Henriette Jade

Spiritueller Rausch der Lust | Erotischer Roman


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      Irgendwann gingen wir. Die Empfangsdame des Hauses, eine blondierte Mittvierzigerin, grinste. Wir standen auf der Straße. Er bot mir einen Fruchtkaugummi an, den ich zögernd nahm. Ich war noch ganz verwirrt. Was war da bloß gerade mit mir passiert? Fragend kaute ich mich durch die Zuckerglasur. Mein Begehren nach Berührung und nach Küssen war so schnell entflammt worden. Ich spürte meine tief sitzende Sehnsucht nach Liebe und Sex, die ich so lange unterdrückt hatte. Der sauer-süße Geschmack des Kaugummis prickelte an meinem Gaumen und blieb mir eine Rückfahrt lang im Mund.

      ***

      Zu Hause setzte sich dieser Schwebezustand fort. Ich fertigte die häuslichen Angelegenheiten routinemäßig ab und spürte meinen Körper so, als würde er neben den Dingen stehen, die passierten.

      Lukas, mein Sohn, wollte mehr Schokolade. Ich gab sie ihm. Zoe mochte länger aufbleiben, ich gewährte es ihr. Ich war ganz versunken in meinen Gedanken und fühlte noch Henris Lippen auf meinen, diese Zungenküsse, perplex darüber, dass meine Sehnsucht nach Berührung so stark aus mir herausgebrochen war. Ich hörte den ganzen Tag lang nichts von ihm.

      ***

      Am nächsten Morgen meldete ich mich schließlich selbst. In meiner E-Mail brachte ich meine Zweifel darüber zum Ausdruck, ob wir überhaupt zueinander passten. Ich schrieb, dass wir in zwei völlig verschiedenen Welten lebten und der Altersunterschied viel zu groß wäre. Er war um die fünfzig, also mehr als zehn Jahre älter als ich. In seiner Antwortmail pflichtete er mir zwar bei, unterstrich aber, dass doch gerade das den Reiz ausmachte. Dass er sicherlich über mehr Lebenserfahrung verfügen würde, von der ich nur profitieren könnte. Wieder trug er ganz schön dick auf, wie ich fand. Und obwohl es mir nicht gefiel, dass sein Bildungsniveau so gar nicht dem meinen entsprach und sein Klamottenstil katastrophal war, gelang es ihm dennoch, mich zu einem nächsten Treffen zu überreden.

      »Am Flutgraben in zwei Tagen«, einigten wir uns.

       3. An Kanälen entlang

      Als ich den Flutgraben in Kreuzberg erreichte, war er schon da. Mit einer verspiegelten Sonnenbrille stand er vor mir, sodass ich seine Reaktion auf unser Wiedersehen nicht einschätzen konnte. Wahrscheinlich hatte er sich über den Effekt, dass er mit der Spiegelbrille unnahbar erschien, keine Gedanken gemacht. Oder war es gar seine Absicht?

      Wir gingen ins Restaurant »Der Freischwimmer« und suchten uns einen Tisch am Kanal. Jetzt endlich nahm er seine Brille ab, und ich blickte in seine grünen, ovalen Augen. Sein Haar war grau-meliert und etwas länger. Er wirkte trainiert, was ihm eine besondere Jungendlichkeit verlieh.

      Als er meinen Blick erwiderte, stieg ein leichtes Kribbeln in mir auf. Gespannt konzentrierte ich mich auf ihn. Er erzählte mir von seiner Kindheit in Kreuzberg. Dann beschrieb ich ihm meinen Alltag mit Zoe und Lukas, dass mir meine Zeit bedauerlicherweise nicht zur freien Verfügung stand. Er nickte zu diesem Thema nur, konnte sich da nicht so direkt hineinversetzen. Er selbst hatte keine Kinder und führte ein Singleleben, wie er fast schon stolz zugab. Dann nahm er meine Hand und streichelte sie, führte sie zu seinen Lippen und bedeckte sie mit kleinen Küssen, zog dann zwei meiner Fingerspitzen zu seinem Mund. Diese schob er zwischen seine Zähne, biss leicht zu und hielt mich so gefangen. Mich überkam eine Gänsehaut. Ich konnte mich kaum mehr rühren und geriet in einen fast schon hypnotischen Zustand. Ich folgte seinen Bewegungen und hing im wahrsten Sinne des Wortes an seinen Lippen. Ich war seine Beute. Und er hatte mich am Wickel und wusste, dass ich an ihm klebte. Hinter ihm sah ich die rote Backsteinziegelmauer des gegenüberliegenden Fabrikgebäudes und das davorliegende vibrierende Wasser des Kanals, für einen Moment, der ewig zu dauern schien.

      Schließlich aber kam ich zurück ins Hier und Jetzt. Ich löste meine Finger aus seinem Mund, und er gab sie frei. Wir verließen das Restaurant und spazierten Hand in Hand los. Doch schon auf der nächsten Brücke griff ich nach seinen Hüften und zog ihn an mich. Da war sie wieder, meine so lange unterdrückte Lust. Er ging auf sie ein, indem er meinen Nacken packte und mich küsste. Sanft schob er mir seine Zunge in den Mund. Ich fühlte seine Bewegungen und erwiderte sie. Wieder war unsere Berührung so intensiv, dass die Zeit stillzustehen schien und der Moment auf der Brücke uns einschloss. Als wir uns wieder lösten, war es geradezu eine selbstverständliche Konsequenz, seiner Aufforderung zu entsprechen und ihn nach Hause zu begleiten.

      ***

      Er wohnte nicht weit entfernt in einer aufwendig ausgebauten Fabriketage. Zunächst liefen wir durch den Görlitzer Park. An lilafarbenen Rhododendronblüten summten Bienen. Auf der anderen Seite des Parks ging der Weg weiter durch eine schmale Straße, bis wir ein großes Tor erreichten, das offenbar auch Autos als Einfahrt diente. Wir gingen bis zum zweiten Hof und betraten den Seiteneingang eines alten Gewerbegebäudes. Die knarrenden Holzdielen auf der Treppe waren noch original.

      Henri drückte meine Hand fester und nahm mich mit in die zweite Etage. Die zwei Schlösser der riesigen Metalltür schloss er umständlich auf. Dahinter verbarg sich noch eine zweite Tür, die eher einer normalen Wohnungstür glich. Was für eine Trutzburg. Auch sie hatte ein Sicherheitsschloss, das Henri entriegelte.

      Das Loft hatte hohe Decken und war mit teurem Parkett im Fischgrätenmuster ausgelegt. Direkt vor uns lag die offene große Küche und dahinter kam ein Raum mit Säulen ins Blickfeld, die verputzt und weiß gestrichen waren. Henri führte mich durch die Küche hindurch gleich in diesen großen Raum. Vor seinem Kamin blieben wir stehen, und er erklärte stolz, dass er ihn selbst eingebaut hätte. Dann zeigte er mir im angrenzenden Bad den Whirlpool und die Sauna, die ich bewundernd betrachtete. Richtig zum Wohlfühlen. Überall standen Kameras, Lampen, Monitore und weitere technische Geräte für seine Fotoaufnahmen. Sogar ein Tonstudio hatte er sich eingerichtet, weil er früher ab und an auch Filme gedreht hatte.

      »Magst du etwas trinken?«, fragte er dann einladend und ging zum Kühlschrank.

      Ich nickte.

      Er entschied sich für eine Flasche Rosé-Champagner, öffnete sie routiniert, füllte die Gläser und reichte mir eines. Wir prosteten uns zu.

      »Also hier machst du deine Fotos?«, begann ich das Gespräch.

      »Genau. Meistens kommen die Models zu mir, nur ab und an fahre ich zu ihnen«, erläuterte er.

      »Und was sind das für Bilder, die hier entstehen?«

      »Die meisten Frauen beauftragen mich, erotische Fotos von ihnen zu machen. Die sind für ganz verschiedene Zwecke gedacht. Jede Situation erfordert ihr eigenes Equipment, deshalb habe ich mir das Studio eingerichtet.« Er schaute mich mit prüfendem Blick an. »Hoffentlich irritiert dich das nicht?«

      »Ach was, überhaupt nicht. Aktfotos sind doch total okay.«

      »Dann bin ich ja beruhigt!«, sagte er und grinste dabei doppeldeutig. »Früher habe ich für Auftraggeber wie den ›Playboy‹ und andere Magazine gearbeitet. Von den damaligen Kontakten profitiere ich heute noch. Wenn man einmal einen Namen hat, kann man sich seine Fotoshootings irgendwann aussuchen. Und ich brauche nicht mehr um die halbe Welt zu jetten. Meistens jedenfalls.«

      Er trat einen Schritt auf mich zu, umgriff meine Taille und zog mich sanft an sich heran. In mir aber sträubte es sich. Ich drückte mein Kinn zur Brust, steif wie ein Storch, der seinen langen Schnabel irgendwo unterbringen musste. Denn in mir stiegen unaufhaltsam warnende Gedanken auf. Wie, der hat für den »Playboy« gearbeitet, das geht doch wirklich nicht! Frauen, reduziert auf nackte, sich anbiedernde Püppchen, mit nichts in der Birne – und da macht er mit!

      Henris Beruf passte so gar nicht zu dem in mir fest verankerten Wertekanon der Gleichwertigkeit von Mann und Frau und dem Ideal der Liebe als innerem Wert. Ich hielt ihn mit den Händen auf Abstand, ohne mich dabei ganz aus der Umarmung zu lösen. Mit solchen Männern hatte ich schlichtweg nichts gemein.

      Henri konnte sich wahrscheinlich denken, was in mir vorging, und warum ich mich sträubte. Er sah mir direkt in die Augen, lächelte mich an und sagte dann: »Ich finde dich so unglaublich anziehend, deine blauen Augen sind umwerfend. Ich habe lange keine Frau mehr im Arm gehabt, die so faszinierend auf mich gewirkt hat und glaub mir, ich kenne mich da aus.«