das Beste an allem.
Besonders, weil Louisa und Tom wegen der Studiererei, der gerade zu Ende gegangenen Lehre und dem nun beginnenden Nebenjob ihre besten Freunde seit fast vier Monaten nicht mehr gesehen hatten.
Katrin noch länger.
Was genau sie gerade tat, wusste Tom nicht einmal.
Auf StudiVZ hatte sie nur den einen oder anderen Kommentar gepostet und auf Nachfragen gar nicht mehr reagiert.
Außerdem, und das war das Allerwichtigste, konnten sie endlich wieder ihre Seele baumeln lassen. Wieder unbeschwert und gelöst sein. Da gab es jetzt keine Prüfungen, keine Praktika, keine Furcht vor dem nächsten, markerschütternden Fall, der die Seele mit Angst erfüllte und die Träume in der Nacht zum Vibrieren brachte.
„Das ist unser Bus, da“, sagte Tom.
Er hatte die Hand ausgestreckt und zeigte zu jenem orangefarbenen verrotteten Bus, der sie hinauf nach Cala Millor bringen sollte.
Schließlich, als sie im Bus saßen, im hintersten Bereich, Louisa ihren Kopf an seine Schulter legte, sich mit der Hand über den Bauch strich und die Augen geschlossen hielt, weil sie plötzlich unendlich müde geworden war, meinte Tom, niemals glücklicher gewesen zu sein.
Nicht nur, dass die Sonne schien, dass der Bus sich ruckelnd und knatternd in Bewegung setzte, es war auch der innere Moment der Zufriedenheit, den er spürte. Er war plötzlich wieder achtzehn … Ein Abiturient. Von der Welt erwartet …
… Er war frei.
*
„Alter, du wirst immer fetter“, war Ollis Begrüßung, als sich Tom und Louisa gerade an der Rezeption registrieren ließen. „Und du immer langweiliger. Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“
„Du bist und bleibst ein Arsch“, kommentierte Louisa. Sie sah nicht einmal auf, während sie sich mit ihrer geschwungenen, sauberen Handschrift auf dem Formular verewigte. „Ich weiß gar nicht, wieso ich mich auf dich gefreut habe.“
„Weil du weißt, was dich in unvergesslichen zwölf Tagen mit mir erwartet.“
Tom musste lachen.
„Schön, dich zu sehen“, sagte er, breitete die Arme aus und drückte seinen besten Kumpel an sich.
„Wenn du nicht zu breit um die Hüften wärst, würde ich dir das Gleiche sagen!“
„Was hast du denn mit meiner Figur? Ich habe nicht ein Kilo zugenommen.“
„Komisch. Sieht aber so aus. Ein Sixpack ist das nicht.“
„Das hatte ich nie.“
„Stimmt“, machte Olli. „Das war ja mein Ressort!“
Tom grinste weiter, während er an Olli vorbei zu der verlegenen jungen Frau schaute, deren Minirock viel zu viel Bein freigab. Das üppig ausgeschnittene De¬kolle¬té präsentierte zwei prachtvolle Brüste. Man wusste gar nicht, wohin man als Erstes schauen sollte.
Sie stand da, die Knie aneinander gelegt, den linken Fuß auf die Zehenspitzen gestellt und in den Händen eine kleine rosa Tasche, auf der sie eine Melodie zu spielen schien. Sie lächelte unsicher, als sie merkte, dass Tom sie ansah. Ihr zartes: „Hi“ war so leise, dass man es nur erahnen, nicht hören konnte.
„Hi“, sagte auch Tom.
„Oh ja, habe ich ja fast vergessen zu erwähnen. Ich habe mir eine Begleitung für den Urlaub mitgebracht.“
Eine Nutte?, wollte Tom ihn spontan fragen – ohne es zu tun.
Als ihm die Frage auf der Zunge lag, fielen seine Blicke auf ihr zart geschnittenes, jugendliches Gesicht. Es hatte eine unbeschreibliche, eine ihn tief berührende Verletzlichkeit an sich, sodass er wusste, seine Vermutung, es hier mit einem leichten Mädchen zu tun zu haben, war völlig falsch.
So billig sie auch gekleidet war, so albern sie ihre Locken auch hochgesteckt hatte, sie besaß eine weiche, eine sie umschließende Aura von Unschuld, dass Tom sich ernsthaft zu fragen begann, was solch eine Frau von einem Kerl wie Olli wollte.
Jeder, der auch nur für einen Augenblick mit Olli in Kontakt war – und dabei alle Latten am Zaun hatte –, durchschaute ihn schneller, als man durch ein Fenster gucken konnte.
Olli wollte Spaß.
Keine Verpflichtungen.
Dem simplen, hemmungslosen Lauf der Natur folgen, der darin bestand, eine Frau kennenzulernen, ihr Honig ums Maul zu schmieren und sie dann genüsslich und mit voller Inbrunst in derselben Nacht noch ins Bett zu bekommen.
„Das ist Denise“, stellte er sie lapidar vor. „Nettes Mädchen.“
„Schön, dich kennenzulernen“, sagte Tom und streckte ihr die Hand entgegen.
„Freut mich auch“, erwiderte sie.
„Das ist Tom“, sagte Olli und musterte die noch immer an der Rezeption stehende, ihm den Rücken zuwendende Louisa. „Erfolgloser Schriftsteller.“
„Hey“, protestierte Tom.
„Oh, hab ich schon zu viel verraten?“
„Ich bin nicht erfolglos.“
„Ach, ist dein Roman jetzt doch verlegt worden?“, wollte Olli wissen und ließ seine Blicke ungeniert über Louisas sich weich unter dem Stoff ihrer kurzen Hose abzeichnenden Hintern wandern.
„Ich arbeite daran!“
„Wie schon seit Jahren“ Olli winkte ab und berührte damit einen wunden Punkt bei Tom, sodass der ihm am liebsten in die Fresse geschlagen hätte.
So schwer es Tom auch fiel, in all der Wut und dem Schmerz, den er gerade empfand, hatte sich etwas eingeschlichen, dem er gern ausgewichen wäre. Etwas, das er, wenn er ehrlich war, im ganzen Urlaub gar nicht angeschnitten hätte.
Was ging es die anderen an, wie es sich mit ihm und seiner Schreiberei entwickelte?
Dass er nur deshalb einen ungeliebten Nebenjob machte, weil er nicht wollte, dass Louisa die karge Unterstützung ihrer Eltern allein für Miete, Haushalt und Lebensmittel ausgab?
Gar nichts.
Das hatte die anderen nicht zu interessieren.
„Das wird schon“, verteidigte er sich schwach und schloss die Augen, als er Louisa aus dem Hintergrund sagen hörte: „Man muss an die Menschen glauben, die man liebt, Olli. Schwer für dich nachzuvollziehen, weil du nur dich selbst liebst. Tom würde es gut tun, wenn du nur einmal positiv über ihn reden würdest.“
Das war der nächste Schlag in die Magengrube.
So sehr er es auch immer genoss, dass Louisa ihm beistand, egal, was kam und egal, was kommen würde. In solchen Momenten, da er seine Schlachten allein zu schlagen versuchte, wollte er nicht, dass seine Freundin Partei für ihn ergriff. Er wollte nicht, dass sie sich vor anderen aufbaute – meist vor ihrem Vater –, um allen zu erklären, wie sehr sie an Tom glaubte und sich sicher war, dass das nächste Buch, das er in Angriff nahm, endlich einen Verlag oder wenigstens eine Agentur fand und veröffentlicht wurde.
„Was redest du da?“, lachte Olli. „Ich glaube an alles, was Tom macht. Zum Beispiel auch daran, dass er mehr isst, als ihm gut tut!“
Olli stupste Tom mit dem Zeigefinger in den Bauch und zwinkerte ihm zu.
Toms Gesicht blieb regungslos wie eine Maske.
„Ich werde bald veröffentlichen“, sagte er.
„Ich weiß.“ Olli lachte mit einem Tonfall, den Tom nicht fassen konnte.
Einerseits glaubte er, dass er unendlich viel Hohn und Spott darin hörte, andererseits war darin auch etwas verborgen, das er nicht gleich fassen konnte. Eine fremder, ein für Olli untypischer Unterton, der etwas Bekräftigendes, etwas Bejahendes an sich hatte, das Tom verwirrt blinzeln ließ.
„Ich