Schlingel von einem Räuber, zu was bist auf der Welt? Fechten sollst mit mir!...
Aber sie hatten's schon allzu oft hören müssen, wie er dann dem Kampfgenötigten den Schädel eingeschlagen, und zupften und nötigten an ihm, sie wollten ein schönes Lied anstimmen; wie er endlich mit dem Haupte nickte, stürmten etliche hinaus: bald kamen sie wieder mit Instrumenten. Der brachte eine Laute, jener ein Geiglein, worauf nur eine Saite gespannt, ein anderer eine Art Hackbrett mit eingeschlagenen Metallstiften, zu deren Anschlag ein Stimmschlüssel dienlich war, wiederum ein anderer eine kleine zehnsaitige Harfe, Psalter hießen sie das seltsam geformte Instrument und sahen in seiner dreieckigen Gestalt ein Symbol der Dreieinigkeit.81
Und sie reichten ihm seinen dunkeln Taktstab von Ebenholz. Da erhob sich lächelnd der graue Künstler und gab ihnen das Zeichen zu einer Musica, die er selbst in jungen Tagen aufgesetzet; mit Freudigkeit hörten's die andern.82 Nur Gerold, dem Schaffner, ward's mit dem Aufklingen der Melodien melancholisch zu Gemüte, er überzählte die abgetragenen Schüsseln und die geleerten Steinkrüge, und wie ein Text zur Singweise flog's ihm durch den Sinn: Wie viel hat dieser Tag verschlungen an Klostergeld und Gut?83 Leise schlug er mit sandalenbeschwertem Fuße den Takt, bis der letzte Ton verklang.
Zu unterst am Tische saß ein stiller Gast mit blaßgelbem Angesicht und schwarzkrausem Gelock; er war aus Welschland und hatte von des Klosters Gütern im Lombardischen die Saumtiere mit Kastanien und Öl herübergeleitet. In wehmütigern Schweigen ließ er die Flut der Töne über sich erbrausen.
Nun, Meister Johannes, sprach Folkard, der Maler, zu ihm, ist die welsche Feinfühligkeit jetzt zufrieden gestellt? Den Kaiser Julianus mutete einst unserer Vorväter Gesang an wie das Geschrei wilder Vögel, aber seitdem haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher als Sang der Schwanen?84
Lieblicher – als Sang der Schwanen – – wiederholte der Fremde wie im Traum. Dann erhob er sich und schlich leise von dannen. Es hat's keiner im Kloster zu lesen bekommen, was er in jener Nacht noch ins Tagebuch seiner Reise eintrug:
Diese Männer diesseits der Alpen, schrieb er, wenn sie auch den Donner ihrer Stimmen hoch gegen Himmel erdröhnen lassen, können sich doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erschwingen. Wahrhaft barbarisch ist die Rauheit solch abgetrunkener Kehlen; wenn sie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen sanften Gesang zu ermöglichen suchen, schauert die Natur und es klingt wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes Pflaster dahin knarrt...85
Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden, er schlich sich fort über den Hof in das Gebäude, wo Praxedis und die Dienerinnen waren, und sprach: Ihr sollet zur Herzogin kommen, und zwar gleich – sie lachten erst ob seiner Kutte, folgten ihm aber zum Saal, und war keiner, der sie von der Schwelle zurückhielt. Und wie die Mägdlein an des Refektoriums Eingang sichtbar wurden, entstand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als sollte jetzo ein Tanzen und Springen anheben, wie es diese Wände noch nicht erschaut.
Herr Cralo, der Abt, aber wandte sich an die Herzogin und sprach: Frau Base?! – und sprach's mit so duldender Wehmut, daß sie aus ihren Gedanken auffuhr. Und sie sah auf einmal ihren Kämmerer und sich selber in der Mönchskutte mit andern Augen an denn zuvor, und schaute die Reihen trinkender Männer, dem entferntesten verdeckte der Kapuze vorstehender Rand das Antlitz, daß es aussah, als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geschüttet, und die Musik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummenschanz gefeiert, der schon allzulang gedauert...
Da sprach sie: Es ist Zeit schlafen zu gehen! und ging mit ihrem Gefolg nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager sein sollte.
Wißt Ihr auch, was des Tanzens Lohn gewesen wär'? frug Sindolt einen der Mönche, der ob dieser Wendung der Dinge höchlich betrübt schien. Der schaute ihn starr an. Da machte ihm Sindolt eine unverkennbare Gebärde, die hieß »Geißelung«!
1 Ilanch praecellat alemannicus et mala pellat. Siehe Hattemer, Denkmale usw. III. 599. (In der vorzugsweise als liber benedictionum bezeichneten Handschrift 393 ist eine so reiche Speisekarte von Fischen aufgezählt, Äschen, Trischen, Lampreten usw., daß man sie mit dem Gefühl vollkommener Befriedigung in betreff des Zustands der Klosterküche an den Fasttagen aus der Hand legt. Möchte sie durch vollständige Ausgabe größeren gastronomisch-philologischen Kreisen nicht länger vorenthalten bleiben!)
2 Sueton, im Leben des Augustus c. 77. übrigens trank der Kaiser selbst an jenem traurigen Tag nicht mehr als einen sextarius (etwa 1 Schoppen).
3 Regula S. Benedicti c. 40: de mensura potus.
4 Ob der Abt recht gehabt, die deutsche Sprache, so wie sie damals gesprochen ward, also anzufechten, möge dahin gestellt sein. Sie hat sich seither von Grund aus umgestaltet, die Mehrzahl der kernigen kräftigen, einem steten Verkehr mit der Natur entnommenen Worte, sowie die vollen tonreichen Formen sind verschwunden und haben einer kühleren gefirnißten und abgeschliffenen Redeweise Platz gemacht. Uns aber, wenn wir des alten Notker ungefüg großartige deutsche Schriften lesen, weht es jedesmal daraus an wie ein Hauch würziger Bergluft und echter ehrwürdiger Poesie, die von keinem Spatzengezwitscher und von keinem Rabengekrächze durchschnarrt ist.
5 Vita S. Benedicti abbatis a Gregorio Magno romano Pontifice conscripta c. 2: de tentatione carnis superata.
6 .. de voluntate ipsius ipsa cum eo pridie secreta condixerat. Ekkeh. IV. casus S. Galli. c. 10.
7 Tutilos Räubergeschichte siehe Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3 bei Pertz, Monum. II. 98.
8 Über die damaligen Musikinstrumente und den Zustand sanktgallischer Musik gibt Notker Labeos Aufsatz – siehe Hattemer Denkmale usw. III. 586 u. ff. – wichtigen Aufschluß. – Die hier gegebene Beschreibung der Instrumente ist auf die bildlichen Darstellungen in Notkers Psalmenbuch (Handschrift 21 der sanktgall. Bibliothek) gestützt. Das eine Blatt der beiden Federzeichnungen, die den Eingang des Buches schmücken, stellt den König David vor, auf dem Throne sitzend und mit einem Plectron die siebensaitige Leier spielend. In den vier Ecken stehen vier Männer mit Violine, Zither, Hackbrett und Harfe. Bei der Ängstlichkeit, mit welcher diese übrigens fein gefühlten Gestalten ausgeführt sind, ist anzunehmen, daß der Künstler nichts erfunden, sondern sich an Vorhandenes gehalten hat.
9 .. quae autem Tutilo dictaverat, singularis et agnoscibilis melodiae sunt, quia per psalterium seu per rohtam, qua potentior ipse erat, neumata (i.e. vocum modulationes) inventa dulciora sunt. Ekkeh. IV. S. Galli c. 3.
10 Quid vero dies illa consumpserit, Dominus solus novit.
11 Cigneo canore dulcior sonus.
12 Alpina siquidem corpora vocum suarum tonitruis altisone perstrepentia susceptae modulationis dulcedinem proprie non resultant. Quia bibuli gutturis barbara feritas, dum inflexionibus et repercussionibus mitem nititur edere cantilenam, naturali quodam fragore quasi plaustra per gradus confuse sonantia rigidas voces iactat. Ein sanktgallischer Musikfreund, der dies italische Kunsturteil später noch zu lesen bekam, schrieb an den Rand: vide jactantiam