Susan Hastings

Fürstenkrone Classic 40 – Adelsroman


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sich mit der schmutzigen kleinen Hand über das braune Gesicht. »Drüben an der Parkmauer. Den muß ich vielleicht mal umlegen.«

      Allmächtiger Gott und Vater, dachte ich, was für eine Sprache! Den muß ich vielleicht mal umlegen! Waren es die Auswirkungen des Fernsehens, war es der Jargon seiner großen Freunde?

      Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß Constantin und Tatjana ihm solche reizenden Sentenzen beigebracht hatten, eher schon Effi und die Küchenleute.

      »Meinst du?« fragte ich zurück und suchte mir einen Liegestuhl aus, den er in der nächsten halben Stunde brummend umkreisen würde, wie ich wußte.

      »Ja, das meine ich.«

      Jede weitere Unterhaltung wurde im Keim erstickt, da seine Mutter die flachen Steinstufen von der neuangelegten Terrasse herunterkam, um mir ein bißchen Gesellschaft zu leisten.

      Axel hielt nicht viel von der Gesellschaft seiner Mutter in Gegenwart anderer, da sie sich bei diesen Gelegenheiten gezwungen fühlte, so etwas wie Erziehung anzuwenden, wenn es ihr ein bißchen zuviel wurde. Dagegen war er leidenschaftlich gern mit ihr allein, ging gern mit ihr spazieren, riß sich förmlich darum, mit ihr Auto zu fahren, und wenn es auch nur zum nächsten Dorfmetzger war.

      »Wenn er Sie stört«, begann Tatjana ihre Standard-Unterhaltung, »schicken Sie ihn bitte weg. Ich kann ihn nicht einsperren, Sie kennen ihn ja, aber ich möchte wirklich nicht, daß er Ihnen die Zeit stiehlt. Apropos Zeit – was macht die Schreiberei?«

      Sie war sehr aufgeschlossen heute, viel munterer als in den letzten Wochen und sah bedeutend besser aus. Aber selbst in ihren schlimmsten Stunden war sie noch eine betörend schöne Frau. Man konnte sie nur schwer einordnen. Ihr Haar leuchtete wie reifes Korn. Ihre Wimpern, ihre Brauen waren sehr fein und klar gezeichnet, wie mit dunkler Tusche gemalt.

      Ihr Teint war cremefarben, und wäre sie öfter in der Sonne gewesen, wäre sie sicherlich dunkelbraun gebrannt. Aber Tatjana vertrug Sonne nicht gut, sie bekam Kopfschmerzen davon.

      »Na«, murmelte ich, ohne sie anzusehen, »es geht so lala. Sie wissen schon. Meine schöpferische Pause dehnte sich ja bereits über zwei Wochen aus. Weiß der Kuckuck, ich müßte doch irgendwann mal wieder eine Inspiration haben. Aber nichts dergleichen. Langsam setzt mir das wirklich zu. Ich bin schließlich hier, um zu arbeiten, und nicht um den schönen Park von Ahrgau zu genießen.«

      »Doch, dazu sind Sie außerdem auch hier«, meinte Tatjana lachend und betrachtete die Papierberge neben meinem Liegestuhl. »Ich bewundere Sie sowieso, ob Sie gerade eine schöpferische Pause oder ein schöpferisches Hoch haben. Ich bewundere jede Art schöpferischer Tätigkeit.«

      Ich winkte ab, obwohl es mir guttat, etwas Positives zu hören. Meine Arbeitsunlust deprimierte mich langsam nachhaltig.

      »Wollen Sie, daß wir ein bißchen mehr Leben ins Haus bringen?« fragte sie plötzlich. »Vielleicht täte Ihnen eine große Gesellschaft gut, eine Anregung in Form von Menschen und Musik und allem, was große Festlichkeiten so mit sich bringen. Es macht mir nichts aus, etwas zu arrangieren. Na, wie wäre das? Würde das Sie wieder aufmöbeln? Sie waren so beneidenswert munter und elastisch als Sie hierher kamen, und jetzt sehe ich zu meinem Bedauern, daß Sie deprimiert sind. Lillian, mir gefällt das nicht. Ich bin diesen Sommer als Gastgeberin für Sie verantwortlich, und ich tue es tatsächlich gern, wie Sie wissen. Ich habe das Gefühl, wir bieten Ihnen nicht so ganz den richtigen Rahmen, den Sie brauchen.

      Damals, auf der Kaminparty im Winter in der Stadt, als wir uns zufällig kennenlernten, sah alles ganz anders aus, nicht wahr? Da haben wir uns überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, wie dieser Sommer verlaufen würde. Wir waren davon überzeugt, daß er einfach von selbst laufen würde – und das tut er nun nicht. Sie sind so jung und so tüchtig, Lillian. Sie müssen einfach über Ihre Klippen hinwegkommen. Machen Sie sich nicht so viele überflüssige Gedanken, konzentrieren Sie sich außerdem auf ein bißchen Vergnügen. Sie leben hier wie eine Einsiedlerin. Gerade gestern sprach ich mit Constantin und Ignatz May darüber.«

      »So«, sagte ich, als sie offenbar geendet hatte und setzte mich in meinem Liegestuhl auf. »Sie glauben also im Ernst, mir fehlten ein Haufen Leute zur Unterhaltung, eine Band mit den neuesten Schlagern zum Tanzen und was man sonst noch so unter Vergnügen versteht? Wissen Sie, Tatjana, aus alldem komme ich ja. Damit werde ich in der Großstadt, in Kollegenkreisen förmlich gefüttert. Sie könnten sich nicht vorstellen, wie viele Partys ich besuchen muß, ob ich will oder nicht, wie viele ich trotzdem absage, weil ich absolut nicht will. Sie können sich nicht vorstellen, wie turbulent das Leben verläuft, wenn man sechsundzwanzig, ehrgeizig, bei der Presse und frei und ledig ist.«

      »Und hübsch«, setzte Tatjana lächelnd hinzu.

      Ich schüttelte abweisend den Kopf.

      »Damit hat es nichts zu tun. In diesem Punkt sind Sie mir erstens weit voraus, und das dürfte selbst Ihnen längst klar sein. Zweitens ist es nicht so wichtig, wie Sie vielleicht denken. Viel wichtiger ist, daß man kontaktfreudig ist, sich liebend gern mit Menschen umgibt, schier nicht genug davon bekommen kann und immer wieder ins Vergnügen springen will, was so viel heißt, daß man eine Menge Kraftreserven haben muß. Die ich nicht habe. Ich sehe nur so aus.«

      Sie lächelte immer noch und sah mich von der Seite an.

      »Sie wirken an sich ziemlich kräftig«, stellte sie scherzhaft fest. »Sie haben etwas Sportliches in Ihrem Äußeren und Ihrer Figur.«

      »Das täuscht«, seufzte ich und strich mein Haar gewohnheitsmäßig aus der Stirn, »das hat schon viele irritiert. Constantin hat früher immer gemeint, ich sähe aus wie ein Nivea-Mädchen, Sie wissen schon, Wind, Wasser, Wellen, Sonne, Frische. Ich habe aber nur diese Ausstrahlung, möglicherweise auch diese Farben, blond und braunhäutig und blauäugig. Im Grunde meiner Seele bin ich ganz, ganz anders.«

      »Wir sind alle ganz, ganz anders im Grunde unserer Seele«, seufzte Tatjana, halb belustigt, halb ernsthaft, »wenn Sie wüßten, was für eine

      Mördergrube in meinem Herzen herrscht.«

      »Da stehen Sie nicht allein, wenn Sie das trösten sollte«, gab ich ebenso leichthin zurück, »jeder Mensch, sofern er nicht ganz oberflächlich ist, hat Tiefen, die man nicht unbedingt ausloten sollte. Aber kommen wir zum Ausgangspunkt zurück. Meinetwegen brauchen Sie keine Riesenparty zu veranstalten. Sommerfeste können sehr schön sein, aber mir persönlich reicht durchaus ein gutes Gespräch mit Ihnen oder eine freundschaftliche Diskussion mit Ignatz May über Kunst und Kitsch.«

      »Sie sind ein bescheidenes Mädchen, und für Ihr Alter sind Sie überaus einsichtig.«

      »Das gehört zu meinem Beruf, gewissermaßen.«

      »Ach, ich weiß nicht. Ich kenne ein paar Leutchen aus Ihrer Branche, die ziemlich unausgegoren sind. Nein, nein, Sie sind ein durchaus ernsthafter Mensch, ein bißchen zu ernsthaft vielleicht.«

      Ich wischte diese letzte Bemerkung mit einer Handbewegung weg. Dann beugte ich mich im Liegestuhl vor, schob meine Sonnenbrille hoch auf die Stirn und sah Tatjana mit meinen gelegentlich wirklich überraschend blauen Augen fest ins Gesicht.

      »Axel erwähnte vorhin, drüben an der Parkmauer stehe zuweilen ein komischer Mann. Im Zusammenhang mit den Flaschenscherben, von denen ich Ihnen gestern flüchtig erzählte, könnte Ihr Sohn recht haben, finden Sie nicht?«

      Tatjanas Gesicht blieb liebenswürdig und belustigt. Sie seufzte einmal tief, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sagte schließlich: »Werden Sie sich jetzt auch eine Waffe zulegen, so wie Axel? Werden Sie jetzt auch Detektiv spielen wie er, der hinter jedem Baum einen Indianer und hinter jeder Stalltür einen Löwen sieht? Lillian, wir sind hier nicht im Wilden Westen, auch wenn mein Sohn Sie liebend gern davon überzeugen würde. Dies ist ein ruhiger, uninteressanter und, wie Sie sehr richtig behaupten, schlecht organisierter alter Herrensitz. Wir haben keine Geister um Mitternacht, auch wenn es mir selbst manchmal ein bißchen unheimlich ist wie neulich nachts – es liegt an meinen Nerven, das dürfen Sie mir glauben, die waren nie die besten. Wissen Sie eigentlich, daß ich Ihnen um fast zehn Jahre voraus bin?«