Joseph Victor von Scheffel

Ekkehard


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ist sonder Schutz und Friede, und friedlose Leute hält man gefangen, bis sie sich der Unfreiheit lösen.65

      Lernt ihr das auch aus euern griechischen Büchern?

      Nein, Herrin, das ist deutscher Brauch.

      So will ich mich denn auslösen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den rotwangigen Logiker und zog ihn zu sich heran, ihn zu küssen; der aber riß sich von ihr los, sprang in den Kreis der lärmenden Genossen und rief:

      Die Münze kennen wir nicht!

      Was heischet ihr denn für ein Lösegeld? fragte die Herzogin. Sie war der Ungeduld nahe.

      O nimmersatte Jugend! sprach Frau Hadwig, so muß ich's zum mindesten dem Bischof gleichtun. Habt ihr schon Felchen aus dem Bodensee verspeist?

      Nein! riefen die Jungen.

      So sollt ihr jährlich sechs Felchen zum Angedenken an mich erhalten. Der Fisch ist gut für junge Schnäbel.

      Gebt Ihr's mit Brief und Siegel?

      Wenn's sein muß!

      Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr! rief's von allen Seiten, Heil, sie ist frei! Die Schulbänke wurden in Ordnung gestellt, der Ausgang gelichtet, springend und jubelnd geleiteten sie die Gefangene zurück. Im Hintergrund flogen die Pergamentblätter der Logica als Freudenzeichen in die Höhe, selbst Notker Labeos Mundwinkel neigten sich zu einem gröblichen Lachen, und Frau Hadwig sprach: Sie waren recht huldvoll, die jungen Herren; wollet die Rute wieder in Verschlag tun, Herr Professor!

      An ein Weitererklären des Aristoteles war heut nicht mehr zu denken. Ob die Ausgelassenheit der Schüler nicht in nahem Zusammenhang mit ihrem Studium der Logik stand? Der Ernst ist oftmals ein gar zu dürrer blattloser hohler Stamm, sonst hätt' die Torheit nicht Raum, ihn üppig grün zu umranken...

      Wie die Herzogin mit dem Abt den Hörsaal verlassen, sprach dieser: Es erübrigt noch, Euch des Klosters Bücherei zu zeigen, die Arzneikammer lernbegieriger Seelen, das Zeughaus für die Waffen des Wissens. Aber Frau Hadwig war ermüdet, sie dankte. Ich muß mein Wort halten, sprach sie, und die Schenkung an Eure Schulknaben urkundlich machen. Wollet die Handfeste aufsetzen lassen, daß wir sie mit Unterschrift und Sigill versehen.

      Herr Cralo führte seinen Gast nach seinen Gemächern. Den Kreuzgang entlang wandelnd, kamen sie an einem Gelaß vorüber, deß Türe war offen. An kahler Wand stand eine niedere Säule, von der in halber Mannshöhe eine Kette niederhing. Über dem Portal war in verblaßten Farben eine Gestalt gemalt, sie hielt in magern Fingern eine Rute. Wen der Herr lieb hat, züchtigt er; er stäupet einen jeglichen, den er zum Sohne annimmt (Hebr. XII. 6), war in großen Buchstaben darunter geschrieben.

      Frau Hadwig warf dem Abt einen fragenden Blick zu.

      Ist keiner der Brüder zur Zeit einer Strafe verfallen, fragte sie, es möcht' ein lehrreich Beispiel sein...

      Da zuckte der böse Sindolt mit dem rechten Fuß, als wär' er in einen Dorn getreten, rückte sein Ohr rückwärts, wie wenn von dort eine Stimme ihm riefe, sprach: Ich komme sogleich, und enteilte ins Dunkel des Ganges.

      Er wußte warum.

      Notker, der Stammler, hatte nach jähriger Arbeit die Abschreibung eines Psalterbuchs vollendet und es mit zierlich feinen Federzeichnungen geziert; das hatte der neidische Sindolt nächtlicherweile zerschnitten und die Weinkanne darüber geschüttet. Drob war er zu dreimaliger Geißelstrafe verdammt, der letzten Vollzug stand noch aus: er kannte das Örtlein und die Bußwerkzeuge, die ihrem Rang nach an der Wand hingen, vom neunfältigen »Skorpion« herab bis zur einfachen »Wespe«.

      Der Abt drängte, daß sie vorüber kamen. Seine Prunkgemächer waren mit Blumen geschmückt. Frau Hadwig warf sich in den einfachen Lehnstuhl, auszuruhen vom Wechsel des Erschauten. Sie hatte in wenig Stunden viel erlebt. Es war noch eine halbe Stunde zum Abendimbiß.

      Wer zu dieser Frist einen Rundgang durch des Klosters Zellen gemacht, der hätte sich überzeugen mögen, wie kein einziger Bewohner des Stiftes unberührt vom Eindruck des vornehmen Besuches geblieben. Auch die weltabgeschiedensten Gemüter fühlten, daß einer Frau Huldigung gebührt.

      Dem grauen Tutilo war's beim Empfang schwer aufs Herz gefallen, daß der linke Ärmel seiner Kutte mit einem Loch geschmückt war; sonst wär's wohl bis zum nächsten hohen Festtag ungeflickt geblieben, aber itzt galt kein Verzug; mit Nadel und Zwirn bewaffnet saß er auf dem Schragen und besserte den Schaden.

      Und weil er gerade im Zug war, legte er auch seinen Sandalen eine neue Sohle an und festigte sie mit Nägeln. Er summte eine Melodei, daß die Arbeit besser gedieh.

      In der Küche aber ward unter Gerold, des Schaffners, Leitung eine Tätigkeit entwickelt, die nichts zu wünschen übrig ließ.

      Jetzo läutete das Glöcklein, dessen Ton auch von den frömmsten Brüdern noch keiner unwillig gehört: der Ruf zur Abendmahlzeit. Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refektorium. Sieben Säulen teilten den luftigen Saal hälftig ab, an vierzehn Tischen standen, wie Heerscharen der streitenden Kirche, des Klosters Mitglieder, Priester und Diakonen; sie erwiesen dem hohen Gast keine sonderliche Aufmerksamkeit.

      Nun erhub er seine Stimme und begann den Psalm, den die Schrift selber einen lieblichen Gesang nennet:

      Es quillet mein Herz eine schöne Rede, ich will reden mein Gedicht dem Könige, meine Zunge sei der Griffel des Geschwindschreibers.

      Der Schönste bist du von den Söhnen des Menschen. Anmut ist gegossen über deine Lippen, denn Gott hat dich gesegnet ewig.

      Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und deinen Schmuck. Und geschmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit, Milde und des Rechts.

      Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile seien geschärft, Völker sollen unter dir stürzen, die im Herzen Feinde des Königs sind.

      Dein Thron vor Gott steht immer und ewig, ein gerechter Zepter ist der Zepter deines Reichs.