nickt zustimmend. »Ja. Und er war auch bekannt dafür, sich seiner Frauen auf unrühmliche Weise zu entledigen.«
»Ich bin da eher der Typ Robert, The Bruce. Oder William Wallace.« Dabei hält sich Henry mit der einen Hand ein Auge zu, reißt den anderen Arm hoch und ruft »Freedom« in den Raum. »Halbschotte mütterlicherseits, wie du weißt«, fügt er hinzu.
»Und Henry«, so Sarah, »hört sich auf jeden Fall besser an als Heinrich.«
»Ja«, stimmt er zu. »Die deutsche Übersetzung ist schon ziemlich uncool. Da bin ich meiner Mutter auch dankbar für, dass sie sich meinem Vater gegenüber durchgesetzt hat.«
Während Sarah noch immer beeindruckt ihren Blick schweifen lässt, erklärt Henry weiter. »Im Grunde ist das Zimmer im Moment ziemlich leer. Vorgestern hatte ich ein paar Freunde zu Besuch. Die wissen zwar von meinem Faible für das Mittelalter, allerdings nichts von dem, was ich dir gestern erzählt habe. Und so soll es auch bleiben. Darum habe ich … wie soll ich sagen … ein wenig aufgeräumt.«
Sarah schaut ihn dann doch fragend an. »Was genau meinst du mit Aufgeräumt?«
»Na ja, ein paar Sachen, die ab und zu noch hier rumstehen.«
»Was denn? Eine Streckbank?«
»Würdest du dann doch noch schreiend wegrennen?«
»Nicht im Nachthemd. Außerdem bin ich dafür gerade viel zu neugierig.«
Er atmet tief durch die Nase ein und reibt sich mit den Fingern die Schläfen. »Ich glaube, ich kann gerade nicht klar denken. Ich habe immer gehofft, jemanden zu finden, dem ich mich anvertrauen kann. Dann ist es sogar meine Traumfrau und ich habe … wie soll ich das beschreiben? Als ob das irgendwie nicht richtig ist. Als ob mein Traum wahr wird, aber aufgrund meiner Vorlieben auf immer zerstört werden könnte. Weil du jetzt die Wahrheit kennst und mich … dafür verabscheust oder so. Ist das verrückt oder was?« Er geht ein paar Schritte, um dann in der Mitte des Raumes zu verharren.
Sie macht es ihm gleich und geht auf ihn zu, bis sie ganz nahe vor ihm steht. Sie blickt zu ihm auf und schließt ihre Arme um ihn. Dann senkt sie den Blick und drückt ihre Wange auf seine Brust. Sie flüstert fast. »Ja. Völlig verrückt und absurd. Und überhaupt … bin ich nicht mit zu dir gekommen, nachdem du mir gestern deine … Geschichte erzählt hast?« Sie hebt den Kopf und blickt ihm in die Augen. »Ich muss schon zugeben, dass mich das alles verunsichert. Vor allem das Zimmer hier. Aber ich finde es auch, wie soll ich sagen, aufregend. Ich bin hier, weil ich mich in dich verliebt habe. Und wenn man sich verliebt, läuft man immer Gefahr, Facetten am Partner zu entdecken, die überraschen oder die man nicht erwartet hat.«
Sie löst den Blick, und er spürt ihre Wange wieder auf seiner Brust, während sie ihn noch immer umarmt.
»Wir sind doch eigentlich klar im Vorteil, oder?«, beginnt sie. »Du kennst mich recht gut, und ich kenne dich. Ich bin mir sicher, dass du ein guter Mensch bist. Darum sollten wir beide uns auch die Chance geben, die wir uns verdient haben. Und sehen, was passiert.« Der Druck ihrer Umarmung wird noch ein wenig fester und ihre Stimme noch leiser: »Dazu gehört auch, dass du deinen Worten Taten folgen lässt.«
Henry traut seinen Ohren kaum. Durch seinen ganzen Körper strömt das Gefühl vollkommenen Glücks. Er schließt Sarah ebenfalls ganz fest in ihre Arme. Sie schauen sich an, und dann küsst er sie. Zärtlich und aus tiefster Seele. Dennoch kehren seine Gedanken in das Hier und Jetzt zurück. Jetzt liegt es an ihm. Wie oft hat er sich vorgestellt, was er wie machen würde, wenn es mal so weit wäre. Und jetzt? Jetzt muss er improvisieren. Und dabei den schmalen Grat finden, auf dem er nichts falsch machen darf.
Er hat einen ersten Plan. »Wie wäre es mit einer Dusche?«
»Das ist eine sehr gute Idee«, erwidert Sarah.
Gerade will sie sich in Richtung Bad bewegen, da hält Henry sie sanft zurück. »Moment. Aber nicht so. Warte hier, bitte.«
Er geht zu einer Kommode und zieht die schwere Schublade auf. Er holt etwas heraus und geht zu Sarah zurück. Sie erkennt, dass er etwas Schwarzes in der Hand hält.
»Ich werde dich duschen«, erklärt Henry. »Dafür muss ich eben ein paar Vorkehrungen treffen. Bindest du dir bitte einen Pferdeschwanz? Aber schön weit oben.« Dabei versucht er zumindest, souverän zu wirken.
Sarah holt ein Haarband aus ihrer Handtasche und macht, was Henry ihr aufgetragen hat. Mittlerweile hat sie auch erkannt, was er aus der Schublade geholt hat. Sie erkennt eindeutig eine Maske. Und nicht irgendeine.
»Ist die aus Gummi?«
»Aus ziemlich dickem sogar.«
»Für mich?«
»Damit deine Haare nicht so nass werden.«
Sie sieht, dass es mehr als eine Maske ist.
»Nur deswegen?«
»Du stellst so viele Fragen. Darf ich sie dir jetzt anziehen?«
Sarah überkommt ein Mix verschiedenster Gefühle. Als ob sie in einer Achterbahn sitzt, die gerade den Hügel vor der ersten Abfahrt bewältigt, und sie erkennt, dass sie nicht mehr aussteigen kann. In ihrem Bauch beginnt es zu kribbeln. Es sind diese Momente, in denen man sich fragt, ob das gerade tatsächlich passiert. Es ist die totale Neugierde und der Drang, es trotz aller Bedenken zu versuchen.
Sie nickt ihm zu.
Henry nähert sich ihr von hinten. »Hast du Probleme damit, nur durch die Nase zu Atmen?«
Sie schüttelt verneinend den Kopf.
»Gut. Dann mache jetzt bitte den Mund auf. Und nicht erschrecken. Einfach schön ruhig durch die Nase weiteratmen.«
Sie folgt seinen Anweisungen und spürt plötzlich etwas seltsam Schmeckendes zwischen ihren Lippen, als er ihr die Maske über den Kopf zieht. Es schmeckt so, wie die Maske riecht. Gummi. Und als sie dann nicht mehr sprechen und auch nicht mehr durch den Mund atmen kann, versteht sie, was Henry gemeint hat. Es ist ein Knebel. Und nicht irgendeiner. Denn sofort pumpt Henry über einen kleinen Blasebalg, der durch einen Schlauch mit dem Knebel in Sarahs Mund verbunden ist, Luft hinein. Ihr Mund füllt sich und mehr als dumpfe Geräusche kann sie nicht mehr von sich geben. Ein leichter Anfall von Panik überkommt sie, doch Henry besänftigt.
»Ganz ruhig. Atme einfach durch die Nase weiter.«
Während sie sich konzentriert, geht Henry um sie herum und hantiert jetzt hinter ihr stehend an der Rückseite der Maske. Dabei merkt sie, wie diese immer enger ihren kompletten Kopf einschließt, wobei der Bereich um Augen und Nase aber frei bleibt. Sie soll sehen, aber nichts sagen. Alles klingt jetzt viel dumpfer, da auch ihre Ohren unter dem schwarzen Gummi verschwinden. Da vernimmt sie das finale Geräusch eines Reißverschlusses und im gleichen Moment spürt sie auch eine Enge um ihren Hals.
»Passt«, hört sie Henry wie aus einem Tunnel zu ihr sagen. »Willst du mal sehen?«, fragt er sie.
Sie dreht sich um und schaut ihn an. Da sie nicht sprechen kann, nickt sie. Er nimmt ihre Hand und geht mit ihr einige Schritte bis zu einem Spiegel. Sie schaut rein und erkennt einen völlig in Gummi verpackten Kopf. Offen ist wie vermutet nur der Streifen über den Augen einschließlich der Nase. Ihr Pferdeschwanz schaut am oberen Hinterkopf heraus. Und dort, wo der Mund sein sollte, befindet sich ein nach unten hängender Schlauch mit dem Blasebalg. Sie drückt kurz drauf und merkt sofort, wie sich der Druck in ihrem Mund erhöht.
»Ich denke, das ist genug«, meint Henry und nimmt ihr den Blasebalg aus der Hand. Er greift an den Schlauch in dem Bereich, in dem er aus ihrem Mund kommt. Dann hat er plötzlich Schlauch und Blasebalg in der Hand. Doch die Luft ist noch immer im Knebel. Überrascht schaut Sarah wieder in den Spiegel und entdeckt eine Art Ventil genau dort, wo gerade noch der Schlauch hing. In Gedanken vertieft hört sie wieder Henrys leicht verdunkelte Stimme.
»Wenn du noch immer duschen willst, musst du das T-Shirt ausziehen.«
Sie dreht sich um. Jetzt wird es richtig ernst, schießt es ihr durch den Kopf.