Barbara Steuten

Kati Küppers und der gefallene Kaplan


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seine Türen öffnete. Jetzt hatte er die Straße nicht mehr im Blick. Seufzend erhob er sich, schulterte seine Tasche und trabte am Bus vorbei Richtung Park-and-ride-Parkplatz. Von dem silbernen Corsa, den seine Oma fuhr, war immer noch nichts zu sehen.

      Schließlich wählte Benedikt die Festnetznummer seiner Großeltern. Das Telefon klingelte einmal, zweimal … zehnmal. Dann drückte Benedikt die rote Taste, knurrte vor sich hin und suchte erneut die Straße ab.

      Die nächste S-Bahn fuhr ein, lud wieder nur wenige Fahrgäste ab, und setzte ihren Weg fort. Der Bus an der Haltestelle startete den Motor. Kurz war Benedikt versucht, einzusteigen. Doch dann würde er seine Oma mit Sicherheit verpassen und das wäre der blödeste Start in die Ferien. Er schlenderte noch ein Stück weiter den Parkplatz entlang, bis er ein Fleckchen fand, an dem ihn die Sonne wieder wärmte und er die Straße im Blick hatte. Noch einmal versuchte er, Oma Kati auf ihrem Handy zu erreichen.

      8

      Der Polizeibeamte drückte jeden ihrer Finger auf ein kleines Gerät mit Touchscreen.

      »Ich hatte schon befürchtet, die nächsten Tage mit schwarzen Fingern durch die Gegend laufen zu müssen«, grinste Kati verlegen. Der Beamte zeigte keine Regung.

      »Kann ich jetzt gehen?«

      »Das entscheidet Kommissar Rommerskirchen.«

      Er deutete auf die Tür seines Büros, wo der junge Mann lässig am Türrahmen lehnte.

      »Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich Sie in Untersuchungshaft nehmen könnte.« Rommerskirchen stieß sich vom Türrahmen ab und kam auf Kati zu. »Aber da ich hoffe, dass Sie sich nicht aus dem Staub machen, sondern die Polizeiarbeit unterstützen, wie und wo Sie können, werde ich davon absehen. Hinterlassen Sie bitte Ihre Handynummer bei meinem Kollegen und achten Sie darauf, dass wir Sie erreichen können. Also, immer schön Handy aufladen. Das vergisst meine Mutter nämlich auch ständig.«

      Kati schob den Unterkiefer vor und warf dem Kommissar einen missbilligenden Blick zu, hielt aber den Mund. Wenn der junge Mann auf das Vorurteil anspielte, Frauen seien nicht technikaffin, dann hatte er in Kati etwas angestoßen, was er noch bereuen würde. Doch erst einmal konnte sie die Polizeiwache verlassen. Das allein zählte im Moment.

      »Und das Taizégebet? Kann das heute Abend in der Kirche stattfinden?«, wollte sie wissen und blickte auf die Uhr, ob für den Aufbau überhaupt noch genug Zeit blieb.

      »Himmel«, entfuhr es ihr, »mein Enkel!«

      Sie griff nach ihrer Handtasche und schloss den Reißverschluss der Jacke.

      »Die Kirche ist - bis auf den Keller - wieder freigegeben«, erwiderte Rommerskirchen. »Wir hören voneinander«, verabschiedete er Kati, während aus seiner Hosentasche die Titelmelodie des Tatorts dudelte. Mit einer Entschuldigung verließ er eilig das Büro. Kati hörte noch, dass es sich um ein privates Gespräch handeln musste, bevor sich der verbliebene Polizeibeamte nach ihrer Handynummer erkundigte.

      9

      »Hamse schon gehört?« Die Verkäuferin lehnte sich verschwörerisch über die Fleischtheke und senkte die Stimme. »Die Küppers hat den Kaplan mit Schmackes die Treppe runtergeschuppst.«

      »Ist nicht wahr«, entgegnete die Angesprochene mit aufgerissenen Augen. »Im Ernst?«

      Die Frau hinter der Theke zuckte mit den Schultern und nickte.

      Vertraulich legte Frau Friedrich der Kundin neben sich die Hand auf den Arm. »Klein aber oho, was?«

      »Ganz schön oho«, erwiderte diese und wandte sich an die Verkäuferin. »Hat er sich wat getan? Wat gebrochen?«

      »Das kamma wohl sagen«, entgegnete diese. Ihr Kopf wippte dabei auf und ab, wie der heißgeliebte Wackel-Dackel auf der Hutablage im Auto. »Et Genick hat er sich gebrochen!«

      »Ach, du lieber Gott!«, rief Frau Friedrich und schlug erschreckt die Hand vor den Mund.

      »Das hätt ich der Küppers nicht zugetraut«, warf die andere Kundin kopfschüttelnd ein. »Streit? Ja. Ävver sujett? Ne! Sicher ne Unfall, wat?«

      »Ma weiset nit.«

      Immer noch schüttelte die Kundin den Kopf. »Die Blumen waren in letzter Zeit nicht besonders.«

      »Bunt wie im Zirkus«, stimmte die Verkäuferin grimmig zu.

      »Ach, ich fand die Blumengestecke ganz hübsch. So frisch und fröhlich«, schaltete sich Frau Friedrich ein.

      »Ich krieg ja hier viel mit. Wennse sehen, wat da alles zu diesem Jugendclub kütt, den die Küppers betreibt. Ich sach Ihnen …«, mischte sich die Verkäuferin nun wieder ein und verdrehte die Augen. »Da macht ma, dat ma weiter kommt.«

      »Wie meinen sie das?«, wollte es Frau Friedrich genau wissen und die Angestellte hinter der Theke kam dieser Anfrage mit größtem Vergnügen nach.

      »Die kommen von den hohe Hüser, hinge nochem Feld zu. Und usem Nachbardörp. Schwatte mit nem Teppich om Kopp. Und Wisse mit blaujefärbte Hoor. Die Mädschers mit kaputte Jeans un Fluppe, die Jungs mit lange Haare un Bierfläsch.«

      »Der Jugendclub findet doch im Pfarrzentrum statt. Da gibt es doch sicher für die Kinder weder Bier noch Zigaretten.«

      Frau Friedrich runzelte skeptisch die Stirn.

      »Drinnen nich.« Die Verkäuferin zog sich beleidigt ein Stück zurück und schwieg, doch ehe sie die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörerinnen verlor, lehnte sie sich wieder vor. »Letztes Mal waren sojar drei Mädschen mit Kopftuch dabei. Wat saren Se jetz?« Die Kundinnen sahen sich erstaunt an und die Verkäuferin fuhr triumphierend fort: »Und dä Krach. Ma hört ja nur wumm wumm wumm. Dat soll Musik sein? Wer weiß denn schon, wat da drin abgeht?«

      »Pater Remigius hat da sicher ein Auge drauf. Meinen Sie nicht?«

      »Dem Kaplan hät et nit jefallen. Deshalb hat dä ja sin eijen Show veranstaltet.«

      »Und deshalb haben sich die beiden gekloppt? Und die Küsterin hat den Kaplan die Treppe runter geschuppst?«

      Von draußen wehte ein kalter Wind herein, als die Tür zur Metzgerei geöffnet wurde. Die Verkäuferin straffte den Rücken.

      »Darf es sonst noch was sein, Frau Friedrich?«, fragte sie geschäftsmäßig in einwandfreiem Hochdeutsch.

      Frau Friedrich zuckte zusammen und widerstand dem Impuls, sich umzudrehen, um zu sehen, wer gerade den Laden betreten hatte.

      »Einen halben Ring Schinkenwurst ohne Knoblauch, bitte. Und eine Lage Tiroler Schinkenspeck, dünn geschnitten.«

      10

      Der Wind hatte spürbar an Kraft und Kälte zugenommen. Benedikt schlug den Kragen seiner Jacke hoch und zog den Kopf zwischen die Schultern. Noch immer versuchte er, Oma Kati zu erreichen, als er aus den Augenwinkeln einen hellen Wagen auf sich zurasen sah. Hastig sprang er einen Schritt von der Bordsteinkante weg. Das Auto hielt mit quietschenden Bremsen auf seiner Höhe und das Fenster wurde heruntergelassen. Benedikt musste sich bücken, um in das Wageninnere sehen zu können. Dort saß Oma Kati und fuchtelte wild mit den Armen.

      »Tut mir leid, mein Schatz. Steig schnell ein. Hier ist heute die Hölle los.«

      Benedikt hob die Augenbrauen und grinste. Die Ferien begannen vielversprechend. Er stellte die Sporttasche in den Kofferraum und kletterte auf den Beifahrersitz. Vor ihm auf dem Armaturenbrett prangte ein Aufkleber in leuchtendem Orange mit dem Warnhinweis: ›Fahre nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann‹. Ob sich Oma heute daran hielt?

      »Du fährst, als ob der Teufel hinter dir her ist«, bemerkte Benedikt grinsend. Oma Kati schnaubte.

      »Wer auch immer hinter mir her ist, er meint es nicht gut mit mir. Schon möglich, dass es der Leibhaftige ist.« Sie blinzelte ihrem Enkel zu und konzentrierte sich schnell wieder auf die Straße. »Schön, dass du da bist. Ich fürchte,