Laura Martens

Sophienlust Extra 8 – Familienroman


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hatten. Das waren die Schwestern Angelika und Vicky Langenbach, die schon viele Jahre hier waren, der zehnjährige Fabian, mit dem sich Nick sehr gut verstand, und Angelina Dommin, genannt Pünktchen, der er besonders zugetan war. Das nahm niemand übel, denn jeder wusste, dass Dominik das Mädchen vor Jahren auf einer Bank sitzend entdeckt und nach Sophienlust mitgenommen hatte. Pünktchens Eltern waren bei einem Zirkusbrand umgekommen, und da es ihr bei den Verwandten sehr schlecht ging, war sie einfach davongelaufen. Doch die Jahre der Geborgenheit auf Sophienlust hatten die Erinnerungen an diese schwere Zeit längst verwischt. Niemals aber würde Pünktchen vergessen, dass sie durch Dominik auf Sophienlust eine neue Heimat gefunden hatte. Seine Mutter, die die Kinder Tante Isi nannten, war ihr so lieb und teuer wie eine leibliche Mutter geworden. Ihre große Liebe gehörte jedoch schon immer ihm selbst, der fünf Jahre älter war als sie. Deshalb störte es sie auch, dass er sich der Neuen, die seit kurzem unter ihnen weilte, so intensiv annahm. Mirja Walberg war zu Pünktchens Leidwesen außerdem ein ganz besonders hübsches Mädchen. Sie hatte volles langes Haar, das wie reifer Weizen schimmerte und das sie meistens kokett mit einer weißen Schleife zusammenband, aber so, dass links und rechts zwei helle Strähnen ihr aufregend hübsches Gesichtchen einrahmten. Sie wäre noch viel hübscher gewesen, wenn sie lachen würde. Aber niemand hatte Mirja bisher auch nur einmal lächeln gesehen. Stets lag ein trotziger und auch verbitterter Zug um ihre fein geschwungenen Lippen, und ihre blauen Augen sahen gleichgültig über alles hinweg. Nur weil Dominik ihr eindringlich zugeredet hatte, war sie heute mit an den See gekommen. In sich gekehrt saß sie nun abseits der anderen. Es war ihr anzusehen, dass sie Probleme wälzte, von denen niemand etwas ahnte.

      Als die anderen fröhlich im See schwammen oder plätscherten, setzte sich Nick zu dem stillen Mädchen, das sich an einen Baumstamm gelehnt hatte und unverwandt über den See starrte.

      »Gefällt es dir denn gar nicht bei uns?«, begann Dominik das Gespräch. Mirjas Blick kehrte langsam zurück und huschte flüchtig über den hübschen Jungen. Sie zuckte die Schultern und sagte zurückhaltend: »Es könnte hier sehr schön sein.«

      »Was hast du zu bemängeln?«

      »Nichts!«

      »Es scheint dir aber doch etwas nicht zu gefallen. Du sonderst dich ab und sprichst kaum ein Wort mit den anderen.«

      Mirja krauste leicht die Stirn.

      »Ich bin Kinder nicht gewöhnt. Zu Hause ist es weit bis zum nächsten Dorf. Hoheneichen ist ein Einödhof, nicht weniger schön gelegen als Sophienlust. Kinder sehe ich nur in der Schule. Mittags fahre ich mit dem Zug ein paar Stationen und gehe zu Fuß über die Felder heim. Wenn es regnet, werde ich mit dem Auto abgeholt.«

      »Wer holt dich ab?«

      »Mein Vati.« Mirjas Stimme schwankte bei dieser Antwort ein wenig. Ihre Mundwinkel zogen sich bekümmert herab.

      Dominik tat, als merkte er nichts. Da er das Gespräch nicht abreißen lassen wollte, fragte er rasch: »Warum bist du hier?«

      Das Mädchen zögerte lange. Es sah einen Augenblick aus, als wollte Mirja aufspringen und weglaufen. Dann aber sagte sie überraschend offen: »Mein Vater hat wieder geheiratet. Ich mag die neue Frau nicht.«

      »Ach, weißt du«, entgegnete Dominik leichthin. »Meine Mutter hat auch wieder geheiratet, nachdem mein Vater tödlich verunglückt war. Ich habe anfangs gedacht, ich würde mich nie an den neuen Vater gewöhnen können. Ebenso wollten seine Kinder, die er als Witwer mit in die Ehe gebracht hatte, zunächst von meiner Mutter nichts wissen. Ich kann sehr gut verstehen, wie dir zumute ist, Mirja.«

      Auf dem Gesicht des Mädchens lag ein nachdenklicher Zug. »Und?«, fragte Mirja mit einem raschen Blick. »Vertragt ihr euch jetzt, oder nicht?«

      »Hast du eine Ahnung!«, sagte Dominik im Brustton der Überzeugung. »Wir denken kaum noch daran, dass wir nicht unsere richtigen Eltern haben. Und dann ist da noch Henrik. Er stammt aus der jetzigen Ehe unserer Eltern. Aber wir fühlen uns alle wie richtige Geschwister mit den richtigen Eltern!« Dominik brach misstrauisch ab, denn Mirja sah plötzlich so entsetzt aus. »Oh, mein Gott!«, flüsterte sie. »Sie wird sicher auch Kinder von ihm bekommen!«

      »Das wäre doch wunderschön, Mirja! Dann wärest du nicht mehr so allein auf Hoheneichen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schön es ist, wenn man Geschwister hat. Glaube mir, eines Tages wirst du ganz vergessen, dass deine zweite Mutter nicht immer bei euch war.«

      Mirja nahm eine Haarsträhne und wickelte sie um ihren Finger. Dabei traten ihr Tränen in die Augen. Sie konnte sie nicht unterdrücken. »Ich will nicht!«, stieß sie verzweifelt hervor, sprang auf und lief davon.

      Dominik folgte ihr nicht. Von seiner Mutter wusste er, dass man einem unglücklichen Kind viel Zeit lassen musste. Auch Mirja würde auf Sophienlust anders werden. Dominik war fest davon überzeugt, dass seine Mutter auch bei diesem Mädchen Erfolg haben würde. Sie hatte schon viel schwerere Schicksale gemeistert.

      Außerdem war ja auch noch Frau Rennert da – Tante Ma, wie die Kinder sie liebevoll nannten. Sie leitete das Heim, denn seine Mutter lebte ja auf Gut Schoeneich und konnte nicht die ganze Zeit auf Sophienlust sein.

      »Nick!«, rief Pünktchen und winkte dem Jungen lebhaft zu. Sie kam aus dem Wasser und lief ihm entgegen. »Wo bleibst du denn? Du scheinst dich ja maßlos für diese Transuse zu interessieren!«

      Dominik machte große Augen. »Wie redest du denn? Was ist eigentlich in dich gefahren? Seitdem Mirja hier ist, bist du reichlich komisch.«

      Er betrachtete Pünktchen aufmerksam. Sie ist bestimmt nicht weniger hübsch als Mirja, dachte er. Süß sieht sie in ihrem bunten Bikini aus! Die lustigen Sommersprossen, die ihr den Namen Pünktchen eingetragen haben, geben ihrem süßen Gesicht einen ganz besonderen Reiz.

      Pünktchen strich sich das nasse Haar aus der Stirn und sagte beleidigt: »Und ich finde dich komisch, Dominik!«

      *

      Wenn Pünktchen Dominik statt Nick sagte, war Feuer unter dem Dach. Da dies selten vorkam, fiel es Dominik doppelt auf. Er sah jedoch nicht ein, dass er mit Mirja nicht sprechen sollte, nur weil Pünktchen eifersüchtig war. Er fand ihr Verhalten kindisch und ungerecht. Mirja brauchte jetzt jemand, dem sie vertraute. Sie musste sich alles von der Seele reden können, um Erleichterung zu finden.

      »Du, hör’ mal«, sagte Nick am nächsten Tag zu Pünktchen, »wenn du nicht verstehen kannst, dass man Mirja helfen muss, dann tust du mir leid. Ich habe das Gefühl, dass sie allmählich Vertrauen zu mir hat. Auch meine Mutter hat mich ermuntert, Mirjas Vertrauen zu gewinnen. Warum soll ich eigentlich nicht auf sie eingehen? Kannst du mir das erklären?«

      Pünktchen wusste keine Erklärung. Sie schmollte und zog sich von Dominik zurück. Gleichzeitig beobachtete sie mit flinken Augen, wie der Freund wieder mit Mirja in ein Gespräch kam.

      Die beiden saßen auf der Bank im Park und schienen nur noch für sich Interesse zu haben. Angelika und Vicky versuchten die neue Freundin zu trösten, doch Pünktchen sagte außer sich: »Sie stellt sich wie eine Diva an, die sich selbst unerhört wichtig findet, Wenn sie wüsste, dass wir keine Eltern mehr haben und was wir durchgemacht haben, bevor wir nach Sophienlust kamen, müsste sie ihre Probleme doch geradezu lächerlich finden.«

      »Das kannst du nicht sagen!«, widersprach Angelika. »Mirja ist ganz einfach sehr traurig. Und wenn man traurig ist, findet man immer, dass niemand trauriger sein könne, als man selbst es ist.«

      Vicky, mit ihren neun Jahren das jüngste der drei Mädchen, legte die Hand vor den Mund und gähnte demonstrativ: »Ihr langweilt mich wirklich! Den ganzen Tag wird nur noch von Mirja gesprochen. Dabei haben wir schon oft erlebt, dass ein neues Kind sich so anstellte wie sie. Nach einiger Zeit ändert sich das alles ganz von selbst.«

      »Vicky hat recht!«, lobte ihre Schwester sie. »Ich kenne keinen, der Sophienlust nicht so gesund und munter wie ein Fisch verlassen hätte. Herrjeh, was haben wir schon für schwierige Kinder hier gehabt … Da ist Mirja gar nichts dagegen!«

      Pünktchen hob hochmütig ihre kecke, kleine Nase. »Aber um Mirja kümmert sich Nick ganz besonders