den Lippen dachte sie zurück, wie schwer ihr das gefallen war. Das Beschreiben ihrer schlanken, eins-zweiundsiebzig großen weiblichen Figur, ihrer schulterlangen, mittelblonden Haare, ihrem schmalen Gesicht mit den hohen Wangenknochen, ihren vollen Lippen und ihren großen, blaugrauen Augen ...
Sie konnte sich schon einschätzen, war zufrieden mit ihrer Optik, tat auch einiges dafür. Seit ihre Tochter im Internat war, besuchte sie zweimal pro Woche ein nahegelegenes Fitnessstudio. Schon seit Jahren joggte sie montags in der Gruppe mit Freundinnen, zweimal im Monat spielte sie Squash. Nicht umsonst bekam sie immer wieder Komplimente, auch wenn ihr bewusst war, dass nicht alle uneigennützig eingesetzt wurden.
Ihre betont weibliche Figur in Worten zu beschreiben, hatte etwas Narzisstisches, etwas Peinliches. Es kostete sie einiges an Überwindung.
Die Forderung lautete, ihre Brüste, ihre Pussy, ihren Po in SM-Sprache und sehr detailliert zu beschreiben.
Wie viele Male hatte sie die schon geschriebenen Zeilen gelöscht, verbessert, geändert und wieder gelöscht. Erst nach zwei Gläsern Prosecco konnte sie damals loslassen, wurde lockerer und konnte sich endlich durchringen, ihm zu schreiben, was er lesen wollte.
Aufgewühlt hatte sie ihm ihre schlitzförmig, von schmalen Schamlippen umgebene, schnell feucht werdende Pussy, ihre prallen, leicht hängenden Titten mit den abstehenden steifen Nippeln, ihre festen noch immer knackigen Arschbacken beschrieben. Er wusste, wie er sie forderte, wie er sie kickte.
Natürlich durchschaute sie das Spiel, es verlor dadurch nicht an Wirkung. Selbst jetzt, wenn sie daran dachte, spürte sie ein heftiges Kribbeln. Melanies Hand tauchte in das warme Wasser, verweilte einige Sekunden zwischen ihren Schenkeln.
Er, der Unbekannte, hatte sie durchschaut, ihre Sehnsüchte, ihre Fantasien, hatte damit alle ihre Sinne getroffen.
ER kannte das Passwort zu ihrer Seele.
Seine Zeilen wirkten offen, deutlich, ehrlich. Er ging auf ihre Fragen ein, wirkte aufrichtig, nicht aufgesetzt, versah alles mit einer Prise Humor. Keiner, mit dem sie in dem Portal sonst noch geschrieben hatte, hatte sie auch nur annähernd so berührt. Sie, die Journalistin, die ihr Leben lang Texte formulierte, die die Wirkung von Worten kannte, war diesem Mann nach nur wenigen Chats und Mails fast schon hörig. Immer wieder gingen ihr einige Zeilen durch den Kopf.
»... mein Weg ist dein Weg. Du brauchst es, willst es ... du tauchst ab in die Hölle ... fliegst schwerelos in den Himmel ... du spürst, befolgst, gehorchst, leidest, genießt, erlebst! ...«
Sie streckte sich genüsslich aus, tauchte bis zum Kinn unter Wasser, verharrte so einige Zeit mit geschlossenen Augen.
Im Beruf war sie unter anderem für die Titelgeschichte, den Aufmacher der Frauenzeitschriften verantwortlich. Melanie musste delegieren, ihre Meinung des Öfteren mit Nachdruck und Leidenschaft vertreten. Es kostete sie viel Kraft und Energie, aber es war genau der Job, den sie wollte, der ihrem Naturell entsprach. Sie war Ideengeberin und Macherin.
Ganz anders im sexuellen Bereich. Dort lebte sie ihre devote Neigung aus. Nicht mit ihrem Mann. Nicht mit dessen Wissen.
»Wie verrückt ist das alles«, flüsterte sie mit gemischten Gefühlen vor sich hin. Wie oft ging ihr dieser Satz in letzter Zeit durch den Sinn. Bisher war alles gut gegangen. Bisher!
»Mum, du vergisst nicht, mich zu fahren, oder?«, kam es von draußen, etwas drängelnd von ihrer Tochter.
Ihre Träumereien hatten Melanie die Zeit vergessen lassen.
»Ja, Liebes, geht in Ordnung! Bin gleich da!«
»Viel Spaß, mein Schatz und bleib mir ja anständig!« Die letzten Worte hörte ihre Tochter nicht mehr, hatte sie doch die Autotür schon übermütig hinter sich zugeworfen.
Kreischend wurde Amelie von den Mädels empfangen. Belustigt beobachtete Melanie die Begrüßung ihrer Tochter. Erinnerungen an ihre eigene Jugendzeit wurden wach. Eine Frage hatte sie schon des Öfteren beschäftigt. Wollte sie, wenn es möglich wäre, einige Jahre, einige Jahrzehnte zurück in ihrem Leben, zurück in die Vergangenheit? Würde sie ihr Leben anders gestalten? Mit all ihrem jetzigen Wissen, all ihren persönlichen Erfahrungen?
Nach dem Sport, beim Umtrunk an der Sportbar, hatte sie sich kürzlich mit ihren Freundinnen über dieses Thema unterhalten. Zum Erstaunen aller kam heraus: Gäbe es eine Zeitmaschine, nicht eine einzige von ihnen hätte in ein früheres Jahrzehnt des eigenen Lebens zurückgewollt. Den einen oder anderen Fehler, besonders in Bezug auf Männer, hätte manch eine allerdings liebend gern ungeschehen gemacht oder gar ausgelöscht. Jede konnte eine Geschichte zu diesem Thema beisteuern, es wurde herzhaft geschäkert und gelacht.
Gut gelaunt drehte Melanie die Lautstärke weiter auf, summte auf der Heimfahrt den neusten Hit aus dem Radio mit.
Minuten später sprach der Moderator die neuesten Daten und Zahlen betreffs Scheidungen in Deutschland an. Die Prozentzahlen waren eindeutig. Deutlich mehr Frauen als Männer reichten die Scheidung ein, vor Jahrzehnten noch undenkbar.
Melanie beschloss, dieses Thema auf der nächsten Redaktionskonferenz auf den Tisch zu bringen.
Auch in ihrem engsten Freundeskreis gab es schon, nach Jahrzehnten des Zusammenlebens, einige schmerzhafte Trennungen. Auch einen Todesfall hatten sie in den letzten Monaten zu beklagen. Eine gleichaltrige langjährige Freundin war an den Folgen von Leukämie gestorben. Noch wenige Monate vorher hatte ihre Freundin Selina wie das blühende Leben ausgesehen. Sie hatte keine finanziellen Sorgen gehabt, nicht geraucht, nicht getrunken, sich gesund ernährt, war nie übergewichtig gewesen, hatte sich ein Leben lang sportlich betätigt.
Melanie war richtig sauer auf den lieben Gott.
Warum gerade Selina? Warum?
Wie viele Artikel in ihrer Zeitschrift waren im Fall ihrer Freundin Selina zu Makulatur geworden. Gut gemeinte Tipps über asiatische Entspannungstechniken, gesundes Essen, die Aufforderung, Sport zu treiben, nicht zu rauchen, mäßig Alkohol zu konsumieren und einiges mehr.
Selina hatte alle diese Kriterien erfüllt und musste trotzdem gehen.
Alles war noch frisch. Melanie spürte einen unangenehmen Druck in ihrer Brust. Der Schmerz saß noch tief. Sie schaltete das Radio ab.
In diesen Momenten nahm sie sich erneut vor, im Hier und Jetzt zu leben, Wünsche und Sehnsüchte nicht in eine ferne Zukunft zu verschieben. Sollte ihr etwas passieren, wollte sie sich keine Vorwürfe machen, ihr Leben nicht gelebt zu haben.
Während sie noch einige Minuten ihren Gedanken nachhing, forderte das Vibrationsgeräusch ihres Handys ihre Aufmerksamkeit. Eine Whats-App. Sie erwartete keine Nachricht, aber was hieß das schon in dieser überdrehten, kommunikativen Zeit.
Sollte vielleicht ... Etwas unruhig geworden, steuerte sie die erstbeste Parkmöglichkeit an.
Sie stülpte ihre Lippen übereinander, las den Text erneut. Ein Hitzeschwall ging durch ihren Körper. Sie schloss für einige Sekunden die Augen, spürte, wie ihr Puls pochte.
ER hatte geschrieben. Klare Ansagen über Ort und Zeit.
Jetzt lag es nur noch an ihr.
Einige Minuten saß sie gedankenversunken hinter dem Steuer ihres Wagens, schaute in den Außenspiegel, um dann den Motor zu starten.
Zu Hause wartete Carsten. Melanie spürte, die Whats-App hatte etwas Stimulierendes, hatte sie aufgeputscht.
Carsten konnte sich freuen. Er liebte es, wenn sie triefend nass war, wenn sie sich versaut gehen ließ, wenn sie sein, wie er sie nannte, geiles verficktes Mädel war.
Das konnte er haben. Aufgedreht und in hohem Maße erregt freute sie sich auf zu Hause, auf ihren Mann.
Wieder und wieder kamen ihr die Worte der Whats-App-Nachricht in den Sinn. Sie spürte, wie sich ihre Härchen aufstellten, wie ein warmer Schauer durch ihren Körper ging, wenn sie nur daran dachte.
Der