Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk


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Josef, diesen Krieg gewinnen wir!‹«

      »Ich konnt nicht untätig bleiben«, erklärte Schwejk, seine guten Augen auf das Antlitz des Inquisitors heftend, »ich war so aufgeregt, wie ich gesehn hab, daß alle das Kriegsmanifest lesen und keine Freude zeigen. Keine Hochrufe, kein Hurra, überhaupt nichts, Herr Rat. So wie wenns sie überhaupt nichts angehn möcht. Und da hab ich alter Soldat von den Einundneunzigern nicht mehr länger zuschaun können und hab diese Sätze ausgerufen, und ich denk, wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, daß Sie es gradso gemacht hätten wie ich. Wenn schon Krieg is, müssen wir ihn gewinnen, und man muß dem Kaiser Heil rufen, das wird mir keiner ausreden!«

      Überwunden und zerknirscht ertrug das schwarzgelbe Raubtier nicht den Blick des unschuldigen Schäfchens Schwejk; es senkte die Augen auf die Gerichtsakten und sagte: »Ich anerkenne vollkommen Ihre Begeisterung, aber Sie hätten sie unter andern Umständen bekunden müssen. Sie wissen selbst gut, daß ein Polizist Sie geführt hat, so daß so eine patriotische Kundgebung auf die Bevölkerung eher ironisch als ernsthaft wirken konnte und mußte.«

      »Wenn jemanden ein Polizist führt«, entgegnete Schwejk, »is das ein schwerer Moment im Menschenleben. Aber wenn man nicht mal in so schweren Momenten vergißt, was sich zu tun gebührt, wenn Krieg is, so denk ich, dann is man kein schlechter Mensch.«

      Das schwarzgelbe Raubtier knurrte und schaute Schwejk noch einmal in die Augen.

      Schwejk antwortete mit der unschuldigen, weichen, bescheidenen und sanften Wärme seines Blickes.

      Eine Zeitlang blickten einander die beiden unverwandt an.

      »Hol Sie der Teufel, Schwejk«, sagte schließlich der Amtsbart, »wenn Sie noch einmal herkommen, werde ich Sie überhaupt nicht mehr ausfragen, und Sie werden direkt ins Militärgericht auf den Hradschin wandern. Haben Sie verstanden?«

      Und eh er sichs versah, schritt Schwejk auf ihn zu, küßte ihm die Hand und sagte: »Vergelts Gott tausendmal. Wenn Sie mal ein Hunterl brauchen sollten, wenden Sie sich gefälligst an mich. Ich hab ein Geschäft mit Hunden.«

      Und so befand sich Schwejk wieder in Freiheit und auf dem Weg zu seinem Heim.

      Seine Erwägung, ob er sich zuerst beim »Kelch« aufhalten sollte, endete damit, daß er jene Türe öffnete, durch die er vor einiger Zeit in Begleitung des Detektivs Bretschneider geschritten war.

      Im Ausschank herrschte Grabesstille. Es saßen dort einige Gäste, unter ihnen der Küster von der Apollinarkirche. Sie sahen bekümmert aus. Hinter dem Schanktisch saß die Wirtin Palivec und blickte stumpf auf die Bierhähne.

      »Also da bin ich schon wieder«, sagte Schwejk lustig, »geben Sie mir ein Glas Bier. Wo hamr denn den Herrn Palivec, is er auch schon zu Haus?«

      Statt einer Antwort begann die Palivec zu weinen. Sie stöhnte, und indem sie ihr Unglück in eine eigentümliche Betonung jedes Wortes zusammenfaßte, hub sie an: »Sie – ham – ihm – zehn – Jahre – aufgebrummt – vor – einer Woche …«

      »No also«, sagte Schwejk, »da hat er also schon sieben Tage hinter sich.«

      »Er war so vorsichtig«, weinte die Palivec, »er hats selbst immer von sich behauptet.«

      Die Gäste im Ausschank schwiegen hartnäckig, als gehe hier der Geist des Palivec um und mahne sie zu noch größerer Vorsicht.

      »Vorsicht is die Mutter der Weisheit«, sagte Schwejk, während er sich an den Tisch zu einem Glas Bier setzte, in dessen Schaum sich kleine Löcher befanden, die durch die herabtropfenden Tränen der Frau Palivec entstanden waren, als sie Schwejk das Bier auf den Tisch getragen hatte, »heutzutage sind die Zeiten so, daß sie einen zur Vorsicht zwingen.«

      »Gestern hamr zwei Begräbnisse gehabt«, lenkte der Küster von der Apollinarkirche das Gespräch auf ein anderes Geleise.

      »Da is wohl jemand gestorben«, sagte ein anderer Gast, worauf ein dritter hinzufügte: »Warens Begräbnisse erster Klasse?«

      »Ich möcht gern wissen«, sagte Schwejk, »wie jetzt im Krieg die Militärbegräbnisse sein wern.«

      Die Gäste erhoben sich, zahlten und gingen still davon. Schwejk blieb allein mit Frau Palivec.

      »Das hab ich mir nicht gedacht«, sagte er, »daß sie einen unschuldigen Menschen zu zehn Jahren verurteilen wern. Daß sie einen unschuldigen Menschen zu fünf Jahren verurteilt ham, das hab ich schon gehört, aber zehn, das is bißl viel.«

      »Wenn mein Alter gestanden hat!« weinte die Palivec. »Wie er das hier von den Fliegen gesagt hat und von dem Bild, so hat ers auch auf der Direktion und bei Gericht wiederholt. Ich war bei der Hauptverhandlung als Zeugin, aber was hab ich bezeugen können, wenn sie mir gesagt ham, daß ich in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu meinem Mann steh und daß ich mich der Zeugenschaft entschlagen kann. Ich hab mich so erschreckt über dieses verwandtschaftliche Verhältnis, damit draus vielleicht nicht was wird, so hab ich mich der Zeugenschaft entschlagen, und der arme Kerl hat mich so angeschaut, mein Leben lang wer ich seine Augen nicht vergessen. Und dann, nach dem Urteil, wie man ihn abgeführt hat, hat er auf dem Gang geschrien, so blöd war er davon: ›Es lebe der Freie Gedanke1!‹«

      »Und Herr Bretschneider geht nicht mehr her?« fragte Schwejk.

      »Er war paarmal hier«, erwiderte die Wirtin, »hat ein oder zwei Biere getrunken, hat mich gefragt, wer hergeht und hat zugehört, wie die Gäste vom Fußball reden. Immer, wenn sie ihn sehn, reden sie nur vom Fußball. Und mit ihm hats gezuckt, als ob er jede Weile hätt toben und sich winden wolln. Während dieser ganzen Zeit is ihm nur ein einziger Tapezierer aus der Quergasse aufn Leim gegangen.«

      »Es is Übungssache«, bemerkte Schwejk, »war der Tapezierer ein dummer Mensch?«

      »Ungefähr wie mein Mann«, antwortete sie unter Tränen, »er hat ihn gefragt, ob er auf die Serben schießen möcht. Und da hat er ihm gesagt, daß er nicht schießen kann, daß er einmal bei einer Schießbude war und dort die Krone durchschossen hat. Dann hamr alle gehört, daß der Herr Bretschneider gesagt hat, wie er sein Notizbuch herausgezogen hat: ›Da schau her, wieder ein neuer hübscher Hochverrat!‹, und dann is er mit dem Tapezierer aus der Quergasse fortgegangen, und der is nicht mehr zurückgekommen.«

      »Ja, ja, es wern ihrer viele nicht mehr zurückkommen«, sagte Schwejk, »geben Sie mir einen Rum.«

      Schwejk ließ sich gerade zum zweitenmal Rum einschenken, als der Geheimpolizist Bretschneider die Wirtsstube betrat. Er warf einen hastigen Blick in den Ausschank und in das leere Lokal, setzte sich zu Schwejk, bestellte ein Bier und wartete, was Schwejk sagen würde.

      Schwejk nahm eine Zeitung vom Ständer und bemerkte, während er die rückwärtige Inseratenseite betrachtete: »Na also, dieser Tschimpera in Straschkow Nummer 5, Post Ratschinewes, verkauft seine Wirtschaft mit dreizehn Strich eigenen Feldern, Schule und Bahn im Ort.«

      Bretschneider trommelte nervös mit den Fingern, drehte sich zu Schwejk herum und sagte: »Das wundert mich aber, daß Sie diese Wirtschaft interessiert, Herr Schwejk.«

      »Ach, das sind Sie«, sagte Schwejk, indem er ihm die Hand reichte, »ich hab Sie nicht gleich erkannt, ich hab ein sehr schlechtes Gedächtnis. Zum letztenmal hamr uns, wenn ich mich nicht irr, in der Aufnahmskanzlei der Polizeidirektion gesehen. Was machen Sie denn seit der Zeit, kommen Sie oft her?«

      »Ich bin heut Ihretwegen gekommen«, sagte Bretschneider, »mir wurde auf der Polizeidirektion mitgeteilt, daß Sie Hunde verkaufen. Ich brauche einen Rattler oder Spitz oder etwas Ähnliches.«

      »Das kann ich Ihnen alles verschaffen«, antwortete Schwejk, »wünschen Sie ein reinrassiges Tier oder so einen Straßenköter?«

      »Ich glaube«, entgegnete Bretschneider, »daß ich mich für ein reinrassiges Tier entscheiden werde.«

      »Und wie wärs mit einem Polizeihund?« fragte Schwejk, »so einen, was gleich alles ausschnüffelt und auf die Spur des Verbrechens führt? Ein Fleischer in Wrschowitz