jeden Montag Wache am Thron Gott Vaters,49 so kommt's an den rechten Ort, und Wiborad, die letzte der letzten im Dienste des Hochthronenden, ist nicht vergessen...
Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron erwählen, sprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborads Lobspruch nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eifersüchtigen Blick auf die roten Wangen der Griechin. Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung, sprach sie mit gefalteten Händen; – glaubt Ihr, das ist mit einem leichtfertigen Wort und mit einem glatten Gesicht getan? Unerhört! Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askesis wie Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begnadigt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es ist ein fürnehmer Heiliger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der schaut nur auf erprobte Streiterinnen.
Er wird mein Gebet nicht gröblich abweisen, warf Praxedis ein.
Ihr sollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig. Ihr dürft nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu schaffen? Für Euresgleichen sind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen sagen. Nehmt Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.
Den kenn' ich nicht, sagte Praxedis.
2 .. Castitatis, inquit, fili mi, tibi cingulum per hoc lineum meum a Deo accipe. Continentiaeque cingulum per hoc lineum meum a Deo accipe, continentiaeque strophio ab hac deinceps die per Wiboradam tuam te praecinctum memento. Cave autem, ne ullis abhinc colloquiis vanis mulierculis miscearis. Et si, ut facillime fit, aliquo carnis igne incensus fueris, loco in quofueris, mutato, »Deus in adiutorium meum intende. Domine ad adiuvandum me festina« mox cantaveris. Sin autem sic pacem aliquo alio lapsu tuo vetante non habueris, titionem sive candelam ardentem quasi aliud aliquid agas querens, digitum vel leviter adure, eodemque versu dicto securus eris. Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 107.
3 .. et accepit angelus folia lauri et scripsit in eis verba orationis et dedit ea Pachumio dicens; manduca ea, et erunt amara in ore tuo sicut fel, ventremque tuum implebunt obsecrationibus sapientiae, dabitur tibi forma orationis sanae doctrinae. Et accipiens Pachumius manducavit et factum est os ejus amarum, porro venter ejus dulcedine impletus est, et magnificavit Dominum valde.« Vita Pachumii St. abbatis in der Handschrift der Karlsruher Hofbibliothek.
4 de cilicio etiam, quo ipsa utebatur, cuius hodie asperitatem pro reliquiis id habentes horrescimus... Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II. 107.
5 proferensque mala desilva acidissima, inhianti et de manibus ejus rapienti reliquerat. At illa vix unum dimidium ore et oculis contractis vorans, caetera projiciens: »Austera es, inquit, austera sunt et mala tua.« Et cum esset literata: »Si omnia, inquit, mala factor talia creasset, nunquam Eva malum gustasset!« »Bene, ait illa, Evam memorasti; enimvero quomodo et tu sic deliciarum avida erat, ideo in escula unius mali peccaverat.« Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10 bei Pertz Mon. II. 119.
6 Der Erzengel Michael war dem Mittelalter Gegenstand mannigfachen Aberglaubens. Man glaubte, daß er die Wache am Throne Gott Vaters halte, ja sogar, daß er Montags vor ihm die Messe celebriere. Bischof Rather von Verona eifert in seiner Predigt de quadragesima heftig gegen diese rohen sinnlichen Vorstellungen: Vgl. Vogel, Ratherius v. Verona und das 10. Jahrhundert. Bd. I. 293.
Schlimm genug, so lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwürdiger Einsiedel in der thebaischen Wüste, aß Wurzeln und Heuschrecken und war so fromm, daß er schon bei Lebzeiten die Harmonie der Sphären und Planeten erklingen hörte, und sprach oft: Wenn alle Menschen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt sind, sie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen, ließe den linken und liefe in den Orient. In Alexandria aber war eine Maid, die hieß Thaïs, und niemand wußte, was unendlicher an ihr, die Schönheit oder der Leichtsinn. Da sprach Pachomius: Eine solche ist dem ganzen Land Ägypten eine Plage, und machte sich auf, schnitt seinen Bart, salbte sich und bestieg sein Krokodil, das er durch Kraft des Gebets dienstbar gemacht, das trug ihn auf schuppigem Rücken den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen großen Palmstock hatte er auch mitgenommen und erschütterte das Herz der Sünderin dermaßen, daß sie ihre Seidengewande verbrannte und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein dem Hirten. Und er schloß sie in ein Felsengrab ein, daran ließ er nur ein klein Fenster und unterwies sie im Gebet, und nach fünf Jahren war der Thaïs Läuterung zu Ende und vier Engel trugen ihre Seele gerettet gen Himmel.50
Aber Praxedis war nicht sehr auferbaut. Der alte Wüstenvater mit seinem struppigen Bart und den bitteren Lippen ist ihr nicht vornehm genug, da soll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte sie. Sie wagte nicht, es auszusprechen.
Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloster durch den Tannenwald herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenster ab und schloß ihren Laden. Dumpfes Psalmbeten ward drinnen hörbar, untermischt mit einem Geräusch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte sich.
Inzwischen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen und warf seinen Spieß; aber er hatte einen Eichstrunk für ein Rehlein angesehen. Zürnend zog er sein Geschoß aus dem widerstrebenden Holz, – es war das erstemal in seinem Leben, daß ihm solches vorkam.
Vor Wiborads Klause war's lange still. Dann tönte ihre Stimme wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenschaft: Steig hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Trösteinsamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! steig hernieder, meine Seele ist gerüstet, dich zu erschauen, meine Augen dürsten nach dir.51
Und wieder war's still auf dem Plan – da schreckte Praxedis zusammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie sprang ans Fenster und schaute hinein: die Klausnerin war in die Knie gesunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläsern starrend. Neben ihr lag die Geißel, das Werkzeug der Buße.
Um Gottes willen! rief Praxedis, was ist Euch?
Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft. Menschenkind, sprach sie mit gebrochenem Ton, die du Wiborads Schmerzen zu sehen gewürdigt bist, klopf an deine Brust, es ist ein Zeichen geschehen. Ausgeblieben ist der Erwählte meiner Gedanken, er zürnt, daß sein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber der heilige Gallus ist dem Aug' meiner Seele erschienen, er, der doch niemals Einkehr hier genommen – und sein Antlitz war das eines Dulders und sein Gewand zerrissen und brandig. Seinem Kloster droht ein Unheil. Wir müssen eine Fürbitte tun, daß seine Jünger nicht straucheln auf dem Pfad der Gerechten.
Sie beugte sich aus dem schmalen Fenster und rief zur nachbarlichen Klause hinüber: Schwester Wendelgard!
Da schob sich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz erschien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehegemahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen.
Schwester Wendelgard, sprach Wiborard, laß uns dreimal singen den Psalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.
Aber die Schwester Wendelgard hatte just mit träumender Sehnsucht ihres Eheherrn gedacht; sie wußte in festem Gottvertrauen, daß er dereinst noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte am liebsten jetzt schon die Pforte ihrer Klause eingetreten, hinauszuschreiten in die wehende Luft, ihm entgegen.
Es ist nicht die Stunde des Psallierens, rief sie hinüber.
Desto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor, sprach Wiborad. Und sie intonierte mit rauher Stimme den Psalm. Aber die Antwort blieb aus. Was stimmst du nicht in Davids Schallgesang?
Ich mag nicht, war Wendelgards einfache Antwort. Es war ihr in langjährigem Klausnertum allmählich schwül geworden. Viel tausend Psalmen