»Das wird sich ändern«, widersprach Shanice leidenschaftlich. Dabei blitzten ihre großen grauen Augen so lebhaft, wie das normalerweise nie vorkam.
»Ausgeschlossen. Aus einem grauen Entchen wird kein Schwan, das weißt du ganz genau. Wenn Jakob vor einer Kamera steht, bringt er keinen Ton heraus. Die ›Hoppla-hier-komm-ich-Masche‹, die erwartet wird, kriegt er nie hin!«
»Was wetten wir?« Shanice amüsierte sich darüber, daß sich ihr Freund so ereiferte. Sie war sich ihrer Sache sicher.
»Ein Essen bei Angelo«, hielt Nico dagegen. »Und in der Hardbergstraße fahren wir auch vorbei. Du siehst daraus, daß ich bereit bin, auf dich einzugehen.«
Shanice sprang fröhlich auf.
Nico erhob sich viel behäbiger, denn ihm behagte der Umweg überhaupt nicht. Er willigte nur ein, um seine Freundin bei Laune zu halten. Schließlich versprach er sich von diesem Abend noch einiges.
Vor dem Anwesen Nummer 12 in der Hardbergstraße bat Shanice ihren Freund, kurz anzuhalten. Es wurde gerade dunkel, und einige Fenster des Hauses waren hell erleuchtet.
»Na, zufrieden? Sieht doch gar nicht schlecht aus, das Zuhause deines Schützlings. Keine armselige Hütte, sondern ein ganz moderner Neubau mit allem Schnickschnack. Es gibt also keinerlei Grund, die Samariterin zu spielen. Ich hoffe, daß damit das Thema vom Tisch ist.«
Shanice ging auf die provozierende Äußerung nicht ein. »Dieses Haus haben seine Eltern gebaut und kurz vor dem Tod seiner Mutter bezogen. Nach dem Unglück ging der Vater ins Ausland und Jakobs Tante zog ein.«
»Woher weißt du denn das?« Ungeduld schwang in Nicos Stimme mit, denn er war der Ansicht, daß all diese Dinge völlig uninteressant für sie waren.
»Der Junge hat es mir erzählt. Er ist erstaunlich vernünftig für sein Alter. Ich freue mich schon darauf, ihn morgen wiederzusehen.«
»Muß das sein?« fragte Nico mit finsterem Gesicht.
*
Anita Stahnke war erstaunt, als es an diesem Abend klingelte, denn sie erwartete niemand. Sie meldete sich über die Gegensprechanlage und wunderte sich noch mehr, als sie die Stimme ihres Schwagers erkannte. »Manfred, du?« fragte sie und eilte zur Tür.
Erfreut öffnete sie und fiel dem großen, breitschultrigen Mann mit einem Freudenschrei um den Hals.
Viel heftiger, als es ihm lieb war, klammerte sie sich an ihm fest. Ihm war diese herzliche Begrüßung etwas peinlich, denn so gut, wie dies demonstriert wurde, war die Beziehung zwischen ihnen auch wieder nicht. Das hing mit dem früheren gespannten Verhältnis der Schwestern zusammen. Nach dem Tod seiner Frau hatte ihm Anita angeboten, für den kleinen Jakob zu sorgen. Ihm war das recht, denn er hätte das Kind in ein Heim geben müssen, weil er es selbst nicht betreuen konnte. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Auch nicht an seiner Trauer. Er konnte den Verlust seiner Frau nicht überwinden. Das war auch der Grund dafür, daß er als Ingenieur für seine Firma in die Vereinigten Arabischen Emirate ging, um dort Meerwasser-Entsalzungsanlagen zu bauen.
»Super, daß du hier bist«, jauchzte Anita. »Hoffentlich bleibst du ein paar Wochen.«
»Da muß ich dich enttäuschen.« Manfred kam nicht gern in das Haus, in dem ihn alles an seine Frau erinnerte. Er hätte es nie mehr betreten, wenn Jakob, sein kleiner Sohn, nicht hier lebte. Nur um das Kind zu sehen, kam er. »Ich fliege noch heute Nacht wieder zurück.« Manfred Kaiser schob seine Schwägerin sanft von sich. Dabei fiel ihm auf, daß sie verblüffend zurecht gemacht war. »Willst du weggehen?« fragte er verwundert.
»Nein, ich habe geahnt, daß du kommst«, schwindelte Anita. Ihre wässrig blauen Augen strahlten Manfred an. Niemals hätte sie zugegeben, daß sie mit einer Freundin verabredet war, um mit ihr zu einem Sommerfest zu gehen. »Wieso hast du nur Zeit für einen Blitzbesuch?« Anita tänzelte vor Manfred her und lotste ihn in den großen Wohnraum. Sie hatte hier vieles verändert, doch Manfred war das ganz recht.
»Ich bin am frühen Morgen aus Abu Dhabi eingetroffen und gleich ins Werk gefahren. Es gibt Probleme mit den Filtern. Sie sind einfach zu schwach. Dadurch kommt es zu Engpässen beim Durchlauf, zu Rückstauungen und letzten Endes zum Stillstand der Anlagen. Die Schweizer, mit denen wir eng
zusammenarbeiten, sind ganz schön sauer. Es müssen also neue Filter entwickelt werden, um das Problem in den Griff zu bekommen.«
Diese Ausführungen interessierten Anita überhaupt nicht. Sie war vor Manfred stehengeblieben, der wie ein Fremder im Eingangsbereich verharrte. »Braun bist du und es steht dir fabelhaft. Siehst aus wie ein Tennis-Champion, der aus Australien zurückkehrt. Imponierend!« Anita mußte hochschauen, denn der Schwager war gut einen Kopf größer als sie. Manfred hatte ihr schon immer gefallen, und sie war wahnsinnig eifersüchtig gewesen, als er ihre Schwester heiratete. Zumindest jetzt mußte es ihr einfach gelingen, diesen tollen Mann für sich zu gewinnen. Anita verschenkte ihr allerschönstes Lächeln.
Manfred erwiderte es nicht. Er hatte in Anita noch nie etwas anderes gesehen als die um ein Jahr ältere Schwester seiner Frau.
»Du stellst dir nicht vor, wieviel Wasser eine Stadt wie Abu Dhabi benötigt. Noch vor dreißig Jahren war dort nichts als staubtrockene Wüste. Und heute gibt es nicht nur jede Menge moderner Hochhäuser und Hotels mit riesigen Pools, sondern auch viele grüne Parks mit Bäumen, Blumen und Wasserspielen. Die Entsalzungsanlagen laufen Tag und Nacht auf Hochtouren, denn ohne sie wäre all dieser Luxus nicht möglich. Schon geringe Ausfälle sind eine Katastrophe.
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