können. Doch ein kurzer Blick in die Augen ihrer Mutter hatte ausgereicht, um zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Obwohl sie erst fünfundvierzig Jahre alt war, hatte Caroline von Großmut schwerfällig wie eine alte Frau in einem der Sessel Platz genommen.
Celina musterte ihre Mutter unruhig. Täuschte sie sich oder bildeten sich erste Fältchen um die blaugrauen Augen? Normalerweise strotzte sie vor Kraft und Lebensfreude. Warum hatte dieser Zustand sich so schlagartig geändert? Was war geschehen?
Caroline schien die Gedanken ihrer Tochter zu hören und räusperte sich, ehe sie Celina bat, sich ihr gegenüberzusetzen. Celina gehorchte mechanisch, die Spannung ließ ihr den Atem stocken. Zum ersten Mal erzählte Caroline ihr die ganze bittere Wahrheit, ohne Ausflüchte oder Verharmlosung.
»Dein Vater hat nahezu unser gesamtes Vermögen verspielt. Unsere Familie steht kurz vor dem Ruin.«
Celina fühlte sich, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Ruin? Ihre alteingesessene Familie bankrott? Das konnte nicht sein. Die Ländereien und zahlreichen Erbstücke waren selbst heutzutage fast unbezahlbar. Wie war das möglich? Was hatte Alvin getan?
»Spielsucht ist schlimmer als der Teufel in Person und weitaus zerstörerischer.« Caroline hob den Kopf, ihre Augen schienen seltsam leer. »Dein Vater hat es geschafft, fast unseren gesamten Besitz zu verkaufen oder zu verpfänden, selbst die kostbaren Juwelen unserer Vorfahren. Jene hat er wahrscheinlich unter Wert angeboten, sonst hätte sie niemand gekauft – alles, was an frühere Zeiten oder an die Aristokratie erinnert, ist doch eher ein Makel.«
Celina erstarrte. Niemals hätte sie gedacht, dass die Spielsucht des Vaters so schlimm war. Natürlich bekam Celina mit, dass Alvin oft gereizt und übellaunig war, auch zeichneten sich die ersten Spuren des Alkoholgenusses ab. Doch wer rechnete mit so etwas? Sie zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben und ihrer Mutter zu lauschen, obwohl ein Teil von ihr zum Vater laufen und ihn schütteln wollte.
»Wir haben Glück«, fuhr ihre Mutter fort, obwohl sie Celinas Anspannung bemerkte. »Unsere Dienerschaft ist verschwiegen und absolut loyal. Deswegen ist unser guter Name bis jetzt von Schande verschont geblieben …« Caroline stockte und musterte ihre Tochter. »Er ist die einzige Karte, die wir noch ausspielen können.«
Celina schaute zu Boden. Sie ahnte, was das bedeutete. »Was meinst du damit?«, erkundigte sie sich in der Hoffnung auf einen Irrtum.
»Du musst so schnell wie möglich heiraten, Celina. Eine Verbindung mit einem wohlhabenden Mann ist der einzige Ausweg.«
Celina lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte schon befürchtet, dass so etwas kommen würde. Trotz allen fortschrittlichen Denkens war Heirat für eine Frau nach wie vor die beste Möglichkeit, sich ein finanzielles Auskommen zu sichern – besonders wenn die Familie in Schwierigkeiten steckte.
Man munkelte zunehmend, dass Celina als alte Jungfer enden würde, da sie in ihrem »fortgeschrittenen Alter« noch immer keinen Heiratsantrag bekommen hatte. Zwar tat die Mutter ihr Bestes, um das abwehrende Getuschel von Celina fernzuhalten, doch die Worte, die sie durch Zufall hörte, reichten vollkommen aus. Ärgerlich war nur, dass es Celina untersagt war, sich verbal zu wehren. Frauen hatten zu schweigen, besonders in ihren gehobenen Kreisen. Celina grub ihre Zähne in die Lippen, bis das Blut hervorquoll. Sie brauchte eine Weile, um das Gesagte zu verdauen.
Eigentlich hatte sie gehofft, dass der Kelch namens Ehe noch einige Zeit an ihr vorüberziehen würde. Nicht, dass Celina etwas gegen einen Mann an ihrer Seite gehabt hätte. Nur sollte diese Verbindung auf Augenhöhe stattfinden und nicht in ein Unterordnungsverhältnis münden, wie es derzeit als selbstverständlich angesehen wurde. Beim Gedanken daran, unter dem Pantoffel ihres Gatten zu stehen und von diesem getreten zu werden, sträubte sich alles in ihr. Außerdem müsste sie sich dann mit Sicherheit von ihren geliebten Büchern trennen. Doch nun gab es wohl keine andere Möglichkeit.
Celina schluckte. Sie brauchte eine Weile, um den Blick ihrer Mutter zu erwidern. Ihrer Tochter gegenüber diese Bitte zu äußern, hatte Caroline sichtlich Überwindung gekostet, zumal ihr Celinas Einstellung zum Thema Ehemann bekannt war.
»Reicht das Geld noch für eine entsprechende Garderobe?«, fragte sie beiläufig, um nicht zu schweigen. »Wenn ich Bälle besuchen soll, kann ich nicht jeden Abend dasselbe Kleid tragen.«
»Glücklicherweise gibt es Strümpfe«, sagte Caroline und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Sie sind nicht nur angenehm zu tragen, sondern auch gut dafür, um Dinge zu verstecken. In ihnen habe ich heimlich Geld gespart.«
Celina lächelte, doch der Aufruhr in ihrem Innern ließ sich nicht beruhigen.
***
Zwei Tage später machten Caroline und sie sich auf den Weg zur Schneiderin, während der Vater daheim wieder einmal seine Pflichten verschlief. Gewaltsam hatte Celina den Impuls unterdrücken müssen, ihm eine Ohrfeige zu geben. Nur Alvin und seine Schwäche waren an allem schuld. Für gewöhnlich liebte Celina es, neue Kleider zu kaufen, den unbekannten Stoff auf ihrer Haut zu spüren. Doch diesmal hatte es einen fahlen Beigeschmack. Ihr Leben befand sich im Wandel und würde schon bald nicht mehr dasselbe sein.
***
Am nächsten Abend fand der erste Ball der Saison statt. Celina hoffte, man würde ihr den emotionalen Zwiespalt nicht allzu deutlich anmerken. Vor Kurzem hatte sie gelesen, dass jeder Mensch seine Empfindungen bis zu einem bestimmten Grad nach außen trage – bewusst oder unbewusst. Soweit Celina das beurteilen konnte, war das bei ihr aber nicht der Fall.
Im Gegenteil: Als sie den Saal betrat, folgten ihr einige verwunderte, aber auch neidische Blicke und ihre Tanzkarte war innerhalb von einer Stunde voll. Woran das lag, konnte Celina nicht sagen. Zweifelsohne war sie eine strahlende Erscheinung. Das neue Kleid aus blauem Samt betonte ihre zierliche Figur und harmonierte außerdem perfekt mit ihren roten Haaren. Jene empfand Celina eher als Makel, auch weil es ihr den Beinamen »Hexe« eingebracht hatte. Ihr Verstand spottete heimlich darüber. Aberglaube schien selbst in diesen Tagen noch eine Rolle zu spielen.
Bis zum Schluss hatte Celina sich erfolglos gegen das Korsett gesträubt. Sie hasste das Gefühl, eingeengt zu sein und unter Atemnot zu leiden. Aber Caroline hatte sich in diesem Punkt unerwartet energisch gezeigt.
»Du willst doch einen Ehemann finden, oder nicht?«, hatte sie gefragt und dabei die Schnüre immer enger gezogen, sodass Celina fast die Luft wegblieb. »Also musst du zeigen, was dein Körper zu bieten hat. Oder glaubst du, die Männer legen Wert auf Intelligenz und Rhetorik? Nein. Zuallererst sehen sie dein äußeres Erscheinungsbild und das muss für unsere Zwecke perfekt sein. Außerdem sind Frauen nicht zum Denken geschaffen. Sie sollen heiraten, ihrem Mann den Haushalt führen und ihm Kinder gebären. Das ist die Aufgabe der Frau.«
Celina verzog bei dieser absurden These das Gesicht. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Mädchen dafür geboren wurden, um früher oder später als Milchkuh für ihre Babys zu enden. Es musste doch noch etwas anderes geben.
Nur mit Mühe schaffte Celina es, diesen Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen. Sie war hier, um nach einem reichen Ehemann Ausschau zu halten, der ihre Familie vor der Schande bewahren konnte. Celina straffte die Schultern und schritt entschlossen in Richtung des Buffets. Ein Glas Champagner würde ihr guttun.
Wenige Minuten später perlte das leicht bittere Getränk ihre Kehle hinunter und Celina spürte, wie ihre Steifheit langsam, aber sicher verschwand. Erstmals an diesem Abend huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Vielleicht würde es doch ganz aufregend werden. Ohne Scheu erwiderte Celina die Blicke der zahlreichen Männer, welche an ihr vorübergingen. Es gab ältere, an deren Schläfen bereits die ersten weißen Strähnen glänzten, und jüngere, die kaum älter sein konnten als sie selbst.
Merkwürdigerweise blieben die Augen der älteren immer einige Wimpernschläge länger an ihr hängen, wobei sie offensichtlich vorwiegend auf ihren Busen starrten. Schamesröte durchzog Celinas Wangen und sie verfluchte ihre Mutter für den Zwang, das Korsett tragen zu müssen. Nicht nur, dass Celina es verabscheute, es spiegelte auch genau das wider, was sie eben nicht sein wollte. Sie atmete, so gut es ging. Stumm vor sich hin zu fluchen hatte wenig