Die Kinder waren froh, als sie wieder zu Hause waren, Daniel und Fee allerdings auch. Unterhaltsam war der Ausflug nicht gewesen, das stellten die drei Kinder fest.
Lenni freute sich, daß sie alle wieder versammelt waren. Die Zwillinge beschäftigten jetzt ihre Eltern, während die drei Größeren sich in der Küche über Lennis Nudelsuppe stürzten, als hätten sie überhaupt nichts zu essen bekommen.
Es war schon einundzwanzig Uhr vorbei, und im Haus war Ruhe eingekehrt, da alle Kinder müde gewesen waren. Da läutete das Telefon.
Zu Fees Überraschung meldete sich Frau von Lüding. Sissi hätte sie angerufen und ihr von Fees Besuch erzählt, erklärte sie. Nun wollte sie wissen, was es Dringendes gäbe. Sie wüßte von Viola, daß sie Dr. Norden überaus schätze.
»Es handelt sich um Viola«, erklärte Fee. »Sie befindet sich in einem Hospital in Landeck.«
»Wieso das?« fragte Leonie von Lüding aufgeregt. »Warum wurde ich nicht benachrichtigt? Wieso ist sie in Landeck?«
Vorsichtig erklärte es Fee, wie man darauf gekommen war, ihren Mann zu benachrichtigen.
»Ich verstehe das alles nicht, ich verstehe überhaupt nichts mehr!« stöhnte Leonie. »Ich werde morgen gleich nach Landeck fahren.«
»Wir halten es für sinnvoll, Viola nach München bringen zu lassen, damit sie die richtige medizinische Betreuung bekommt. Damit ist auch Dr. Brankow einverstanden.«
»Ich natürlich auch. Ich will sie in der Nähe haben. Aber ich möchte auch gar zu gern wissen, was eigentlich mit Paolo los ist. Hier war er jedenfalls nicht, und angeblich hat niemand Viola gesehen. Wie lange ist sie denn schon in dem Hospital?«
»Jetzt sind es sechs Tage, und solange liegt sie auch bereits im Koma.«
»Das ist schrecklich! Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Vorerst kann ich mich nur ganz herzlich bei Ihnen bedanken. Ich melde mich sofort, wenn ich in München bin. Ein Trost, daß Viola lebt!«
Was mag da nur geschehen sein? dachte Fee. Irgend etwas ist da faul.
»Oberfaul«, gab Daniel seinen Kommentar dazu. »Aber jetzt wissen wir wenigstens, daß Frau von Lüding sich um Viola kümmern wird.«
Leonie war eine energische Frau, eine starke Persönlichkeit, wie man sie in einer Künstlerin nicht vermutete.
Und sie war eine Malerin von Rang, um deren Bilder man sich riß.
Sie war außerdem eine sehr attraktive Frau, vierzig Jahre und Single aus Überzeugung, was aber nicht besagte, daß sie überhaupt nichts mit Männern zu tun haben wollte. Sie wollte nur ihr ganz privates Leben nicht eingeschränkt wissen und keine Bindung eingehen, die Rücksichtnahme und Anpassung erforderte.
Manchmal brauchte sie aber männlichen Rat, weil ein Mann sich nicht so sehr von Emotionen leiten ließ, wenn es um die Ehe eines anderen Paares ging.
Dr. Clemens Münch hielt sich zur Zeit in Klosters auf, und von ihm hatte Leonie Hilfe erwartet, aber er hatte ihr nicht weiterhelfen können. Er hatte Viola nicht gesehen, und sie hatte sich nicht bei ihm gemeldet. Nun schneite so spät am Abend Leonie bei ihm herein, im wahrsten Sinne des Wortes, denn es fiel dichter Schnee.
Er war überrascht, aber auch erfreut.
»Daß es dich mal zu mir treibt, liebe Lex, ist ein wahres Wunder, und dazu noch bei diesem Wetter.«
»Es ist kein Wunder, es ist blanke Verzweiflung«, sagte sie tonlos. »Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tun und denken soll, Clem.«
»Komm erst mal rein. Ich mache uns einen Glühwein. Du zitterst ja.«
Und das war er von ihr gar nicht gewöhnt. Aber er ahnte, daß es um Viola ging.
Sie hatte sich am Kamin niedergelassen, und er bereitete inzwischen den Glühwein. Sie sollte sich erst beruhigen.
»Weißt du jetzt, wo Viola steckt?« fragte er dann aber doch, um sie der Lethargie zu entreißen, in die sie verfallen schien.
»Deswegen bin ich hier. Sie liegt in Landeck im Hospital.«
»Wie hast du es erfahren?« fragte er bestürzt.
»Dr. Norden ist verständigt worden, und seine Frau war bei mir.«
»Jetzt mal langsam, Lex, wieso wurde Dr. Norden verständigt und nicht du? Hattest du Differenzen mit Viola?«
»Aber nein, sie liegt im Koma, und sie verständigten Dr. Norden, weil sie ein Rezept von ihm bei ihr fanden. Sie hatte keine Ausweise und kein Geld bei sich.«
»Das ist aber beängstigend«, sagte er entsetzt. »Ist sie überfallen worden?«
»Wir wissen nicht, was passiert ist, auch Dr. Norden weiß es nicht. Er will Viola nach München verlegen lassen, und ich bin selbstverständlich einverstanden. Aber morgen werde ich nach Landeck fahren und mit dem Arzt sprechen.«
Clemens Münch schüttelte den Kopf.
»Das ist sehr mysteriös. Ich werde dich auf jeden Fall begleiten.«
»Das würdest du tun? Ich wär dir ja so dankbar.«
Sie kannten sich schon zehn Jahre, aber noch nie hatte er aus ihrem Munde solche Worte vernommen. Eher solche wie »das brauchst du wirklich nicht, ich schaffe das allein«, oder »ich bin kein unmündiges Kind und komme allein zurecht«.
Alles wollte sie selber machen, und manches Mal hatte er sich über sie geärgert, weil sie gar so ablehnend war.
Jetzt war sie verzweifelt und dankbar, als er beruhigend auf sie einsprach und ihre Hand hielt.
»Du bist ein guter Freund, Clem«, sagte sie leise. »Ich fühle mich einfach schrecklich in dieser Ungewißheit.«
»Ich konnte diesen Paolo nie leiden«, sagte er grimmig, »mich würde es nicht wundern, wenn er ihr etwas angetan hätte.«
»Bitte nicht, sag nicht so was«, murmelte sie. »Das kann nicht sein. Er ist doch weit weg.«
»Das wird sich erst herausstellen. Als ich Viola das letzte Mal sah, hatte ich nicht dein Eindruck, daß sie glücklich ist.«
»Da hatte sie die Fehlgeburt, sie war deprimiert.«
»Und warum hatte sie eine Fehlgeburt?«
»Das passiert eben manchmal. Aber ich muß zugeben, daß Viola auch zu mir nichts sagte. Sie war sehr verschlossen.«
»Wir werden diese ganze Sache systematisch angehen. Wenn sie im Koma liegt, kann sie selbst nichts unternehmen. Wie ist das eigentlich mit den Finanzen? Hat er denn Vollmacht über die Konten?«
»Der größte Teil des Vermögens liegt fest. Soviel ich weiß, wird jedes Jahr eine bestimmte Summe freigegeben. Berthold war ein sehr vorsichtiger Mann, und er war gegen jede Verschwendung.«
»Vielleicht hat das dem Gigolo nicht gepaßt.«
»Clem, du sprichst von Conte Corelli.«
»Ein Titel ist kein Freibrief. Auf mich wirkte er wie ein schmarotzender Nichtstuer, ein Schönling, der sich in der Gunst der Frauen sonnte. Viola war so naiv und leichtgläubig. Ich verstehe nicht, daß ihr Vater der Heirat zustimmte.«
»Was hätte ein Nein genützt? Aber Paolo stammt aus einer angesehenen Familie, und Berthold machte auch Zugeständnisse, weil er noch jung war und gerade erst mit dem Studium fertig. Nein, wir wollen uns nicht verleiten lassen, in unserem Groll Verdächtigungen gegen ihn auszustoßen.«
»Denn er war ja so charmant, so umwerfend schön und faszinierend«, spottete Clemens, »aber die Männer sehen ihn mit anderen Augen.«
»Wenn er Viola etwas angetan hat, wird er mich kennenlernen!« stieß Leonie hervor. »Ich kann es mir nur nicht vorstellen. Er war immer so aufmerksam, so liebenswürdig und sie waren doch wirklich ein Traumpaar.«
»Das