Thomas Tippner

Urlaubsküsse - Liebesroman


Скачать книгу

führten, hatten die Gründungsväter die kleine Stadt in der Bucht von Son Servera gewiss nicht angelegt. Ebenso gerade wie die Straßen Cala Millors, so geradlinig, hatte er gemeint, würde auch seine Zukunft sein.

      Jetzt aber, da seine Blicke über die gebohnerten, im Licht des vergehenden Tages schimmernden Fliesen schweiften, begriff er, dass das Leben niemals so sein würde, wie man es plante oder gern gehabt hätte. Es gab immer Unwegsamkeiten, immer die eine oder andere Hürde zu nehmen.

      Der Zauber einer Hotellobby, dachte er wieder und schaute weg von der Gruppe junger Leute und hin zu dem Eingang zum Speisesaal. Es ist wie immer.

      Der Duft des frisch zubereiteten Essens war ebenso präsent wie die Gedanken und Gefühle, die in einem hochschwappten, wenn man hier stand und dem Hupen der Autos lauschte, die einige Meter entfernt über die Straße bretterten; oder dem Murmeln und Flüstern der anderen Menschen, die hier warteten.

      Er war im Urlaub …

      … endlich.

      Er war auf Mallorca.

      … und alles war anders.

      „Ah, da seid ihr ja“, sagte er, als er die Vierergruppe auf sich zukommen sah, die Hand zum Gruß erhoben. Ihm war bei diesem Anblick, als werde ihm mit einem scharf geschliffenen Messer mitten in den Bauch gestochen …

      *

      2000:

      Vier Jahre hatten sie gebraucht, um zurück nach Mallorca zu kommen.

      Vier Jahre, die einiges verändert und noch mehr vertieft hatten, wie Tom fand. Jetzt, da er am Flughafen von Palma de Mallorca stand und ihm der warme, angenehme weiche Wind den salzigen Geruch vom Meer in die Nase trieb, war es ihm, als wären sie niemals weg gewesen. Als würden sie noch immer darauf anstoßen, ihr Abitur bestanden zu haben.

      Alles fühlte sich so vertraut an.

      So unfassbar lebendig und echt, dass er kurz die Augen schließen musste, um sich darüber im Klaren zu werden, dass sie wieder hier waren. Dass Louisa und er gerade eben noch nebeneinander im Flugzeug gesessen hatten und sich kichernd fragten: „Sagen wir es ihnen heute oder im Laufe des Urlaubs?“

      Tom war dafür gewesen, es sofort und gleich zu tun – wie immer, wenn es darum ging, eine Neuigkeit hinauszuposaunen. So wie damals, als er in Hamburg gelandet war, seine Eltern auf ihn warteten und er ihnen mit erstickter Stimme gleich sagen musste: „Ich habe eine Freundin!“

      Louisa, völlig überrascht von seiner plötzlichen Spontanität, bekam nur ein „Äh“ heraus, als Toms Vater seinem Sohn auf die Schulter klopfte und sagte: „Hab ich dir doch gesagt, mein Freund. Wir haben den gleichen Geschmack!“

      „Das tut mir so schrecklich leid“, hatte Toms Mutter zu Louisa gesagt und ihr einen mitleidigen Blick zugeworfen, den sie ihr heute noch, vier Jahre später, zuwarf, wenn Vater und Sohn meinten, lustig zu sein. „Aber die beiden sind leider nun mal so.“

      „Werde ich mich daran gewöhnen müssen.“

      „Wirst du!“

      Damit hatten Toms Mutter und Louisa eine seltsame Art von Einigung erzielt, die er nicht immer durchschaute. Es war, als seien die beiden plötzlich beste Freundinnen, die sich von nichts und niemandem zu einem Risiko überreden ließen. Er brauchte nur an das zurückliegende Weihnachtsfest denken, als er mit seinem Bruder scherzte, wer von beiden als Erster mit einem Hai ins Wasser steigen würde.

      Erst kürzlich hatte er gelesen, dass es gerade in war, in einen Gitterkäfig zu klettern und sich dann, mit Taucherausrüstung versehen, ins Meer hinabsenken zu lassen, um einen Hai aus nächster Nähe zu betrachten.

      Wagemutige, wie Tom sie nannte, Verrückte, wie Louisa sie zu bezeichnen pflegte, hatten sich dabei filmen und fotografieren lassen, wie sie ihre Hand aus den Gitterstäben herausstreckten und mit den Fingerspitzen über die raue, körnig wirkende Haut des Raubfischs strichen.

      Und in genau dem Moment, als Tom rief: „Das werde wohl ich sein. Ich bin immer der Erste von uns dreien!“, hatte er bemerkt, wie seine Mutter und Louisa einen vielsagenden Blick miteinander wechselten.

      Einen Blick, der eine stumme Übereinkunft traf, die sein Schicksal maßgeblich beeinflussen würde.

      Zunächst war er der Ansicht, dass sie sich über ihn lustig machten. Dass sie beide ihn nicht für ganz voll nahmen … was sie gern taten, wenn sie zusammen auf dem Sofa saßen, einen Sekt tranken und sich darüber freuten, was für waghalsige Pläne er ersann. Oft genug drehten sich seine Überlegungen um die Veröffentlichung seines Debütromans.

      Dann aber, als er sich hinterfragte, begriff er, dass sie beiden sich alles andere als lustig darüber machten, was er sagte oder tat. Er musste sich eingestehen, dass sie beiden längst beschlossen hatten, was er tun und was er nicht tun würde.

      „Das wollen wir doch einmal sehen, du Maulheld“, hatte sein Bruder Björn gemeint.

      Eigentlich hatte Tom voller Inbrunst sagen wollen: „Das beweise ich dir schon!“ Doch mehr als ein: „Du wirst es schon sehen“, kam nicht zustande.

      Dazu aber hatte er sich nicht mehr durchringen können, als er Louisa da am Tisch sitzen sah, den Blick einer Beamtin in spe auf ihn gerichtet, das verspielte Lächeln im Mundwinkel, das ihm zeigte, wie sehr sie ihn liebte und wie sehr sie ihm alles gönnte.

      Solange es ihn nicht in Lebensgefahr brachte.

      Die erneute, weiche Bö vom Meer ließ seine Gedanken abbrechen und eben zu jener Frau schauen, die es jetzt noch, nach vier Jahren, im Handumdrehen schaffte, ihn zu erobern. Die von ihrem Zauber nichts verloren hatte und ihn immer wieder davon überzeugte, was für ein Glückspilz er doch war.

      Abgesehen von ihren Haaren.

      So sehr er seine Louisa auch liebte, so sehr er sie auch vergötterte - was ihre Friseurin dabei gedacht hatte, ihr die Haare so zu schneiden, blieb ihm ein Rätsel.

      Und eine Mahnung.

      Nicht, weil er sich davor wappnen wollte, ebenfalls so auszusehen, wenn er zu dem Salon ging, zu dem Louisa gegangen war, sondern weil er sich immer auf die Zunge beißen musste, wenn Louisa ihn fragte, ob alles okay war.

      Ja, war es.

      Bis auf ihre Haare.

      Tom, der in den letzten vier Jahren unendlich viel gelernt hatte und genau wusste, wie eine Polizistentochter tickte, hielt es für ratsamer, sich mit seiner Freundin über Dinge zu unterhalten, die ihnen beiden Spaß machten.

      Nicht, dass es hieß, Louisa würde keine Kritik vertragen.

      Aber eine ihrer nicht von der Hand zu weisenden Charaktereigenschaften bestand darin, erst einmal zu poltern, bevor man sich konstruktiv und selbstkritisch mit einem Thema beschäftigte.

      Bei ihr stand immer, wirklich immer, als erstes die Emotion im Vordergrund.

      Tom hingegen war der Typ, der sich immer dachte: Wenn ich ein Problem habe, dann muss ich es lösen. Egal, wie. Und am besten so, dass es einem hinterher keine Bauchschmerzen mehr bereitete.

      Das Problem daran war nur, dass Louisa diesen sachlichen Gedanken nicht nachvollziehen konnte oder - wie Tom eher vermutete - nicht nachvollziehen wollte.

      Denn ihrer Meinung nach war ein Problem dafür da, um so gelöst zu werden, dass die Gefühle am Ende stimmten. Nicht das Ergebnis.

      Eine verzwickte Sicht der Dinge, wie Tom erst letztens hatte feststellen müssen, als sie beide von ihren Eltern zu ihrer gemeinsamen Wohnung gefahren waren.

      Er hatte gewagt, zu bemerken: „Bei deinen Eltern warst du aber wieder mutig. Hast unsere Diskussion schön mit ihnen geteilt.“

      „Was soll das denn heißen?“, hatte sie gefragt, während ihr Wagen langsam auf die gerade auf Rot geschaltete Ampel zurollte.

      „So, wie ich es sage.“

      „Bin ich also eine schlechte Freundin, weil ich meine Mutter um Rat frage, wie