nächsten Ordner befanden sich Detailaufnahmen von Körpern: harte Nippel, runde Schenkel, von Gänsehaut überzogene Pos, nach mehr verlangende Münder, ja sogar Mösen – und nicht einmal letztere Bilder waren obszön, denn Kennedy hielt nicht einfach drauf, sondern ließ bei diesen Bildern eine Handlung die Grundlage sein.
Auch unter den fotografierten Männern entdeckte Emma einige Celebrities. Sie versteckten ihr bestes Stück in einer kräftigen Hand. Sie schwammen nackt im Pool. Sie waren bei einem Seitensprung ertappt und wandten sich um, um dem Störenfried einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Sie ließen die Muskeln spielen, testeten die Matratze und einige von ihnen waren augenscheinlich fickbereit.
Emma blinzelte, um ihrer Fantasie Einhalt zu gebieten, schloss die Seite und stand auf, um ihren verschmähten Bagel in den Müll zu befördern. Den inzwischen kalten Kaffee tauschte sie gegen einen Orangensaft aus und lud ihre aktuellen Rezepte auf den Bildschirm. Dass sie den Auftrag hatte, Chicagos erotischste Locations zu finden, bedeutete nämlich nicht, dass KINGz in den beiden nächsten Ausgaben auf Ernährungstipps und gesunde Rezepte verzichten würde. Leander wollte erst dann jemanden Neues für die Position finden, wenn er von Emma als Lifestyle-Redakteurin überzeugt war.
Emma hingegen war so von ihrer neuen Aufgabe gefangen, dass sie die Rezepte mit Langeweile anging und ihre Gedanken immer wieder abdrifteten: Zu Tom alias TiWrites und zu der Überlegung, wie sie ihn aus seinem Schneckenhaus locken konnte. Vor vollendete Tatsachen musste er gestellt werden, und dies konnte nur auf eine Weise geschehen: Indem er erfuhr, dass Emma die Frau war, die er seit langem als LebensLust kannte und schätzte.
Vielleicht war es plump, vielleicht ein kühnes Vorhaben. Vielleicht würde es TiWrites überraschen. Vielleicht würde er es ablehnen, aber wenn er auch nur ein bisschen neugierig auf sie war, würde er darüber nachdenken und einwilligen.
Emma rief ihren Mail-Account auf und schrieb TiWrites eine Nachricht, in der sie ihn aufforderte, sie zu treffen. In ihrer Vorstellung malte sie sich das Weitere herrlich bunt aus: Tadaaa, so eine Überraschung! »Duuu, Tom, bist TiWrites!«, würde sie sagen. »Duuu, Emma, bist LebensLust!«, würde er feststellen und so etwas wie eine Erleuchtung haben, die ihn infrage stellen ließ, dass er noch irgendwen anders in seinem Bett brauchte, wo er doch Emma hatte, seine Muse, seine LebensLust.
Nachdem sie die Mail gesendet hatte, konnte sich Emma endlich auf ihre Rezepte konzentrieren – vom zwischenzeitlichen Aktualisieren des Posteingangs abgesehen.
Erst am frühen Abend blinkte eine Nachricht von TiWrites im Posteingang. Mit klopfendem Herzen öffnete Emma sie und las:
»Wie lauten deine neuen Stichworte?«
Verwundert scrollte sie nach unten und stellte fest, dass er tatsächlich auf ihre letzte Mail antwortete. In die Grübelei, was sie davon halten sollte, klingelte ihr Telefon mit Toms Namen auf dem Display. Emmas Verwirrung wurde größer. Er sendete diese Mail und rief sie gleich darauf an? Ahnte er etwa auch etwas? Das konnte er nicht. Es hatte nie einen Anlass gegeben.
Emma wappnete sich und nahm das Gespräch entgegen.
Tom verlor kein Wort darüber, sondern lud sie zum Abendessen in ein Restaurant ein. Emma widerstand der Versuchung, ihr Telefon zu schütteln und ihn die Frage wiederholen zu lassen. Tom wollte mit ihr in ein Restaurant? Nicht in einen Club und dann in die Kiste? Oder gleich in die Kiste? Es geschahen noch Wunder auf diesem Planeten! Offenbar auch ohne, dass sie den Zaunpfahl schwang.
Sie verabredeten sich für zwanzig Uhr, beendeten das Gespräch, indem sie ihre Vorfreude ausdrückten. Ganz brav. Ganz erwachsen. Ganz ohne dreckige Gedanken.
Kaum hatte Emma aufgelegt, da rief Muriel an.
»Wir müssen reden«, sagte sie. »Lust auf einen Drink?«
Muriel hatte so recht, und zudem war es ihr anzurechnen, dass sie sich dafür am Samstagabend Zeit nehmen wollte. Emma wollte sich bei ihr entschuldigen, für diese dämliche Äußerung vom Donnerstag. Aber nicht an diesem Abend.
»Ich bin morgen eine Stunde eher beim Brunch, okay?«, schlug sie deshalb vor. »Heute Abend bin ich zum Essen verabredet.«
Muriels Neugier war geweckt. »Zum Essen? Mit wem?«
»Das erzähle ich dir auch morgen«, versprach Emma. Wo die Sache mit ihr und Tom nun endlich in die richtige Richtung ging, war es wirklich Zeit, Muriel einzuweihen.
***
Tom sah umwerfend aus. In der Redaktion oder wenn sie in einen Club gingen, trug er meist T-Shirts mit blöden Sprüchen drauf, die wohl eine Rebellion gegen seine Anfang Dreißig sein sollten. Heute trug er ein schmal geschnittenes hellblaues Hemd, eine ebenfalls schmale dunkle Stoffhose, schicke Schuhe – und das gewohnte verführerische Grinsen auf den Lippen. Seine dunklen Haare schienen noch feucht von der Dusche.
Er machte ihr ein Kompliment zu ihrem Kleid. Es war neu. Sein Muster bestand aus verzerrten roten-schwarzen Karos.
»Ist es neu? Ich habe es noch nie an dir gesehen«, sagte er dazu.
Das war ungewöhnlich aufmerksam. Nichtsdestotrotz wollte Emma nicht zugeben, dass sie für den Abend mit ihm ein neues Kleid ausgesucht und sogar das Etikett abgeschnitten hatte.
»Nein. Hab ich schon ein paar Monate«, behauptete sie also. »Ich ziehe das nur nicht in der Redaktion an.«
Tom grinste. Der Kerl war sowas von attraktiv, sowas von heiß und sich dessen sowas von bewusst. So bewusst, wie Emma sich war, dass sie verdammt noch mal wieder in seinem Bett landen würde. Freiwillig unfreiwillig. Ungeachtet aller guten Vorsätze, es diesmal, wo sie schon essen gingen, beim Essengehen zu belassen. Das Leben war eine Schlampe!
***
Auf die Kellnerin im Restaurant traf das auch zu. Scheißfreundlich hatte sie sich Tom als Pery Lynn vorgestellt, wohingegen sie Emma offenbar gern den Hals umgedreht hätte. Emma wollte Tom schon fragen, ob es sich um eine Verflossene oder einen One-Night-Stand handelte, da fiel ihr auf, dass die Frau sich an den umliegenden Tischen nicht anders verhielt. Den weiblichen Gästen knallte sie ihre Teller so garstig hin, dass die Pasta auf den Tisch rutschte, während sie den Männern am liebsten die Serviette auf dem Schoß glattgestrichen hätte. Die eine oder andere Szene hatte das zur Folge. Eine Frau schüttete ihrem Begleiter Wein ins Gesicht und konnte nur mit Mühe vom Gehen abgehalten werden.
Mit heimlichem Vergnügen verfolgten Emma und Tom, was um sie herum geschah, und sie mussten sich einige Male auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen.
»Ist diese Pery Lynn Schauspielerin?«, flüsterte Emma. »Passiert hier noch irgendwas? Ein Mord vielleicht? Ist es ein Criminal Dinner?«
Tom zuckte die Schultern und behauptete, keine Ahnung zu haben. Emma glaubte ihm nicht. Er wusste irgendwas.
»Eine der Ladies hier bringt die Tussi jedenfalls gleich um die Ecke, wenn sie keiner aufhält«, murmelte Emma weiter und beobachtete, wie Pery Lynn an einem Tisch das Weinglas des Mannes auffüllte, während sie das leere Glas der Frau beflissentlich ignorierte. Deren Griff um das Essbesteck festigte sich so sehr, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
»Wenn es sein muss, mit der Gabel.«
Emma und Tom hatten das Gleiche bestellt: Steak, eine Folienkartoffel und Gemüse. Emma bekam ihren Teller hingedeppert, Toms Teller wurde mit einem freundlichen Spruch vor ihm abgestellt. Pery Lynn hatte sich schon umgewandt, da fiel ihr etwas ein und sie drehte sich zurück, warf einen prüfenden Blick auf Emmas Steak, dann auf das von Tom. Kurzerhand tauschte sie die Teller aus. Mit einem Augenzwinkern ließ sie Tom wissen, dass er nun das größere Steak hatte. Er bedankte sich verwundert und bot Emma an, das rückgängig zu machen, sobald das Biest verschwunden war. Emma prustete los und bekam sich während des ganzen Essens kaum noch ein.
Es wurde noch besser, als Pery Lynn die Teller abräumte. Sie beugte sich zu Tom, und zwar so, dass er unweigerlich eine herrliche Aussicht in ihr Dekolleté genießen konnte. Mit gesenkter Stimme erkundigte sie sich, ob er Dessert wollte. Tom wollte Dessert. Sie fand das schön und wandte sich, ohne Emma gefragt zu haben, dem nächsten Tisch