Juergen Stryjak

Ägypten


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es soll das größte der Welt sein. Benannt wurde es nach dem durch die Revolution von 2011 gestürzten Präsidenten Mubarak. Es soll das Nilwasser aus dem Stausee in einen langen Kanal pumpen, über den dann eine große Fläche Land in der Wüste urbar gemacht werden soll.

      Seit der Errichtung des Assuan-Staudammes erreicht die Nilschwemme Ägypten nicht mehr. Es ist nun zwar sicherer vor Überschwemmungen und Dürren und die Felder können bis zu drei Mal jährlich bestellt werden, aber die Böden versalzen, und weil sich der Nilschlamm im Stausee sammelt, sind die Bauern auf teure chemische Düngemittel angewiesen. Der Eingriff in den Lauf des Nils ist deshalb an sich schon eine heikle Angelegenheit, aber noch riskanter könnte die Tatsache sein, dass mit dem Nil praktisch fast das gesamte Trink- und Nutzwasser Ägyptens aus dem Ausland kommt. Der längste Fluss der Erde erreicht Ägypten als letztes, nachdem er zuvor durch neun andere Länder Afrikas geflossen ist – kein anderer Fluss der Welt ist so wichtig für so viele Menschen. Ägyptens Gedeih und Verderb sind also von dem abhängig, was zuvor in diesen neun Ländern mit dem Nilwasser geschieht. Bereits 1985 hatte Boutros Boutros-Ghali, der ehemalige UN-Generalsekretär, damals Außenminister Ägyptens, erklärt: »Der nächste Krieg in der Region wird um Nilwasser geführt werden.«

      1929 hatten Ägypten und Großbritannien, das damals seine ostafrikanischen Kolonien Kenia, Uganda, das jetzige Tansania sowie den Sudan vertrat, ein Dokument unterzeichnet, das jegliche Maßnahmen untersagt, die die Menge des Nilwassers, die bis nach Ägypten gelangt, reduzieren würden. In einem Vertrag von 1959 wird Ägypten die Entnahme von jährlich 55 Milliarden Kubikmetern der schätzungsweise insgesamt 83 Milliarden Kubikmeter Nilwasser zugesprochen.

      Das ist eine stattliche Menge, aber die Bevölkerung Ägyptens wächst schnell, das Land braucht immer größere Mengen Wasser. Dabei spielt der Trinkwasserbedarf nur eine geringe Rolle. Das meiste Wasser des Nils wird in Ägypten als Nutzwasser auf Feldern und in der Industrie gebraucht. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten kam es bereits zu Wasserkrisen im Land. Tausende Menschen protestierten gegen Wasserknappheit, im Nildelta zum Beispiel. Sie blockierten Fernverkehrsstraßen und Autobahnen. Das Fernsehen zeigte Bilder von Bäuerinnen eines Dorfes, die schwere Wasserkanister kilometerweit trugen, und sprach von der »Revolution der Durstigen«. Es waren Bilder, wie sie die Welt vor allem aus schwarzafrikanischen Dürregebieten kennt. Dutzende Menschen wurden gezeigt, wie sie sich an einer dreckigen Wasserlache bückten und ihre Kanister füllten.

      Vermutlich müsste es solche Szenen derzeit noch nicht geben. Das Problem sei im Moment eher Missmanagement, zum Beispiel bei der Bewässerung der Felder, als Wassermangel, behaupten Experten. Aber das wird sich schnell ändern. Der Klimawandel verursacht noch größere Trockenheit im Land. Gleichzeitig muss der Fluss immer mehr Menschen versorgen. Angesichts des Bevölkerungswachstums, so prognostizieren Fachleute, bräuchte Ägypten Mitte des Jahrhunderts eigentlich einen zweiten Nil. Doch den wird es nicht geben.

      Das größte Kopfzerbrechen bereitet den Ägyptern allerdings derzeit Äthiopien, das den Oberlauf des Blauen Nils und damit die Quelle von bis zu 85 Prozent des ägyptischen Nilwassers kontrolliert. Vor neun Jahren hat man dort mit dem Bau des so genannten Renaissance-Staudamms begonnen, für die Äthiopier ein Jahrhundertprojekt. Ende 2020 soll die Stromerzeugung beginnen. Solange sich in Äthiopien das Staubecken füllt, so lange kommt weniger Wasser in Ägypten an, wo man verheerende Folgen befürchtet: ausgetrocknete Felder, eine gefährdete Trinkwasserversorgung, Salzwasser, das aus dem Mittelmeer ins Nildelta eindringt. Während der Arbeit an diesem Buch sind die zähen Verhandlungen – begleitet von gegenseitigen Kriegsandrohungen – zwischen beiden Ländern ins Stocken geraten. Die Unterzeichnung einer von den USA vermittelten Einigung wurde verschoben. Sie sieht unter anderem vor, dass der Stausee nur dann gefüllt wird, wenn in Äthiopien Regenzeit herrscht.

      Dabei hat Ägypten schon genug damit zu tun, sich auf ein anderes von Menschen gemachtes Problem einzustellen: auf die Folgen des Klimawandels. Durch den Klimawandel könnte der Nil bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu 75 Prozent weniger Wasser führen. Das hängt auch stark mit den Klimaveränderungen in den Quellregionen des Nils zusammen. Doch die größte Gefahr droht der Region des Nildeltas. In der Mittelmeerstadt Alexandria wurden bereits erste Betonwälle zum Schutz vor dem steigenden Meeresspiegel errichtet. Eine Studie prognostiziert, dass im Nildelta bis 2050 eine Fläche unter Wasser stehen könnte, die der von Hamburg entspricht. Bis zum Ende des Jahrhunderts steht womöglich ein Gebiet von der Größe des Saarlands unter Wasser. 5,7 Millionen Ägypter wären davon betroffen, unter anderem in Gebieten um Alexandria. Hinzu kommt, dass durch den Assuan-Staudamm viel weniger Sedimente über den Nil ins Delta gelangen, was die Küste noch anfälliger für Erosion macht.

      Die Regierung ist sich der Gefahren durchaus bewusst. Das Wasserministerium Ägyptens erklärte, dass die nationalen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel mindestens zehn Milliarden Euro kosten könnten. Doch das wird kaum reichen. Für den Energiesektor hat Ägypten einige ambitionierte Umweltprojekte angekündigt oder bereits umgesetzt. Bei Assuan ging Ende 2019 eines der größten Solarkraftwerke der Welt in Betrieb. Bis 2035 sollen 42 Prozent des elektrischen Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. In Alexandria will man demnächst Elektrobusse im Stadtverkehr einsetzen. In Kooperation mit einem chinesischen Hersteller sollen in Ägypten Elektroautos für den heimischen Markt produziert werden. Doch für Investitionen dieser Art könnte zukünftig das Geld fehlen, wenn das Land eine Wasserkrise von nahezu biblischem Ausmaß bewältigen muss.

       Europas Blick auf den Nil

      Dabei ist der Nil doch eigentlich ein Mythos und kein Konfliktherd. »Bei Sonnenuntergang sieht es so aus«, schrieb Gustave Flaubert 1850, »als seien die Bäume mit Kohlestift gezeichnet, und die Sandhügel erscheinen wie aus Goldstaub.« Der französische Schriftsteller war nur einer von vielen prominenten Europäern, die in den letzten Jahrhunderten die klassische Ägyptenreise auf dem Nil zu den pharaonischen Tempeln und Gräbern an seinen Ufern unternahmen. Flauberts Interesse scheint dabei mehr dem lyrischen Landschaftserlebnis als dem prosaischen Geschichtsinteresse gegolten zu haben. Im selben Jahr notierte Reisegefährte Maxime Du Camp: »Wenn Flaubert gekonnt hätte, so wäre er am liebsten auf einem Sofa liegend gereist, ohne sich zu rühren, hätte die Landschaften, die Ruinen und die Städte an sich vorüberziehen sehen wie die Leinwand eines Panoramas.«

      Lange war für die europäischen Aristokraten und Bohemiens die Dahabiyya das bevorzugte Transportmittel auf dem Nil. Der Name der Segelboote ist vom arabischen Wort für Gold abgeleitet, denn das Holz vom Schiffsrumpf und von seinen Aufbauten schimmerte in der Abendsonne nicht selten goldgelb. Die langsamen Frachtsegler boten wenig Komfort, aber so viel Entschleunigung, dass man die Landschaft gebührend auf sich wirken lassen konnte. Wer auf dem Nil segelt, so lautet eine ägyptische Redensart, sollte Segel besitzen, die aus Geduld gewebt sind.

      Die Dahabiyya, auf der ich einst eine solche Reise unternahm, war ein liebevoll rekonstruierter Segler aus dem Jahre 1840 für 18 Gäste und zehn Mann Besatzung. Unter Deck war das Boot überall mit nostalgischem Interieur ausgestattet, mit historischen Leuchtern und Tischen, Messingbeschlägen an Türen und Wänden und mit orientalischen Diwan-Stoffen im Salon. Eine Nilkreuzfahrt auf einer Dahabiyya hat den Vorteil, dass man anlegen und eine Pause machen kann, wo man möchte. Zum Beispiel auf einer Wiese am Ufer zum Abendessen, das dann nicht auf dem Deck unter einem Sonnenschirm, sondern an Land serviert wird. Manchmal fuhren wir dicht am Ufer entlang. Wenn dann der Motor des Schleppschiffes verstummte, weil der Wind für die Segel an den zwei Masten reichte, dann war es so still, dass man Oberägypten hören konnte. Die frische Brise rauschte in den Palmen, Vögel zwitscherten, auf einem Feldweg spielten Kinder. Einmal ritt ein Bauer auf einem Esel auf dem Uferweg entlang und sang zufrieden vor sich hin. Es war, als wären wir jetzt im 19. Jahrhundert angekommen.

      Die Dahabiyya verlor ihre Bedeutung für die Nil-Reisenden mit der Einführung des Dampfschiffes. Viele, die heutzutage eine Pauschalreise nach Mallorca oder in die Türkei buchen, wissen gar nicht, dass sie diese Art zu reisen im Grunde dem Nil verdanken. Ägypten gilt nicht nur als Wiege der Zivilisation, sondern auch als Wiege der Pauschalreise, und Thomas Cook ist ihr Erfinder. 1869 erlebte der Brite in Oberägypten mit eigenen Augen, dass ein pharaonischer