irgendwie hängengeblieben und ganz blöd aufgekommen. Ich wusste sofort, dass ich mir was gebrochen habe.« Mara unterbrach sich. »Wie lange wird das hier dauern? Ich will so schnell wie möglich zurück in die Schule.«
»Immer langsam«, erwiderte Antonia ruhig. »Der Arm muss geröntgt werden, es könnte ja sein, dass ein Knochen gesplittert ist oder so. Erst wenn wir wissen, wie der Bruch aussieht, können wir entscheiden, wie wir ihn behandeln müssen.«
»Behandeln? Ich dachte, da kommt ein Gips drum, und fertig. Zum Glück ist es der rechte Arm, ich bin Linkshänderin, also kann ich fast alles machen.«
»Richte dich bitte darauf ein, dass dein Schultag für heute beendet ist«, sagte Antonia ruhig. »Und entspann dich mal, Mara. Wenn du so weitermachst, hast du mit siebzehn dein erstes Magengeschwür.«
Große, fragende runde Augen richteten sich auf sie. »Wieso das denn?«
»Es ist toll, dass du leistungsbewusst und zielstrebig bist, das gefällt mir. Aber ab und zu muss man sich auch einfach mal treiben lassen, sonst kommen wichtige Dinge zu kurz. Auch der Geist braucht Erholungspausen, genau wie der Körper. Vielleicht hast du dich zu sehr unter Druck gesetzt und deshalb eine falsche Bewegung am Barren gemacht. Nimm diesen Unfall als Hinweis darauf, dass du insgesamt vielleicht ein bisschen weniger Gas geben solltest. Du hast gesagt, du bist der Bücher- und Computertyp. Welche Bücher liest du denn?«
»Zuerst die, die ich für die Schule brauche, natürlich. Und dann … alles, was ich kriegen kann. Am liebsten lese ich naturwissenschaftliche Bücher. Chemie und Physik sind meine Lieblingsfächer, die studiere ich später auch mal, und dann gehe ich in die Forschung.«
»Du liest also keine Romane, Geschichten, Gedichte?«
»Das ist doch sentimentaler Quatsch, dafür habe ich keine Zeit, daraus lernt man nichts. Ich habe alles von Goethe gelesen, aber ich kann damit nicht viel anfangen. Mit Shakespeare auch nicht. Das hat nichts mit der Welt von heute zu tun.«
»Du irrst dich, aber darüber reden wir später weiter, jetzt röntgen wir zuerst mal deinen Arm.«
Mara sah verwirrt aus. Sie hatte sich offenbar den Besuch bei einer Kinderärztin vollkommen anders vorgestellt.
*
»Ich muss los«, sagte Jonas.
»Ich auch«, grinste Martin.
»Zu sagen, ich wäre nicht neidisch auf dich, wäre eine glatte Lüge. Zwei Wochen Urlaub …«
»Hab ich mir verdient, Alter. Ich war auch neidisch, als du im Sommer nach Portugal geflogen bist.«
»Das ist doch schon ewig her!«
»Na und? Neidisch war ich trotzdem. Grüß die anderen von mir, und denkt ab und zu mal an mich.«
»Du schreibst mir ja und schickst mal ein paar Fotos,«
Sie umarmten sich, dann verließ Jonas die Wohnung. Sie hatten über eine Stunde gemeinsam gefrühstückt, es war sehr gemütlich gewesen.
Martin räumte den Tisch ab, bevor er in sein Zimmer ging. Die Sachen für den Urlaub hatte er zum Glück schon in den letzten Tagen in seinen Rucksack gepackt. Er stopfte noch die Zahnbürste und den Rasierapparat dazu, sah sich noch einmal um, ob er auch nichts vergessen hatte, und zog dann fröhlich pfeifend die Wohnungstür hinter sich zu.
Er würde eine Weile brauchen, um aus München herauszukommen, aber er war ja nicht in Eile, er musste heute kein Ziel mehr erreichen. Wenn ihn die Lust verließ, würde er sich ein billiges Zimmer irgendwo auf dem Land suchen und seine Fahrt erst am nächsten Tag fortsetzen. Zwei Wochen Urlaub!
Er setzte sich ans Steuer seines ziemlich alten Kleinwagens, der ihn treu und brav seit Jahren begleitete und immer ans Ziel gebracht hatte. Wie erwartet kam er innerhalb der Stadt nur langsam voran, aber er hatte sich ohnehin bereits entschieden, die Autobahn zu meiden. Er würde zunächst über Landstraßen fahren, das war landschaftlich interessanter, und so lange es noch hell war, guckte er sich auch vom Auto aus gern die Gegend an.
Er legte eine CD ein, drehte die Lautstärke auf und fuhr an der Auffahrt zur Autobahn vorbei. Schon bald wurde der Verkehr dünner, er kam gut voran.
Und heute Abend würde er sich in einem Landgasthof eine deftige Mahlzeit gönnen!
*
Jasmin hatte sich Zeit gelassen, bevor sie losgefahren war. Das hing, gestand sie sich irgendwann ein, damit zusammen, dass sie immer noch hoffte, Severin werde plötzlich wieder nach Hause kommen.
»Natürlich fahre ich mit dir zu deiner Oma, das hatte ich dir doch versprochen …« So oder so ähnlich stellte sie sich das vor, bis sie sich schließlich klar machte, dass er gar nicht daran dachte, zurückzukommen. Schließlich hatte er sich die größte Mühe gegeben, sich um diese Fahrt zu drücken, und das war ihm ja auch gelungen. Und wenn er für einen Kollegen eingesprungen war, konnte er auch nicht einfach wieder gehen.
Also schnappte sie sich ihre Reisetasche und warf noch einen Blick durch die Wohnung, bevor sie diese verließ. Sollte sie Severin noch eine Nachricht schreiben? Nein, entschied sie, auf keinen Fall. Es wäre an ihm gewesen, sich bei ihr zu melden, aber er markierte jetzt natürlich den starken Mann. Sie merkte, wie sie schon wieder zornig wurde. Manchmal fragte sie sich, ob Severin wirklich der Richtige für sie war. Es gab einiges an ihm, das sie störte. Sie hatte sogar den Eindruck, dass es mit der Zeit immer mehr Dinge wurden, die ihr unangenehm auffielen.
Schluss jetzt, befahl sie sich selbst, denn sie hatte nicht vor, sich die Fahrt zu ihrer Oma durch solche Gedanken verderben zu lassen. Sie liebte ihre Oma, und die liebte sie, denn Jasmin war ihr einziges Enkelkind. Und da ihr Vater gesundheitlich sehr angeschlagen war, so dass ihre Mutter viel mit ihm zu Ärzten fahren musste, blieb ihren Eltern zu wenig Zeit, um die Oma in ihrem Bergdorf regelmäßig zu besuchen. Aber ihre Oma wiederholte oft, dass sie sehr gut zurechtkam, sie hatte liebe Nachbarn, die sich im Notfall um sie kümmerten, und überhaupt: Auf dem Dorf war der Zusammenhalt der Menschen viel größer als in der Stadt.
Jasmin war gern bei ihr, jeder Besuch war wie eine Rückkehr in ihre Kindheit, denn früher hatte sie die Ferien oft bei Oma und Opa verbracht. Der Opa war vor einigen Jahren gestorben, aber ihre Oma war im Haus geblieben, und dort sah es noch so aus wie früher. Sobald Jasmin das Haus betrat, fühlte sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Allein der Geruch, wenn sie die Haustür hinter sich schloss … Eine Mischung aus Kräutern, die ihre Oma im Garten zog und dann im Haus trocknete, und Orangen, die sie mit Nelken gespickt hatte. Selbst im Sommer, fand Jasmin, duftete das Haus irgendwie weihnachtlich. Für sie war es der schönste Duft der Welt.
Sie würde die Autobahn meiden, ohnehin fuhr sie lieber über Landstraßen. Schnell fahren konnte sie mit ihrem geliebten roten kleinen Auto ohnehin nicht, da war es doch besser, gleich die Landstraße zu nehmen, es war auch die schönere Strecke, auch wenn sie ein bisschen länger war. Aber irgendwann würde sie die Berge sehen können, und dann wusste sie, dass es nicht mehr lange dauerte, bis sie ihre Oma in die Arme schließen konnte.
Sie würde wieder viel essen müssen, denn ihre Oma war eine leidenschaftliche und sehr gute Köchin, die es liebte, ihre Enkelin nach Strich und Faden zu verwöhnen. Vielleicht, dachte Jasmin, könnte sie mit ihrer Oma auch über Severin reden und darüber, dass es einiges gab, was sie an ihm nicht mochte. Ihre Oma war eine gute Zuhörerin, und sie kannte sich mit Menschen aus.
Unwillkürlich ging Jasmin vom Gas, als ihr aufging, dass ihre Oma Severin gegenüber immer mit Zurückhaltung begegnete. Freundlich, das schon, das war sie von Natur aus, aber Jasmin wusste, wie es war, wenn ihre Oma jemanden richtig gernhatte.
Wieso war ihr das früher noch nie aufgefallen?
Sie beschleunigte wieder. Seltsam, auf welche Gedanken man kam, wenn man sein gewohntes Umfeld verließ und plötzlich einen freien Blick auf die umgebende Landschaft hatte!
*
Es war ein richtig blöder Schultag gewesen, dachte Philipp, als er sich in den Wagen setzte und auf den Weg zu Niko machte. Nikos Eltern waren vor einiger