alle wegen des Fischfangs im Fluß zum Teil von ihm ab, falls der Prozeß eine solche Wendung nahm. Und trotzdem kam ihnen keine der offiziellen Persönlichkeiten entgegen. Miussow blickte zerstreut auf die Grabsteine neben der Kirche und wollte schon die Bemerkung fallenlassen, die Hinterbliebenen hätten für das Recht, ihre Toten an einem so »heiligen« Ort zu bestatten, gewiß gehörig zahlen müssen; aber er schwieg: die einfache Ironie des Liberalen hatte sich schon fast in Zorn verwandelt.
»Zum Teufel, bei wem können wir uns in diesem Durcheinander hier bloß erkundigen? Das müßten wir klären, sonst vergeht unnütz die Zeit«, murmelte er wie im Selbstgespräch.
Auf einmal trat ein ältlicher, kahlköpfiger Herr im bequemen Sommermantel, mit süßlichen kleinen Augen zu ihnen. Er lüftete den Hut und stellte sich mit honigsüßem Lispeln als Gutsbesitzer Maximow aus Tula vor. Sogleich ging er auf die Verlegenheit der Reisenden ein.
»Der Starez Sossima wohnt in der Einsiedelei, vollkommen abgeschlossen, vierhundert Schritte vom Kloster, durch das Wäldchen, durch das Wäldchen ...«
»Das weiß ich auch, daß wir durch ein Wäldchen müssen«, erwiderte Fjodor Pawlowitsch, »aber ich habe den Weg vergessen; ich bin lange nicht hier gewesen.«
»Durch dieses Tor und dann geradeaus durch das Wäldchen ... Durch das Wäldchen. Kommen Sie nur! Wenn es Ihnen recht ist. Ich muß selbst ... Ich selbst ... Bitte hier, hier ...«
Sie gingen durch das Tor und schlugen die Richtung nach dem Wäldchen ein. Der Gutsbesitzer Maximow, ein Mann von etwa sechzig Jahren ging oder, richtiger, lief neben ihnen her, wobei er alle mit einer krampfhaften, schier unglaublichen Neugier betrachtete. Seine Augen hatten etwas Glotzendes.
»Wissen Sie, wir wollen in einer persönlichen Angelegenheit zu diesem Starez«, sagte Miussow in strengem Ton. »Wir haben sozusagen eine Audienz bei dieser Persönlichkeit bewilligt erhalten. Und daher möchten wir Sie doch bitten, so dankbar wir Ihnen für die Führerschaft sind, nicht gleichzeitig mit uns hineinzugehen.«
»Ich war schon drin, ich war schon ... Un chevalier parfait!« Der Gutsbesitzer schnippte mit den Fingern in der Luft.
»Wer ist so ein chevalier?« fragte Miussow.
»Der Starez, dieser prächtige Starez. Der Starez. Die Ehre und der Ruhm des Klosters. Sossima. Das ist ein Starez, der ...«
Sein wirres Gerede wurde durch einen Mönch, der die Besucher einholte, unterbrochen; er trug eine Kapuze, war von kleiner Statur und sah blaß und abgezehrt aus. Fjodor Pawlowitsch und Miussow blieben stehen, und der Mönch sagte mit überaus höflicher, tiefer Verbeugung: »Der Vater Abt bittet Sie, meine Herren, gehorsamst, nach Ihrem Besuch in der Einsiedelei bei ihm speisen zu wollen. Bitte um ein Uhr bei ihm, nicht später. Und Sie ebenfalls«, wandte er sich an Maximow.
»Das werde ich unbedingt tun!« rief Fjodor Pawlowitsch, der sich über die Einladung gewaltig freute. »Unbedingt. Und wissen Sie, wir haben uns das Wort gegeben, uns anständig zu betragen. Und Sie, Pjotr Alexandrowitsch, kommen Sie auch mit?«
»Warum denn nicht? Wieso bin ich sonst hergefahren, wenn ich nicht alle Bräuche hier kennenlerne! Nur eines stimmt mich bedenklich, Fjodor Pawlowitsch, daß ich jetzt mit Ihnen ...«
»Ja, ja, Dmitri Fjodorowitsch ist noch nicht da.«
»Das beste wäre, er bliebe ganz weg. Glauben Sie vielleicht, Ihre Stümpereien machen mir Spaß, und dazu noch mit Ihnen? Also wir kommen zum Mittagessen; bestellen Sie dem Vater Abt unseren Dank!« wandte er sich an den Mönch.
»Es ist auch noch meine Pflicht, Sie zum Starez zu führen«, antwortete der Mönch.
»Ich aber will, wenn es so ist, zum Vater Abt. Ich werde inzwischen geradewegs zum Vater Abt gehen«, schnatterte der Gutsbesitzer Maximow.
»Der Vater Abt ist augenblicklich beschäftigt; aber wie es Ihnen beliebt ...«, sagte der Mönch unsicher.
»Ein aufdringlicher alter Kerl« meinte Miussow, als der Gutsbesitzer Maximow zum Kloster zurücklief.
»Er hat Ähnlichkeit mit von Sohn«, sagte plötzlich Fjodor Pawlowitsch.
»Weiter wissen Sie wohl auch nichts! Wieso hat er Ähnlichkeit mit von Sohn? Haben Sie vielleicht von Sohn gesehen?«
»Eine Photographie von ihm. Die Ähnlichkeit liegt nicht in den Gesichtszügen, sondern – das läßt sich nicht erklären. Das vollkommenste Ebenbild des Herrn von Sohn. Ich erkenne das immer schon an der Physiognomie.«
»Na meinetwegen, Sie sind ja Kenner in solchen Dingen. Nur noch eines, Fjodor Pawlowitsch: Sie haben eben selbst gesagt, wir hätten versprochen, uns anständig zu benehmen. Sie erinnern sich. Ich rate Ihnen, beherrschen Sie sich! Sollten Sie anfangen, den Possenreißer zu spielen – ich bin nicht gewillt, mich mit Ihnen auf eine Stufe stellen zu lassen ... Sehen Sie, was das für ein Mensch ist!« wandte er sich an den Mönch. »Ich fürchte mich, mit ihm unter anständige Leute zu gehen.«
Auf den blassen, blutlosen Lippen des Mönchs erschien ein leises, diskretes Lächeln, in seiner Art nicht ohne Schlauheit, doch er erwiderte nichts, und man spürte deutlich: er schwieg im Bewußtsein der eigenen Würde. Miussows Gesicht wurde noch finsterer.
›Ach, hol sie alle der Teufel!‹ dachte er. Ein bißchen Fassade, die sie sich im Laufe der Jahrhunderte erarbeitet haben – aber im Grunde ist das Scharlatanerie und dummes Zeug!‹
»Da ist die Einsiedelei; wir sind am Ziel!« rief Fjodor Pawlowitsch. »Aber das Tor in der Mauer ist zu.« Und er begann vor den Heiligen, die über und neben dem Tor gemalt waren, große Kreuze zu schlagen.
»Wenn man in ein fremdes Kloster geht, darf man sein eigenes Reglement nicht mit hineinnehmen«, sagte er. »Insgesamt fünfundzwanzig Heilige leben hier in der Einsiedelei für ihr Seelenheil, beobachten sich gegenseitig und essen Kohl. Und keine einzige Frau lassen sie durch dieses Tor, das ist besonders interessant! Es soll tatsächlich so sein. Bloß ich habe auch gehört, daß der Starez Damen empfängt?« fragte er auf einmal den Mönch.
»Frauen aus dem Volk sind auch jetzt hier. Sehen Sie, dort an der Galerie warten welche. Für bessere Damen sind auf der Galerie, aber außerhalb der Mauer, zwei kleine Zimmer angebaut; das dort sind die Fenster. Der Starez kommt, wenn er gesund ist, von innen durch einen Gang zu ihnen heraus, doch, wie gesagt, immer nur außerhalb der Mauer. Auch jetzt ist eine Dame da, eine Frau Chochlakowa, Gutsbesitzerin aus Charkow; sie wartet mit ihrer gelähmten Tochter. Wahrscheinlich hat er versprochen, zu ihnen herauszukommen, obgleich er in der letzten Zeit so schwach ist, daß er sich auch dem Volk kaum zeigt.«
»Es gibt also doch ein Schlupfloch aus der Einsiedelei zu den Damen! Glauben Sie nicht, daß ich etwas Böses denke, frommer Vater, ich meine nur so. Wissen Sie, auf dem Athos, von dem haben Sie doch schon gehört, sind nicht nur Weiberbesuche verboten, es sind überhaupt keine Weiber oder sonstige weibliche Wesen gestattet, keine Hennen, Puten, Kühe ...«
»Fjodor Pawlowitsch, ich kehre gleich um und lasse Sie allein! Man wird Sie, wenn ich nicht dabei bin, zur Tür hinausführen; das prophezeie ich Ihnen!«
»Was habe ich Ihnen denn getan, Pjotr Alexandrowitsch? Sehen Sie nur«, rief er plötzlich, als er hinter die Mauer der Einsiedelei getreten war, »sehen Sie nur, in was für einem Rosental die Leute hier leben!«
In der Tat wuchsen dort zwar keine Rosen mehr, aber doch zahlreiche seltene, schöne Herbstblumen, wo immer man nur welche anpflanzen konnte. Offenbar wurden sie von kundiger Hand gepflegt. Auf dem Kirchenplatz und zwischen den Gräbern waren Blumenbeete angelegt. Das einstöckige, vor dem Eingang mit einer Galerie versehene Holzhäuschen, in dem die Zelle des Starez lag, war ebenfalls von Blumen umgeben.
»War das auch schon bei dem früheren Starez so, bei Warsonofi? Man sagt, er habe nichts Schönes leiden können? Aufgesprungen soll er sein, um mit dem Stock nach Frauen zu schlagen«, bemerkte Fjodor Pawlowitsch, als er die Stufen zur Eingangstür hinaufstieg.
»Der Starez Warsonofi machte wirklich mitunter den Eindruck eines frommen Irren;