchte nur das eine bemerken, General«, sagte Kutusow mit jener vollendeten Eleganz der Ausdrucksweise und Betonung, welche den Hörer zwang, ein jedes der langsam gesprochenen Worte genau zu beachten (es war übrigens nicht zu verkennen, daß auch Kutusow selbst sich mit Vergnügen reden hörte), »ich möchte nur das eine bemerken, General, daß, wenn die Sache von meinem persönlichen Wunsch abhinge, der Wille Seiner Majestät des Kaisers Franz längst ausgeführt wäre. Ich hätte meine Truppen schon längst mit denen des Erzherzogs vereinigt. Und glauben Sie meinem Ehrenwort, daß es mir persönlich eine große Freude gewesen wäre, den Oberbefehl über die Armee einem erfahreneren und geschickteren General, als ich (und an solchen trefflichen Generalen ist Österreich ja so außerordentlich reich), zu übergeben und diese ganze schwere Verantwortung von meinen Schultern abzuwälzen. Aber die Verhältnisse sind leider mitunter stärker als wir, General.«
Kutusow lächelte mit einem Gesichtsausdruck, als ob er sagen wollte: »Sie sind berechtigt, mir nicht zu glauben, und es ist mir sogar ganz gleichgültig, ob Sie mir glauben oder nicht; aber Sie haben keine Möglichkeit, mir das zu sagen. Und gerade darauf kommt es an.«
Der österreichische General machte ein unzufriedenes Gesicht, sah sich aber genötigt, in ähnlich verbindlicher Form zu antworten, wie Kutusow gesprochen hatte.
»O nicht doch«, sagte er in mürrischem, ärgerlichem Ton, der zu dem schmeichelhaften Sinn der von ihm gebrauchten Redewendungen in schroffem Widerspruch stand, »o nicht doch, Seine Majestät legt den allergrößten Wert auf die Mitwirkung Eurer Exzellenz bei der gemeinsamen Sache; aber wir sind der Meinung, daß durch die gegenwärtige Verzögerung den ruhmreichen russischen Truppen und ihrem Oberkommandierenden die Lorbeeren entgehen werden, welche sie in den Schlachten zu ernten gewohnt sind.« So schloß er seine offenbar vorher zurechtgelegte Phrase.
Kutusow verbeugte sich, unverändert weiter lächelnd.
»Ich bin aber überzeugt«, sagte er, »und nehme aufgrund des letzten Briefes, mit dem Seine Kaiserliche Hoheit der Erzherzog Ferdinand mich beehrt hat, als sicher an, daß die österreichische Armee unter dem Kommando eines so geschickten Unterfeldherrn, wie General Mack, jetzt bereits einen entschiedenen Sieg errungen hat und unserer Unterstützung nicht mehr bedarf.«
Der österreichische General runzelte die Stirn. Obgleich positive Nachrichten über eine Niederlage der Österreicher noch nicht vorlagen, so waren doch zu viele Umstände vorhanden, durch welche die allgemein verbreiteten schlimmen Gerüchte bestätigt zu werden schienen; und daher klang Kutusows Annahme von einem Sieg der Österreicher sehr nach Spott. Aber Kutusow lächelte ruhig und freundlich, immer mit derselben Miene, die besagte, daß er zu seiner Annahme berechtigt sei. Und in der Tat meldete der letzte Brief, der ihm von Macks Armee zugegangen war, einen Sieg und berichtete von der strategisch überaus vorteilhaften Stellung der Armee.
»Reich mir doch einmal den Brief her«, sagte Kutusow, zu dem Fürsten Andrei gewendet. »Hier, bitte, sehen Sie selbst.«
Und