Hattemer, Denkmale usw. I. 420.
Ekkehards Auszug
Fünftes Kapitel
Früh morgens darauf saß die Herzogin samt ihren Leuten im Sattel, heimzureiten, und der Abt hatte keine Einwendung erhoben, da sie sich jegliche Abschiedsfeierlichkeit verbat. Darum lag das Kloster in stiller Ruhe, als drüben schon die Rosse wieherten, nur Herr Cralo kam pflichtschuldig herüber. Er wußte, was die Sitte gebot.
Zwei Brüder begleiteten ihn.
Der eine trug einen schmucken Becher von Kristall mit silbergetriebenem Fuß und Aufsatz geschmückt, und saß manches gute Stücklein Onyx und Smaragd in der silbernen Umfassung; der andere trug ein Krüglein mit Wein. Und der Abt schöpfte ein weniges in den Becher, wünschte seiner erlauchten Base einen gesegneten Tag und bat, mit ihm des Abschieds Minne zu trinken und den Becher zu freundlichem Angedenken zu behalten.86
Für den Fall, daß das Geschenk nicht genügend befunden werden sollte, hatte er noch ein seltsam Schaustück im Rückhalt, das war silbern zwar, doch unansehnlicher Gestalt und täuschend einem schlichten Brote gleichgeformt, innen aber gefüllt mit güldenen Byzantinern bis zum Rande;87 – vorerst ließ der Abt nichts davon vermerken und trug's sorglich verborgen in der Kutte.
Frau Hadwig nahm den dargebotenen Becher, tat, als wenn sie daran nippte, gab ihn aber wieder zurück und sprach: Erlaubet, teurer Vetter, was soll der Frau das Trinkgefäß? Ich heische ein anderweitig Gastgeschenk. Habet Ihr nicht gestern von Quellen der Weisheit gesprochen?
Ihr sollet mir aus des Klosters Bücherei einen Virgilius verehren!
Immer zu Scherz geneigt, sagte Herr Cralo, der eine gewichtigere Forderung erwartet hatte, was soll Euch der Virgilius, so Ihr der Sprache nicht kundig seid?
Es versteht sich, daß Ihr mir den Lehrer dazu gebet, sprach die Herzogin ernst.
Da schüttelte der Abt bedenklich das Haupt: Seit wann werden die Jünger des heiligen Gall als Gastgeschenke vergeben?
Sie aber sprach: Ihr werdet mich verstanden haben. Der blonde Pörtner wird mein Lehrer sein, und heut am dritten Tage längstens wird der Virgilius und er sich bei mir einstellen! Gedenket, daß des Klosters Streit um die Güter im Rheintal und die Bestätigung seiner Freiheiten in Schwaben in meiner Hand ruhet, und daß ich nicht abgeneigt, auch auf dem Twieler Felsen den Jüngern Sankt Benedikts ein Klösterlein herzurichten...
Lebet wohl, Herr Vetter!
Da winkte Herr Cralo betrübt dem dienenden Bruder: Traget den Kelch in die Schatzkammer zurück. Frau Hadwig reichte ihm anmutig die Rechte, die Rosse stampften, Herr Spazzo schwang den Hut – in leichtem Trab ritt der Zug aus des Klosters Bann heimwärts.
Von des Wächters Turmstube ward ein mächtiger Strauß in die Abreitenden geworfen, dran allein an Sonnenblumen die Hälfte eines Dutzends prangte, der Astern nicht zu gedenken, aber niemand fing ihn auf, und der Rosse Huf brauste drüber hin...
Im trockenen Graben vor dem Tor hatten sich die Schüler der äußeren Klosterschule versteckt. Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr!... und sie soll die Felchen bald schicken! Heil! klang ihr Ruf gellend in der Scheidenden Ohr.
Wem für ein ungezogen Benehmen drei Feiertage und die besten Seefische bewilligt sind, der hat gut schreien, sprach Herr Spazzo.
Langsam ging der Abt ins Kloster zurück; er ließ Ekkehard, den Pörtner, zu sich rufen und sprach zu ihm: Es ist eine Fügung über Euch ergangen. Ihr sollet der Herzogin Hadwig einen Virgilius überbringen und ihr Lehrer werden.
»Die alten Lieder des Maro mögen mit lieblichem Sang die skythischen Sitten besänften,« heißt's im Sidonius. Es ist nicht Euer Wunsch...
Ekkehard schlug die Augen nieder, seine Wangen röteten sich –
Aber den Mächtigen der Erde dürfen wir keinen Anstoß geben. Morgen reiset Ihr ab. Ich verliere Euch ungern; Ihr waret der brävsten und würdigsten einer. Der heilige Gallus wird Euch den Dienst gedenken, den Ihr seinem Stift leistet. Vergeßt auch nicht, aus dem Virgilius das Titelblatt wegzuschneiden mit der Verwünschung gegen den, der das Buch dem Kloster verschleppt...88
Was des Menschen Herzenswunsch ist, dazu läßt er sich gern befehligen.
Des Gehorsams Gelübde, sprach Ekkehard, heißt mich des Vorgesetzten Willen sonder Zagen und Aufschub, sonder Lauheit und Murren vollziehen.
Er beugte sein Knie vor dem Abte.
Dann ging er nach seiner Zelle. Es war ihm, als hätte er geträumt. Seit gestern war ihm fast zu vieles begegnet. Es geht noch andern ebenso; lang einförmig schleicht das Leben, – wenn des Schicksals Wendungen kommen, folgt Schlag auf Schlag. Es rüstet sich zur Reise. »Was du begonnen, laß unvollendet zurück, zieh ab deine Hand vom Geschäft, darin sie tätig war, zeuch aus im Schritt des Gehorsams,« es war ihm kaum Not, sich diesen Satz seiner Regel vorzuhalten.
Auf seiner Zelle lagen die Pergamente des Psalmenbuchs,89 das Folkard mit Meisterhand geschrieben und mit feinen Bildwerken verziert hatte. Ekkehard war beauftragt, mit der wertvollen Goldfarbe, die der Abt jüngst von venezianischen Handelsleuten erkauft hatte, die Anfangsbuchstaben auszumalen und den Figuren durch leisen Goldstrich an Krone, Zepter Schwert und Mantelsaum die letzte Vollendung zu geben.
Er nahm Pergament und Farben und trug's seinem Gefährten hinüber, daß er statt seiner die letzte Hand ans Begonnene lege; Folkard war gerade daran, ein neues Bild zu entwerfen, wie David vor der Bundeslade tanzt und die Laute spielt, – er schaute nicht auf. Schweigend verließ Ekkehard seine Künstlerstube.
Er wandte sich zur Bibliothek, den Virgil auszulesen. Wie er droben stand im hochgewölbten Saal, einsam unter den schweigenden Pergamenten, da kam ein Gefühl der Wehmut über ihn; auch das Leblose stellt sich bei Abschied und Wiedersehen vor den Menschen, als trüg's eine Seele in sich und nähme Anteil an dem, was ihn bewegt.
Die Bücher waren seine besten Freunde. Er kannte sie alle und wußte, wer sie geschrieben; – manche der Schriftzüge erinnerten an einen vom Tode schon entführten Gefährten...
Was wird das neue Leben bescheren, das von morgen für mich anhebt? Eine Träne stand ihm im Auge. Jetzt fiel sein Blick auf das kleine in metallene Decke gebundene Glossarium, in dem einst der heilige Gallus, der am Bodensee üblichen Landessprache unkundig, sich vom Pfarrherrn zu Arbon die notwendigsten Worte hatte verdeutschen lassen.90 Da gedachte Ekkehard, wie des Klosters Stifter mit so wenig Ausrüstung und Hilfe dereinst ausgezogen, ein fremder Mann unter die Heiden, und wie sein Gott und sein unverzagt Herz in Not und Fährlichkeit ihn immerdar frisch gehalten... sein Mut stärkte sich, er küßte das Büchlein, nahm den Virgil aus dem Schrein und wandte sich, zu gehen. »Wer dies Buch wegträgt, den sollen tausend Peitschenhiebe treffen und Lähmung und Aussatz dazu!« stand auf dem ersten Blatte. Er schnitt's weg.
Noch einmal schaute er um, als wollten ihm von Brett und Kasten die Bücher einen Gruß zuwinken. Da hub sich ein Knistern an der Wand, der große Bauriß,91 den der Architekt Gehrung einst auf drei Schuh langer Tierhaut zu des Abts Hartmuth neuem Klosterbau angefertigt hatte, löste sich von dem festhaltenden Nagel und stürzte nieder, daß eine Staubwolke daraus emporstieg.
Ekkehard machte sich keine Gedanken drüber.
Wie er den Gang des oberen Stockwerks entlang schritt, kam er an einem offenen Gemach vorüber. Das war der Winkel der Alten. Der blinde Thieto92 saß drin, einst des Klosters Abt, bis schwindendes Augenlicht ihn abzudanken nötigte. Ein Fenster war geöffnet,