Лев Толстой

Krieg und Frieden


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schlug die Augen nieder, hob sie wieder in die Höhe und wollte in der Prinzessin Helene von neuem nichts weiter als das ihm fernstehende, ihm fremde schöne Mädchen sehen, das er bisher täglich in ihr gesehen hatte; aber dies zu tun, war er nicht mehr imstande. Er war dazu ebensowenig imstande, wie jemand, der im Nebel einen Steppengrashalm gesehen und für einen Baum gehalten hat, nachher, nachdem er gesehen hat, daß es ein Halm ist, von neuem in ihm einen Baum sehen kann. Sie stand ihm auf einmal so nahe, daß ihm beklommen wurde; sie hatte schon Gewalt über ihn. Und zwischen ihm und ihr bestanden jetzt keinerlei Schranken mehr außer denen, die sein eigener Wille errichtete.

      »Gut, ich lasse Sie in Ihrem kleinen Winkel. Ich sehe, daß Sie sich da ganz wohl befinden«, hörte er auf einmal Anna Pawlowna sagen.

      Pierre überlegte ängstlich, ob er auch nicht irgend etwas Unpassendes getan habe, errötete und blickte rings um sich. Es kam ihm vor, als wüßten alle geradeso gut wie er selbst, was mit ihm geschehen war.

      Als er einige Zeit darauf zu der größeren Gruppe trat, sagte Anna Pawlowna zu ihm:

      »Ich höre, daß Sie Ihr Haus in Petersburg verschönern lassen.«

      Dies war richtig. Der Baumeister hatte ihm gesagt, daß das durchaus notwendig sei, und so ließ denn Pierre, ohne selbst recht zu wissen wozu, sein riesiges Haus in Petersburg neu und schön herrichten.

      »Das ist ganz verständig von Ihnen; aber ziehen Sie nicht von dem Fürsten Wasili weg. Es ist gut, einen solchen Freund zu haben, wie es der Fürst ist«, sagte sie und lächelte dem Fürsten Wasili zu. »Ich habe etwas davon gehört. Nicht wahr? Und Sie sind noch so jung. Sie können guten Rat gebrauchen. Seien Sie mir nur nicht böse, daß ich mich der Privilegien bediene, welche alte Frauen nun einmal haben.«

      Sie hielt inne, wie ja Frauen, wenn sie sich als alt bezeichnet haben, immer eine Pause machen und auf etwas warten. »Wenn Sie sich verheirateten, dann wäre es freilich eine andere Sache.« Bei diesen Worten faßte sie die beiden mit einem Blick zusammen. Pierre sah Helenen nicht an, und sie nicht ihn. Aber sie stand ihm noch immer in ebenso beängstigender Weise nahe. Er murmelte etwas vor sich hin und errötete.

      Als Pierre nach Hause zurückgekehrt war, konnte er lange nicht einschlafen und dachte über das nach, was mit ihm geschehen war. Was war denn mit ihm geschehen? Nichts. Er war nur zu der Erkenntnis gelangt, daß dieses Mädchen, diese Helene, die er schon als Kind gekannt hatte, von der er manchmal gedankenlos gesagt hatte: »Ja, sie ist schön«, wenn ihm andere gesagt hatten, Helene sei eine Schönheit, er war zu der Erkenntnis gelangt, daß dieses Mädchen ihm gehören könne.

      »Aber sie ist dumm; ich habe selbst oft gesagt, daß sie dumm sei«, überlegte er. »Es liegt in dem Gefühl, das sie in meiner Seele erweckt hat, etwas Widerwärtiges, etwas Verbotenes. Es ist mir erzählt worden, ihr Bruder Anatol sei in sie verliebt gewesen und sie in ihn; es sei ein richtiger Skandal gewesen, und Anatol sei deswegen aus dem Haus geschickt worden. Und auch Ippolit ist ihr Bruder. Und Fürst Wasili ist ihr Vater. Schlimm, schlimm!« dachte er; aber während er diese Überlegungen anstellte (sie waren noch nicht zu einem Abschluß gelangt), ertappte er sich bei einem Lächeln und merkte, daß eine andere Gedankenreihe durch die erste hindurch zum Vorschein kam, daß er gleichzeitig an Helenens geistige Geringwertigkeit dachte und sich ausmalte, wie sie sein Weib sein werde, wie sie ihn liebgewinnen könne, wie sie eine ganz andere werden könne, und wie alles, was er über sie gedacht und gehört habe, vielleicht unwahr sei. Und dann sah er in ihr wieder nicht mehr die Tochter des Fürsten Wasili, sondern er sah ihren ganzen Körper, nur von einem grauen Kleid verhüllt.

      »Aber warum ist mir denn dieser Gedanke früher nie in den Sinn gekommen?« Und wiederum sagte er sich, daß er Helenen nicht zur Frau nehmen könne; es schien ihm in dieser Heirat etwas Häßliches, Widernatürliches, Unehrenhaftes zu liegen. Er erinnerte sich an Helenens frühere Worte und Blicke, sowie an die Worte und Blicke derjenigen, die ihn und Helenen zusammen gesehen hatten. Er erinnerte sich an die Worte und Blicke Anna Pawlownas, als sie mit ihm von seinem Haus sprach; er erinnerte sich an tausend derartige Anspielungen von seiten des Fürsten Wasili und anderer Leute, und ein Schrecken überkam ihn, ob er sich auch nicht etwa schon durch irgend etwas zur Ausführung einer Tat verpflichtet habe, die offenbar nicht zum Guten ausschlagen werde und die er nicht ausführen dürfe. Aber zur gleichen Zeit, wo er sich selbst alle diese Erwägungen vorhielt, tauchte von der andern Seite her in seiner Seele ihr Bild, dieses Ideal weiblicher Schönheit, auf.

      II

      Im November des Jahres 1805 sollte Fürst Wasili vier Gouvernements bereisen, um dort Revisionen vorzunehmen. Er hatte darauf hingewirkt, daß ihm dieser Auftrag erteilt wurde, um erstens dabei zugleich seine in üblem Zustand befindlichen Güter zu besuchen, und zweitens um seinen Sohn Anatol aus der Garnison seines Regiments abzuholen und mit ihm zu dem Fürsten Nikolai Andrejewitsch Bolkonski heranzufahren, in der Absicht, eine Heirat zwischen seinem Sohn und der Tochter dieses reichen alten Mannes zustande zu bringen. Aber bevor er abreiste und diese neue Sache in die Wege leitete, hielt Fürst Wasili für notwendig, die Angelegenheit mit Pierre zur Entscheidung zu bringen, der allerdings in der letzten Zeit ganze Tage zu Hause, das heißt im Haus des Fürsten Wasili, bei dem er wohnte, zugebracht und sich bei Helenens Anwesenheit so lächerlich, aufgeregt und dumm benommen hatte, wie sich das eben für einen Verliebten gehört, aber doch immer noch nicht dazu geschritten war, ihr einen Antrag zu machen.

      »Alles sehr schön und gut; aber die Sache muß zum Ende kommen«, sagte eines Morgens Fürst Wasili mit einem trüben Seufzer zu sich selbst; er konnte es sich nicht verhehlen, daß Pierre, der ihm doch in so hohem Grad zu Dank verpflichtet war, in dieser Sache sich nicht ganz angemessen benahm. »Nun, Gott verzeihe es ihm ...! Jugend ... Leichtsinn ... nun ja, man darf es ihm nicht zu schwer anrechnen«, dachte Fürst Wasili und wurde sich mit Vergnügen seiner eigenen Herzensgüte bewußt; »aber die Sache muß zum Ende kommen. Übermorgen ist Helenens Namenstag; ich werde ein paar Leute dazu einladen, und wenn er dann noch nicht versteht, was er zu tun hat, so werde ich selbst die Sache in die Hand nehmen. Jawohl, ich werde die Sache in die Hand nehmen. Ich bin der Vater!«

      In der schlaflosen, aufregungsvollen Nacht nach der Abendgesellschaft bei Anna Pawlowna war Pierre schließlich zu der Überzeugung gelangt, daß eine Heirat mit Helene ein Unglück sein würde, und hatte den Entschluß gefaßt, sie zu meiden und wegzureisen; aber seitdem waren anderthalb Monate vergangen, und er war nicht vom Fürsten Wasili weggezogen und fühlte mit Schrecken, daß das Band, das ihn mit Helene verknüpfte, in den Augen der Leute täglich fester werde, daß es ihm ganz unmöglich sei, zu seiner früheren Art, sie anzusehen, zurückzukehren, daß er sich nicht von ihr losreißen könne, und daß, so schrecklich es sei, er sein Schicksal mit dem ihrigen werde verknüpfen müssen. Vielleicht hätte er noch einige Zurückhaltung üben können; aber es verging kein Tag, wo nicht beim Fürsten Wasili (der sonst selten Gäste bei sich gesehen hatte) eine Abendgesellschaft stattfand, an welcher Pierre teilnehmen mußte, wenn er nicht die Erwartung aller enttäuschen und das allgemeine Vergnügtsein stören wollte. Kam Fürst Wasili in den wenigen Minuten, die er zu Hause zubrachte, an Pierre vorbei, so zog er ihn in seiner wunderlichen Manier an der Hand nach unten, hielt ihm zerstreut seine rasierte, faltige Wange zum Kuß hin und sagte entweder: »Auf morgen!« oder: »Iß bei uns zu Mittag, sonst bekomme ich dich heute gar nicht mehr zu sehen«, oder: »Ich bleibe um deinetwillen zu Hause« usw. Nun sprach zwar Fürst Wasili, auch wenn er (wie er sagte) um Pierres willen zu Hause geblieben war, mit ihm doch immer nur wenige Worte; aber trotzdem fühlte sich Pierre außerstande, seine Erwartung zu enttäuschen. Täglich sagte er sich ein und dasselbe: »Ich muß doch endlich über ihr wahres Wesen ins klare kommen und mir darüber Rechenschaft geben, von welcher Beschaffenheit sie eigentlich ist. Habe ich mich früher getäuscht, oder täusche ich mich jetzt?« – »Nein, sie ist nicht dumm; nein, sie ist ein herrliches Mädchen!« gab er sich selbst manchmal zur Antwort. »Nie passiert ihr in irgendwelcher Hinsicht ein Irrtum; nie hat sie etwas Dummes gesagt. Sie spricht wenig; aber was sie sagt, ist immer schlicht und klar. Also ist sie nicht dumm. Nie ist sie unruhig oder verlegen geworden, und sie ist auch jetzt nicht unruhig und verlegen. Also ist sie nicht schlecht!« Es kam, wenn er mit ihr zusammen war, nicht selten vor, daß er Erörterungen über allgemeine Gegenstände anstellte, sozusagen laut