alle durch?«, fragte er und hielt die Hand auf. Hedwig übergab ihm das Telefon, ohne auf seine Frage zu reagieren, und begann, die Küche aufzuräumen.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer durchsuchte Kalle das digitale Telefonbuch und drückte auf ›Heinrich Pomarowski‹. Er hörte die Melodie, mit der die Leitung aufgebaut wurde, dann das Besetzt-Zeichen. Schnaufend ließ er sich in seinen Sessel fallen.
Bei ›Michael Schulze‹ hatte er mehr Glück. Nach dem dritten Tuten meldete sich der gewünschte Gesprächspartner. Er wirkte etwas außer Atem und bestätigte auf Kalles Nachfrage , dass er gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen war. Kalle witterte seine Chance. Tatsächlich war er der Erste, der den Brudermeister der Sebastianus-Schützen über den tragischen Tod des beliebten Kaplans in Kenntnis setzte.
»Deshalb habe ich für morgen Abend eine Kirchenvorstandssitzung einberufen. … Ja, ich weiß, dass morgen Samstag ist. Aber heute Abend ist zu kurzfristig. … Bisher haben alle, die ich erreicht habe, zugesagt …« Musste er Schulze auf die Nase binden, dass er bisher nur eines der acht Mitglieder erreicht hatte? »Natürlich weiß ich, dass du viel um die Ohren hast …« Kalle sprach seinen Gedanken nicht aus. Vermutlich hielt man ihn für pietätlos, wenn er Schulze nahelegte, sein Bier bei der Sitzung des Kirchenvorstands zu trinken statt auf dem Schießstand. »Morgen Abend, neunzehn dreißig, im Thekenraum des Pfarrzentrums. Gut, dass du kommst. Tagesordnung? Ja, mach ich noch fertig«, versprach Kalle, beendete zügig das Gespräch und wählte die nächste Nummer.
Irgendwann zwischen dem dritten und vierten Telefonat rief Hedwig aus dem Flur: »Ich bin in der Kirche, wenn du mich suchst.« Kalle quittierte die Information mit einem stummen Kopfnicken, das seine Frau weder erwartet noch gesehen hatte. Suchen würde er sie bestimmt nicht. Dazu war er viel zu sehr mit der bevorstehenden Sitzung beschäftigt. Endlich bot sich ihm die Chance, die Pläne des Kaplans einzustampfen. Das konnte er sich nicht entgehen lassen. Dafür war er sogar bereit, die verhasste Tagesordnung am Computer zu erstellen, selbst wenn er sich dabei einen abbrach.
14
Lässig setzte Rommerskirchen seinen Audi in die enge Parklücke. Vor dem Haus stand Rike mit einem Mann mittleren Alters und winkte. Als Rommerskirchen auf die beiden zuging, streckte der Mann ihm die Hand entgegen.
»Herr Rommerskirchen, richtig? Ich bin Thomas Baumann von der Makleragentur. Schön, dass Sie so schnell kommen konnten. Dann wollen wir uns die Wohnung doch mal ansehen, solange es noch hell genug ist. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob der Vormieter noch eine Lampe hängen gelassen hat.« Er lächelte und entblößte dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne. Rike kicherte, stellte sich auf die Zehenspitzen und wartete, bis Rommerskirchen sich zu einem Kuss hinunterbeugte. Im ersten Stock über ihnen schloss jemand geräuschvoll das Fenster. Als Rommerskirchen hochschaute, schwang die Gardine heftig hin und her. Herr Baumann hatte in der Zwischenzeit die Haustür aufgeschlossen.
»Bitte, nach Ihnen«, ließ er Rike den Vortritt und schob sich lächelnd vor Rommerskirchen durch die Tür. »Wir müssen in den zweiten Stock. In diesem Haus wohnen drei Parteien. Ein ruhiges älteres Ehepaar im Parterre. Leider haben Sie nicht die Möglichkeit, den herrlichen Garten mitnutzen zu können. Auf der mittleren Etage wohnt ein alleinstehender älterer Herr, den wir zumindest eben gehört haben«, Baumann lachte am lautesten über seinen Witz, »und hier ist vielleicht Ihr zukünftiges Reich.«
Sie waren inzwischen vor der Wohnungstür angekommen und der Makler brauchte mehrere Versuche, den richtigen Schlüssel zu finden. Dann öffnete er die Tür und ließ dieses Mal beiden den Vortritt: »Voilà. Bitte sehr. Treten Sie ein. Schauen Sie sich um.«
Die Wohnung war hell und warm. Im Flur roch es nach Farbe. Links zweigten Küche und Badezimmer ab. Während Rommerskirchen das Bad inspizierte, in Gedanken als Erstes den Duschvorhang entsorgte, und die Ecken nach Stockflecken und Schimmelspuren absuchte, überboten sich Rike und der Makler in ihren Begeisterungsbekundungen über die grandiose Aussicht auf die schlichte Schönheit der romanischen Dorfkirche. Rommerskirchen trat hinter sie, warf einen Blick auf Kirche und Straße und kommentierte kurz und knapp: »Schön.« Dann inspizierte er interessiert den Herd, der aus den frühen 50ern des letzten Jahrtausends zu stammen schien. Er hätte sich gut in einem Museum gemacht, wenn jemand den Elan aufgebracht hätte, die Gebrauchsspuren und Verkrustungen der letzten Jahrzehnte zu beseitigen. Mit spitzen Fingern öffnete Rommerskirchen die Ofenklappe und stellte fest, dass es keine Innenraumbeleuchtung gab. Draußen setzte langsam die Dämmerung ein. Bei Licht hätte er die Ofentür wahrscheinlich nicht einmal berührt. Hinter der Tür stand ein Besenschrank, der fast bis unter die Decke reichte, und so schief in der Ecke lehnte, dass man vorsichtig an ihm vorbeischlich, um keinen Windhauch zu riskieren, der das Ding zum Einsturz bringen könnte.
»Schön«, wiederholte Rommerskirchen schmallippig und sah sich im hinteren Teil der Wohnung um. Der Makler hatte ihn überholt und kommentierte. »Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer.«
Rike kicherte. Rommerskirchen funkelte den Immobilienvermittler an. »Arbeitszimmer«, korrigierte er ihn.
»Der Vermieter stellt Ihnen frei, die Teppichböden zu übernehmen oder rauszureißen. Laminat untersagt er allerdings. Wegen der Lärmbelastung für die Mieter unter Ihnen.«
Es klingelte und der Makler betätigte den Türöffner, ohne die Gegensprechanlage zu benutzen.
»Wenn Sie noch Fragen haben, ich bin noch eine Weile hier. Und wenn Sie an der Wohnung interessiert sind, schicken Sie mir einfach eine SMS. Die Nummer haben Sie ja«, wandte er sich an Rike, bevor er der nächsten Interessentin die Hand schüttelte.
Rommerskirchen schaute aus dem Giebelfenster des Arbeitszimmers. In gebührendem Abstand standen zwei Reihen Häuser, dahinter erstreckten sich Felder bis zum Horizont, hier und dort von ein paar Bäumen und Büschen unterbrochen. Schließlich entdeckte er das Band der Autobahn, auf dem sich Auto an Auto im Feierabendverkehr nach Hause schob. Rike stellte sich neben ihn und hakte sich bei ihm unter.
»Und?«, fragte sie und blickte ihn erwartungsvoll an. Er schwieg. »Sag schon«, ließ sie nicht locker. »Wie gefällt sie dir?«
Er zählte bis fünf, ehe er antwortete. Rike wippte neben ihm auf und ab.
»Der Preis ist gut. Die Lage ist gut. Der Schnitt der Wohnung ist gut. Küche und Bad haben ein Fenster.« Rike strahlte. Rommerskirchen konnte sich nicht beherrschen, ihre Begeisterung zu dämpfen. »Der Herd ist scheiße. Der Teppich siffig. Und die Kacheln im Bad strahlen einen exorbitanten 70er-Jahre-Charme aus.«
Der Makler hatte unbemerkt den Raum betreten und gluckste leise. »Ist wieder voll im Trend«, bekundete er vergnügt. »Aber Ihre Kacheln sind original, nicht Retro.«
Rommerskirchen fühlte sich ertappt. Rikes runde Augen, bevor sie stumm den Blick senkte und das Zimmer verließ, brannten sich in sein Herz.
»Gibt es noch Kellerräume und einen Dachstuhl zum Wäschetrocknen?«
»Wenn Sie noch einen Augenblick Zeit haben, gehen wir gemeinsam in den Keller. Den Dachstuhl finden Sie bestimmt auch ohne mich.«
Rommerskirchen nickte und verließ die Wohnung. Er schaute ins Treppenhaus hinunter. Von Rike keine Spur. Dann stieg er die Treppe zum Dachstuhl hoch. Auf der vorletzten Stufe saß ein schlaksiger Jugendlicher und daddelte auf seinem Smartphone, das prompt mit einem Pfeifton antwortete.
»Da ist zu«, bemerkte er lapidar, als er hochschaute.
»Okay«, antwortete Rommerskirchen und hob abwinkend die Hand. »Meine Freundin und ich haben uns gerade die Wohnung im oberen Stock angesehen.«
Der Junge nickte nur kurz und schwieg.
»Wohnst du hier?«
Jetzt schüttelte er den Kopf.
»Nur zu Besuch bei meinen Großeltern.«
»Schade«, gab Rommerskirchen zurück. »Dann kannst du mir wahrscheinlich nicht verraten, ob man es hier auch längerfristig aushalten kann.« Er grinste spitzbübisch und zuckte mit den Schultern.
Der Junge tat