SIEBEN
PROLOG
Töte sie nach der Arbeit. Sie soll es nicht zurück nach Hause schaffen.
Die Anweisung war mit seinen Gedanken verwoben. Er hörte sie nun schon seit zwei Tagen – die Stimme in seinem Kopf, die geboren worden war, als er das Bild im Kunst- und Unterhaltungsteil der Lokalzeitung entdeckt hatte. Er hatte die Frau der Erotikshop-Anzeige schon zuvor gesehen. Zu sagen, dass sie attraktiv war, wäre eine Untertreibung. Sie war so heiß, dass die Bitte um ein Date mit ihr sinnlos war. Niemals würde er eine Frau wie sie haben können.
Ja, er hatte sie schon öfters gesehen. Sie arbeitete als Kellnerin im Imbiss ‚Sixteenth Street Diner‘. Sie übernahm dort die Spätschicht zwischen einundzwanzig und zwei Uhr. Er hatte sie zu Unizeiten hin und wieder gesehen, wenn er die Blödsinnigkeit der Studentenwohnheime, Partys und Hausarbeiten hatte hinter sich lassen wollen. Freunde hatte er nie wirklich gehabt, es war also immer einfach für ihn gewesen, sich wegzuschleichen, ohne ausgefragt zu werden. Seine spätabendlichen Gelüste hatte er im ‚Sixteenth Street Diner‘ gestillt – fettige Eier, Bratkartoffeln und rabenschwarzen Kaffee. Er war gerne gekommen, wenn sie auch dort war. Sie war nett, aber nicht zu nett gewesen und hatte nicht den Eindruck gemacht, lediglich Mitleid mit dem einsamen Typen zu haben, der jede Menge Essen in sich hineinschaufelte. Indem er den anderen Idioten zuhörte, die versuchten, mit ihr zu flirten, hatte er einiges über sie erfahren.
Sie war auch Studentin. Oder zumindest war sie es damals, vor drei Jahren, gewesen.
Er hatte sie auch vor der Uni schon gekannt. Aber daran erinnerte sie sich nicht. Das wusste er, ohne sie danach fragen zu müssen. Er sah es in ihrem Blick, ihrem höflichen Lächeln, das auf ein nettes Trinkgeld hoffte. Er nahm es ihr nicht übel. Warum sollte sich eine Frau wie sie an einen Typen wie ihn erinnern, nur weil sie beide dieselbe, verhältnismäßig große, Abschlussklasse besucht hatten?
Sie sah jetzt älter aus, in der Zeitungsanzeige. Aber Gott, heiß war sie noch immer. Sogar noch heißer. Die Netzstrumpfhosen, Stilettos und ihre nackte Brust, die lediglich vom Logo des Shops verdeckt wurde, waren fast schon schmerzhaft anzusehen.
Vielleicht war das der Grund für diesen plötzlichen Gedanken gewesen, die Anweisung, die jetzt in seinem Kopf herumschwirrte. Als die Stimme sich zum ersten Mal gemeldet hatte, war er spät abends in besagtes Restaurant in der sechzehnten Straße gegangen. Einfach um zu sehen, ob sie noch immer dort arbeitete. Er ging davon aus, schließlich hatte man sie dort wie eine Göttin behandelt. Sie hatte genug Grufti-Ausstrahlung, um jene Art von Kundschaft anzuziehen, schaffte es aber auch, die klassische Schönheit zu sein, die sowohl Sportlern als auch älteren Männern in der Midlifecrisis gefiel. Er hatte beobachtet, wie sie von Männern, die lediglich Kaffee und Pie bestellt hatten, Trinkgeld in Höhe von fünfzig Dollar erhalten hatte. Der Pie schien dabei eine offene Einladung für unzählige sexuelle Anspielungen gewesen zu sein.
Wie vermutet war sie noch immer dort. Sie hatte ihn sogar bedient, ihm Bagel, Bacon und Tee mit einem Lächeln gebracht. Und mit einem Ausschnitt, der die Fantasien anregte, die er bereits zu Collegezeiten entwickelt hatte. Er hatte sogar angemerkt, sie aus seiner Zeit an der Uni zu kennen, als sie ihn und seine Freunde bedient hatte. Sie schien es zu schätzen, dass er sich an sie erinnerte, aber bei einer Kellnerin, die sich so kleidete und vom Trinkgeld abhängig war, fiel es ihm schwer, ihre Ehrlichkeit einzuschätzen.
Er dachte an ihr Lächeln, das sie ihm geschenkt hatte, als sie den Imbiss durch den Hintereingang betreten hatte. Es war nun 1.18 Uhr. Es regnete leicht, aber das schien in dieser furchtbaren Stadt immer der Fall zu sein. Er trug eine Regenjacke und saß auf den Stufen des Seiteneingangs eines Plattenladens, der im Schatten des Schnellrestaurants lag und so kaum sichtbar war.
Töte sie nach der Arbeit. Sie soll es nicht zurück nach Hause schaffen.
Hinter dem Restaurant gab es keine Parkplätze. Das hatte er herausgefunden, als er gekommen war, um zu sehen, ob sie noch immer hier arbeitete. Er hatte mehrere Angestellte beim Kommen und Gehen beobachtet, nachdem er den Imbiss verlassen hatte. Sie alle waren einen Straßenblock weiter und über die Straße gegangen, wo sich ein kleines Parkhaus an der Ecke befand.
Seinen Berechnungen zufolge blieben ihm genau vier Minuten, nachdem sie den Hinterausgang verlassen hatte. Vier Minuten, die sie brauchte, um vom Imbiss zu ihrem Wagen zu gehen. Er sah zu, wie sie finster in den Regen blickte und dann schützend ihre kleine Handtasche über den Kopf hielt. Joggend bewegte sie sich Richtung Gehweg.
Ihr Rennen, auch wenn es ein langsames war, würde seine vier Minuten vermutlich in drei verwandeln. Seine Anspannung wuchs. Er stand auf und folgte ihr. Als sie vollkommen außer Sicht war und auf dem Gehweg zum Ende des Blocks joggte, beschleunigte er seinen Schritt ebenfalls. Erst als er selbst den Bürgersteig betrat, verlangsamte er seinen Schritt wieder. Er blickte in beide Richtungen und sah außer der Kellnerin nur drei andere Menschen. Zwei liefen Hand in Hand in die andere Richtung. Der dritte war ein zottelig wirkender Mann, dem Aussehen nach vermutlich obdachlos. Er beobachtete die Kellnerin mit großem Interesse, als sie die Straße in Richtung