Patricia Vandenberg

Die neue Praxis Dr. Norden 4 – Arztserie


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habe ich mir Menschen um die achtzig irgendwie anders vorgestellt«, sagte Sophia. Sie kam aus dem Laborzimmer, nachdem sie Eva Blut abgenommen hatte, und schaute Ludger nach, der die Tür zum Hof schwungvoll öffnete.

      »Und wie?«, fragte Danny, der zu ihnen an den Tresen kam.

      »Weißhaarig, auf einen Stock gebeugt, mit trüben Augen, schwerhörig und immer auf der Suche nach der nächsten Sitzgelegenheit.«

      »Du hast nicht komplett falsch gelegen. Die Haarfarbe stimmt«, sagte Lydia und klopfte Sophia anerkennend auf die Schulter.

      »Ehrlich gesagt, ich bin froh, dass die Wirklichkeit nicht meiner Vorstellung entspricht.«

      »Weil es bedeutet, dass auch wir in dem Alter noch einigermaßen fit sein könnten, nehme ich an«, entgegnete Lydia.

      »Bis dahin ist es noch gut ein halbes Jahrhundert. Vielleicht ist achtzig dann das neue fünfzig oder vierzig«, sagte Danny.

      »Träumen kann man ja«, antwortete Lydia lachend.

      »Jeder Fortschritt beginnt mit einem Traum, dem Traum, etwas verändern zu wollen, also ja, wir sollten das Träumen niemals aufgeben. Was?«, fragte er, als Sophia und Lydia sich ihm beide gleichzeitig zuwandten.

      »Sie sind nicht nur ein hervorragender Arzt, Sie haben auch interessante philosophische Ansichten«, sagte Lydia.

      »Das sehe ich auch so«, stimmte Sophia ihr zu.

      »Danke«, entgegnete Danny schmunzelnd.

      »Hier geht’s ja recht lustig zu«, stellte Gusti Meier fest, die aus dem Wartezimmer gekommen war, um sich einen Becher Wasser aus dem Wasserspender zu holen.

      »Ein angenehmes Arbeitsklima kommt auch unseren Patienten zugute, Frau Meier, das sollten Sie doch inzwischen wissen«, sagte Lydia.

      »Wer zu viel Spaß bei der Arbeit hat, macht Fehler«, entgegnete Gusti Meier stirnrunzelnd.

      »Wer seine Arbeit zu verkniffen angeht, neigt dazu, das Wesentliche zu übersehen«, konterte Danny.

      »In unserer Familie sind alle Buchhalter. Bei uns führt Ablenkung stets zu Fehlern. Das ist die Wahrheit«, sagte Gusti und ging zurück ins Wartezimmer.

      »Jeder hat halt seine eigene Wahrheit«, flüsterte Lydia.

      »So sehe ich das auch«, stimmte Danny ihr zu. »Machen wir weiter«, sagte er und ging zurück in sein Sprechzimmer.

      Die nächsten drei Patienten, zwei junge Männer und eine ältere Frau, kamen wegen Erkältungssymptomen zu ihm, und er schickte sie mit dem Rat, sich auszuruhen und viel zu trinken, wieder nach Hause. Außer Nasentropfen, die für eine kurzzeitige Anwendung durchaus sinnvoll waren, hielt er nichts davon, Tabletten gegen einen grippalen Effekt ohne Fieber und Halsschmerzen zu verschreiben. Sie versprachen einfach keine Besserung. Dann war Toni Meier an der Reihe. Gusti begleitete ihn ins Sprechzimmer und nahm auf dem zweiten Stuhl vor Dannys Schreibtisch Platz.

      »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Danny und sah dabei Toni an.

      »Mein Toni und ich wollen ein bisserl abspecken. Seitdem wir in Rente gegangen sind, haben wir beide ordentlich an Gewicht zugelegt. Deshalb machen wir jetzt Sport. Aber der Toni hat plötzlich Probleme mit dem Kreislauf. Ihm wird schwindlig, und erst vorgestern hat er geglaubt, er müsste ohnmächtig werden«, übernahm Gusti die Antwort, bevor Toni etwas sagen konnte.

      »Von welchem Sport sprechen wir?«, fragte Danny.

      »Toni und ich machen Gymnastik. Unser Enkel, der Marius, hat uns gezeigt, wie wir die Sportvideos für Senioren in diesem Youtube finden. Toni und ich helfen uns dann gegenseitig bei den Übungen«, erzählte Gusti.

      »Bei welchen Übungen?«

      »Geh, Herr Doktor, wir halten uns halt ein bissel, wenn es um die Bauchübungen geht.«

      »Geht es denn nur um Übungen im Liegen oder auch im Stehen?«

      »Für das Muskeltraining liegen wir auf der Gymnastikmatte. Um unseren Kreislauf zu trainieren, machen wir dreimal in der Woche einen langen Spaziergang.«

      »Das klingt nach einem gut durchdachten Programm«, lobte Danny Gustis Einsatz für ein gesünderes Leben.

      »Dankeschön, Herr Doktor, und wissen Sie, richtig anstrengend ist es ja nicht. Ich mein, nicht so anstrengend, dass dem Toni sein Kreislauf abbauen müsst.«

      »Laut ihrer letzten Untersuchung vor zwei Monaten war auch alles in Ordnung, Herr Meier«, wandte sich Danny wieder an Toni.

      »Deshalb dacht ich ja auch, dass ihm mein Programm nicht schaden könnt«, mischte sich Gusti gleich wieder ein.

      »Wie fühlen Sie sich jetzt gerade, Herr Meier?«, versuchte Danny, Toni die Gelegenheit zu geben, selbst etwas zu sagen. Schließlich konnte Gusti diese Frage nun wirklich nicht beantworten.

      Aber Gusti bekam auch das hin. Nach einem kurzen Blick auf ihren Mann sah sie Danny an: »Im Moment geht’s ihm gut. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, und sein Atem ist gleichmäßig«, sagte sie.

      »Ich bin beeindruckt, Frau Meier. So schnell kann ich keine Diagnose stellen. Wenn Sie erlauben, würde ich gern ein paar Worte allein mit Ihrem Mann sprechen.«

      »Geh, wieso jetzt das?«, wunderte sich Gusti.

      »Frag net so, wart einfach draußen«, meldete sich Toni endlich selbst zu Wort.

      »Aber, Schatzl«, entgegnete Gusti überrascht, so als wäre sie fest davon ausgegangen, dass Toni ihr auch weiterhin das Wort überließ.

      »Gusti, bittschön«, sagte Toni mit energischer Stimme.

      »Ist schon recht«, murrte Gusti und verließ das Sprechzimmer.

      »Sie meint es nur gut. Sie denkt, ich hätte es nicht so mit den Ärzten«, verteidigte Toni seine Frau, nachdem sie gegangen war.

      »Wir kommen doch gut miteinander klar oder etwa nicht?«, fragte Danny.

      »Doch, freilich, Herr Doktor, ich hab keine Probleme, mit Ihnen zu reden. Aber sie ist halt mit den Antworten immer ein bissel schneller als ich«, sagte Toni lächelnd und zuckte die Achseln.

      »Dann ergreifen Sie jetzt die Gelegenheit und erzählen mir, wie es Ihnen wirklich geht«, forderte Danny Toni freundlich auf.

      »Ehrlich gesagt, net so gut. Ich hab immer ein bissel Angst, dass mir draußen auf der Straße mal schwindlig wird und ich ohnmächtig werd«, gab Toni zu.

      »Wann genau tritt denn dieser Schwindel gewöhnlich auf?«

      »Wie meine Gusti schon gesagt hat, nur während der Gymnastik, dann wird es mir plötzlich ganz merkwürdig, so als würd ich gleich wegsacken.«

      »Haben Sie noch weitere Beschwerden? Übelkeit, Schweißausbrüche oder Ohrensausen?«

      »Nein, bisher net.«

      »Gut, dann machen wir erst einmal einen Check-up. Blutdruck, EKG und Labor. Vielleicht treiben Sie zu viel Sport und ihr Blutdruck sackt einfach nur in den Keller. Im Moment ist er allerdings mit 130 zu 85 für Ihr Alter vollkommen normal«, versicherte Danny Toni Meier, nachdem er seinen Blutdruck ­gemessen hatte. Auch Herz und Lunge schienen gesund, soweit er das mit seinem Stethoskop überprüfen konnte.

      »Aber irgendetwas muss den Schwindel doch auslösen. Die Gusti hat nämlich neulich schon gemeint, ich würd ihn nur vortäuschen, weil ich mich vor der Gymnastik drücken will«, sagte Toni.

      »Wollen Sie sich denn drücken?«, fragte Danny und sah Toni direkt an.

      »Nein, überhaupt nicht, Herr Doktor. Im Gegenteil, ich find es schön, dass die Gusti und ich die Übungen gemeinsam machen. Sie tun mir ansonsten ja auch gut. Ich kann mich besser bewegen als vorher. Neulich waren wir in dem neuen Einkaufszentrum in der Stadt, und zum ersten Mal seit Langem bin ich, ohne mich festzuhalten, die Rolltreppen hoch- und runtergefahren«, erzählte Toni voller Stolz auf seine verbesserte Körperbeherrschung.