sein. Selbst Schudel schaut Sie bereits wohlwollend an, was bei seiner Unbestechlichkeit beachtenswert ist. Die Hunde gelten bei uns überhaupt als Barometer für Sympathie und Antipathie.«
Nach dem Frühstück erhielt Holda die Erlaubnis, ihre Sachen auszupacken.
Nachdem alles fein säuberlich am bestimmten Platz lag, ging Holda nach der Terrasse zurück.
»Schon fertig, Fräulein Rothe? Das ist schnell gegangen.«
»Viel war ja auch nicht zu verstauen, Frau Gräfin«, gab das Mädchen frischfröhlich Antwort.
Unter frohem Geplauder verging die Zeit so rasch, daß Frau Feline dem Sohn erstaunt entgegensah, der zu gewohnter Zeit in Begleitung eines Herrn die Terrasse betrat.
»Guten Tag, Herr Doktor«, grüßte sie munter. »Sind Sie gekommen, um mich zu tyrannisieren?«
»Versteht sich, Frau Gräfin«, schmunzelte der ältere Herr. »So vergnügt heute? Das ist brav.«
»Das macht meine muntere Gesellschaft«, wurde ihm erwidert. »Die wirkt mehr Wunder, als Ihre Pillen und Tropfen, Doktorchen. Darf ich bekanntmachen: Herr Doktor Schliereit, Fräulein Rothe.«
»Ah, das zukünftige Fräulein Kollega, wie ich von dem Herrn Grafen hörte.« Der Arzt musterte das Mädchen mit einem Blick, wie man ihn etwa für altkluge Kinder hat, amüsiert und nachsichtig. Dann fühlte er den Puls der Gräfin und nickte zufrieden.
»Erfreulich, in der Tat. Scheint tatsächlich ein Aufheiterungspillchen zu sein, das kleine Fräulein. War schon immer dagegen, daß Frau Gräfin solche Sauertöpfe um sich hatten. Ich bin immer mehr für süße Konfitürenschälchen.« Er zwinkerte Holda verschmitzt zu, die hellauf lachte. So herzerquickend klang das Lachen, daß es selbst einen Griesgram hätte erheitern müssen.
»Wenn das nicht Musik ist!« schmunzelte der Arzt. »Wie alt sind wir denn eigentlich, mein munteres Vögelein?«
»Noch nicht ganz zwanzig, Herr Doktor.«
»Tja, da kann man noch gut lachen. Wenn es Ihre Zeit erlaubt, dann lassen Sie sich mal in meinem Hause sehen! Sind nämlich ein gutes Gespann zu meinen beiden vergnügten Weibsen. Und mein Sohn, der mit mir zusammen praktiziert, sieht sowas Holdseliges auch gern.«
»Herzlichen Dank für die schmeichelhafte Einladung«, gab sie verschmitzt zurück. »Werde ihr Folge leisten, sobald ich kann.«
Das war der Auftakt zu einer Freundschaft, die sich auch für die gräfliche Familie aufs beste bewähren sollte.«
*
Schon am nächsten Sonntag, an dem Holda dienstfrei hatte, machte sie sich auf zum Doktorhaus. Obgleich der Weg durch den Wald bequemer und schattiger war, wählte sie den durch die sonnendurchflutete Heide. Verirren konnte sie sich nicht, da er direkt zu dem Kirchdorf führte. Allerdings in Windungen, aber das machte der wanderlustigen Holda nichts aus.
Nach einer guten Stunde hatte sie das Kirchdorf erreicht. Schmucke Häuser mit gepflegten Vorgärten rechts und links der Asphaltstraße. Dazwischen Läden mit Auslagen, die dem Geschmack der Landbevölkerung angepaßt waren. Wunderschön fand Holda die alte Kirche mit dem Pfarrhaus, das verträumt im Grünen lag. Gleichfalls das Doktorhaus, das daneben stand. Wein und Kletterrosen rankten an dem Gebäude hoch, das in der Mitte eine stattliche Haustür mit geschliffenen Scheiben, an beiden Seiten je vier Fenster aufwies.
Holda zog den Porzellangriff an der Tür, hinter der sich eine Glocke in Bewegung setzte.
Gleich darauf stand ein junges Mädchen vor der Einlaßbegehrenden. »Sie wünschen?«
»Eintreten zu dürfen. Ich bin Holda Rothe.«
»Ach, das neue Fräulein aus Elchheiden! Mein Vater hat schon von Ihnen erzählt. Er wird sich über Ihren Besuch herzlich freuen. Sein Anhang natürlich auch«, wurde lachend hinzugesetzt.
Sie führte den Gast nach der Gartenveranda, wo die Doktorfamilie beim Nachmittagskaffee saß. Der Hausherr: beleibt, graues Haar über dem vollwangigen Gesicht, gutmütige und zugleich kluge Augen hinter scharfen Brillengläsern. Die Hausherrin: rundlich, beweglich, frisches Gesicht mit lachenden Blauaugen und noch vollem, aschblondem Haar. Die Tochter: ihr verjüngtes Ebenbild in noch jugendlicher Schlankheit. Der Sohn: ebenfalls blond und blauäugig, mittelgroß, schlank. Die zerhauene Wange kennzeichnete den Korpsstudenten und gab dem Gesicht des jungen Mannes etwas Verwegenes.
»Ah, das Fräulein Rothe«, schmunzelte der Hausherr. »Lieb, daß Sie Wort gehalten haben! Hier die liebe Familie: meine Frau, meine Tochter Reinhild, mein Sohn Hartwig. Nehmen Sie Platz, und halten Sie beim Schmaus wacker mit!«
Dazu war Holda gern bereit. Die Tochter des Hauses brachte ein Gedeck und füllte die Tasse mit dem aromatischen braunen Trank. Der Gast wurde so herzlich behandelt, daß ein Fremdsein erst gar nicht aufkommen konnte.
»Wie geht es der Frau Gräfin?« erkundigte sich Dr. Schliereit. »Ist sie artig?«
»Was verstehen Sie darunter, Herr Doktor?«
»Was man in Elchheiden von ihr verlangt. Gottergeben dasitzen und ihr Leiden pflegen.«
»Wie trostlos!«
»Ist es auch, kleines Fräulein. Aber rennen Sie mal gegen die Verbohrtheit des Grafen an, ich jedenfalls habe es aufgegeben und mein Sohn schon längst. Der Mann bildet sich nämlich ein, wenn er seine Mutter wie ein zerbrechliches Porzellanpüppchen hütet…«
»Nun gerate nur nicht wieder in Rage, du Hitzkopf«, unterbrach die Gattin ihn gemütlich. »Sonst muß Fräulein Rothe glauben, daß du wer weiß was für ein Baubau bist.«
»Ist doch wahr«, brummte er verlegen. »Die arme Frau kann einem leid tun, die so dahinvegetieren muß, nur weil der Sohn zu überängstlich ist. Daß die Beine der Gräfin wieder Gefühl haben, ist doch daraus zu ersehen, daß sie sie bewegen kann, wenn allerdings auch erst mühsam. Da wären Gehversuche am Platz. Aber sofern sie das auch nur erwähnt, bricht dem Sohn schon der Angstschweiß aus. Das wurmt mich nun ganz gewaltig. Sie werden keinen leichten Stand haben, mein kleines Fräulein.«
»Das weiß ich bereits, Herr Doktor. Übrigens hat Frau Gräfin mich gebeten, ihr bei den heimlichen Gehversuchen behilflich zu sein. Kann ich die Verantwortung übernehmen, Herr Doktor?«
»Von Verantwortung kann da keine Rede sein, Fräulein Rothe. Soweit ich Ihre prächtige Herrin kenne, wird diese für ihre Heimlichkeit, falls etwas davon zutage kommen sollte, ehe der schlagende Erfolg da ist, ganz allein einstehen. Wissen Sie überhaupt schon, wie die Dame zu ihrem Leiden gekommen ist?«
Als Holda hastig den Kopf schüttelte, sah er sie forschend an und sagte:
»Dann halte ich es für angebracht, Sie in die Elchheider Verhältnisse einzuweihen. Umso leichter wird es für Sie sein, für manches Sonderbare Verständnis zu finden.
Gräfin Elchenbrock ist nie auf Rosen gebettet gewesen. Dafür sorgten ihr leichtsinniger Mann, ihr leichtsinniger ältester Sohn und ihr Schicksal. Freude hatte sie nur an ihrer Tochter und an Egbrecht, dem Jüngsten. Ich will mich nun kurz fassen. Erster Schlag: In völlig betrunkenem Zustand geriet ihr Sorgenkind ins Moor. Zweiter Schlag, und zwar ein noch härterer: Die Tochter starb mit achtzehn Jahren an einer tückischen Krankheit. Ein Jahr darauf verunglückte der Graf auf der Jagd, sagt man und hinterließ seinem Sohn Egbrecht ein verschuldetes Erbe. Blieb diesem nichts anderes übrig, als reich zu heiraten. Aber es war außerdem eine Liebesehe, was ja nicht oft zusammentrifft.
Sie war reizend, die Gilda Riedlitz, blutjung, lebenslustig und extravagant, wie es Erbinnen oft an sich haben.
Nach einjähriger Ehe wurde ein Töchterchen geboren, der Mutter ein niedliches Spielzeug, der Abgott von Vater und Großmutter, die nach allem Leid wieder langsam das Leben zu bejahen begann.
Man kann nicht sagen, daß die junge Gräfin ein einsames Leben führte. Denn der auch noch recht junge Gatte, mit zweiundzwanzig Jahren hatte er geheiratet, sorgte für Vergnügungen aller Art, die er seiner lebenslustigen Frau schuldig