Juergen Stryjak

Ägypten


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unter den Kreuzfahrtschiffen auf dem Nil gehört die MS Sudan, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts. Von einer Tour auf dem Schaufelraddampfer ließ sich Agatha Christie zu ihrem Buch »Der Tod auf dem Nil« inspirieren.

      Damals auf dem Nil muss auch das begonnen haben, was heute eine ganz übliche Attitüde ist, nämlich die Verachtung, mit der manche Individualreisende auf Pauschaltouristen blicken. Amelia Edwards, die Grande Dame der historischen Nilreisenden aus Europa, schrieb vor anderthalb Jahrhunderten: »Die Leute auf den Dahabiyyas verachten die Cook'schen Touristen.« Sie würden dem organisierten Tourismus mit arrogantem Mitleid begegnen. Reiseprofi Thomas Cook konterte damals: »Meine Gäste wollen Geschwindigkeit statt der schweren Prüfung durch langatmige Geduld.«

      Die Nilreise auf großen motorisierten Kreuzfahrtschiffen ist auch heute noch ein Klassiker unter den Urlaubsangeboten für Ägypten, allerdings hat die Zahl der Touristen, die solch eine Reise buchen, seit 2011 stark nachgelassen. Das Geschäft erholt sich nur langsam. Das ist schade, denn was könnte es Schöneres geben, als liegend auf einem Sofa zu reisen, ohne sich zu rühren, idyllische Landschaften und pharaonische Tempel an sich vorbeiziehen zu lassen und so die Wiege von Zivilisationen zu besuchen.

       Wiege von Zivilisationen

       Ein jahrtausendealtes Land

      »Ägypten ist das Land, in dem sich Zivilisationen treffen.« Das konnte man Ende 2019 wochenlang auf Plakaten lesen, die im Rahmen einer Kampagne überall im Land hingen. Der Slogan leuchtete auch von den riesigen Werbewänden, die in Kairo zum Beispiel die Ausfallstraße zum Flughafen säumen. Aber auch an anderen Hauptstraßen war die Kampagne unübersehbar. Alle paar Meter hing eines der Motive auf einem kleinen Täfelchen, immer versehen mit dem Spruch: »Where Civilizations meet.« Die Werbeaktion sollte auf ein vom Staat organisiertes Weltjugend forum aufmerksam machen, das in Sharm al-Sheikh stattfand. Dort würden sich Zivilisationen in einem Land treffen, das an sich schon ein zivilisatorischer Schmelztiegel sei. So in etwa lautete die Botschaft der Kampagne. Und damit das klar wurde, waren auf sieben einzelnen Motiven Vertreterinnen und Vertreter dieser ägyptischen Zivilisationen zu sehen: vier Frauen und drei Männer, afrikanisch, mediterran, griechisch-römisch, koptisch, islamisch, arabisch und pharaonisch.

      Das seien Ägyptens »sieben Säulen«, auch diese Formulierung wurde im Rahmen der Kampagne verwendet. Auf diesen Säulen unterschiedlichster Kulturen würde das moderne Ägypten ruhen. Und es stimmt, kaum ein anderes Land der Welt war über einen so langen Zeitraum schon so globalisiert. Ägypten hat fremde Kulturen aufgesogen wie ein Schwamm, aber auch eigene geschaffen, deren Spuren heute bis in die fernsten Winkel der Welt reichen. Ägypten besitzt zudem das erste Kalenderblatt der Menschheitsgeschichte, das auch den Namen verdient, weil es tatsächlich ein konkretes Datum nennt. Im Nordosten jener Metropole, die seit gut eintausend Jahren Kairo heißt, fand vor mehr als 6000 Jahren die Gründung einer Siedlung statt. Wie Max Rodenbeck in seinem großartigen Buch »Cairo. The City Victorious« schildert, konnten Wissenschaftler anhand der Sternenkonstellation und im Vergleich mit verschiedenen Kalendern einen genauen Zeitpunkt ermitteln: Am 19. Juli 4241 v. Chr. wurde die Siedlung On gegründet, morgens um 4.58 Uhr, um genau zu sein.

      Dörfer, in denen Landwirtschaft betrieben wurde, gab es auf dem Gebiet des heutigen Ägypten seit mindestens 7000 Jahren. Zu den bislang ältesten Belegen dafür gehören die Überreste einer Siedlung, die ägyptische und französische Archäologen 2018 fanden. Im Nildelta entdeckten sie 140 Kilometer nördlich von Kairo Werkzeuge, Knochen und Keramik. Also ziemlich verlässliche Hinweise darauf, dass vor rund 7000 Jahren Menschen an diesem Ort sesshaft waren – 2500 Jahre vor dem Bau der Pyramiden von Giza. Heute kann Ägypten auf mehrere Tausend Jahre kontinuierlicher Landesgeschichte auf einem mehr oder weniger gleichbleibenden Territorium zurückblicken. Im Alten Ägypten hieß das Land Kemet, sein heutiger Name wird zurückgeführt auf das altgriechische Aigýptos, das wiederum auch altägyptische Wurzeln haben soll. Der arabische Name für Ägypten lautet Misr, so wie es heute in der offiziellen Landesbezeichnung verwendet wird: Gumhuriyya Misr al-Arabiyya – Arabische Republik Ägypten.

      Unter verschiedenen Namen existierte somit das Land als ein Staatsgebilde, das sich am Nil auf dem Gebiet des heutigen Ägyptens entwickelte. Dazu gehören auch der Sinai, die Oasen in der Westlichen Wüste (manchmal auch Libysche Wüste genannt) und die Küstengebiete am Roten Meer. Zeitweise beherrschte das Land auch Gebiete darüber hinaus. Aber charakteristisch ist diese verblüffende territoriale Kontinuität. Fachleute haben sich nach dem Grund dafür gefragt und fanden zwei: In seiner langen Geschichte war Ägypten – unabhängig davon, wie es gerade hieß – entweder so stark, dass es drohender Fremdherrschaft widerstehen konnte. Oder aber es hat die fremden Mächte und deren Kulturen in die eigene Kultur integriert und ägyptifiziert, was letztlich ebenfalls ein Zeugnis für die kulturelle Stärke Ägyptens ist. Immer wieder gab es Phasen, da war Ägypten die Provinz eines anderen Staates, aber in der Regel mit solch einer Eigenständigkeit, dass die Bezeichnung Provinz oft nicht angemessen war.

      Die Geschichte des Alten Ägypten begann vor etwa 6500 Jahren. Die Phase des sogenannten Alten Reiches setzte etwa 2700 v. Chr. ein, gefolgt vom Mittleren und Neuen Reich, unterbrochen jeweils von sogenannten Zwischenzeiten. Der Ära des Neuen Reiches folgten die Dritte Zwischenzeit sowie die Spätzeit, die 332 v. Chr. ihr Ende fand. Diese knapp 2400 Jahre vom Beginn des Alten Reiches bis zum Ende der sogenannten Spätzeit wurden zumeist von ägyptischen Königen geprägt. Der Begriff Pharao kam erst im Neuen Reich auf, wurde aber nicht konsequent verwendet. Siamun, der 978 v. Chr. die Macht übernahm, war der erste König, der sich auch selbst offiziell den Königstitel Pharao gab. Heute wird die Bezeichnung allerdings oft für alle Könige der gesamten Zeit benutzt. In diesen »pharaonischen« Jahren entstanden viele der faszinierendsten antiken Baudenkmäler Ägyptens, die, wenn sie erhalten geblieben sind, schon Millionen von Touristen aus aller Welt in ihren Bann gezogen haben – darunter erste Monumentalgräber wie die Stufenpyramide von König Djoser bei Kairo und natürlich die drei Pyramiden von Giza, ebenfalls bei Kairo, errichtet im Auftrag der Könige Cheops, Chefren und Mykerinos vor mehr als 4500 Jahren. Welche Blütezeiten Ägypten damals erlebte, macht der Bau der größten der drei deutlich. Die Pyramide von Khufu, besser bekannt unter dem Namen Cheops, hatte ursprünglich eine Höhe von 146,72 Metern – heute sind es rund neun Meter weniger – und eine Seitenlänge von 230 Metern. 2,5 Tonnen wiegt im Durchschnitt jeder der rund 2,3 Millionen verbauten Steinquader. Schätzt man die Bauzeit sehr großzügig auf 30 Jahre, dann würde dies bedeuten, dass über den gesamten Zeitraum hinweg alle sieben Minuten ein Block herangeschafft, hochtransportiert und eingefügt werden musste – eine unglaubliche Leistung. Die meisten Wissenschaftler schätzen die Bauzeit sogar nur auf 20 Jahre. Etwas später entstanden die grandiosen Tempelstätten von Karnak, vermutlich ab etwa 2000 v. Chr., und von Luxor, an denen ab circa 1400 v. Chr. gebaut wurde.

      Ägypten gilt vielen als die Wiege der Zivilisation. Seit ein Forscherteam des Deutschen Archäologischen Instituts 1988 in Abydos einen erstaunlichen Hieroglyphenfund machte, gilt dieser Titel mehr denn je als gerechtfertigt. Auf Täfelchen und Scherben entdeckten die Wissenschaftler Schriftzeichen, die vor 5300 Jahren womöglich ohne den Einfluss der Sumerer aus dem mesopotamischen Zweistromland entstanden waren. Mit den Hieroglyphen wurden in erster Linie weder heilige Texte noch Geschichtsepen aufgezeichnet, sondern Inventarlisten, Steuertabellen und Beamtenvermerke. Ägypten ist also auch die Wiege der Bürokratie. Und es ist auch die Wiege des Monotheismus, dessen erste Form etliche Wissenschaftler Echnaton zuschreiben. Der altägyptische König hatte mit dem alleinigen Glauben an den Sonnengott Aton den ersten Monotheismus der Geschichte begründet, über 1300 Jahre vor der Geburt Christi. Der neue Glaube veränderte radikal die Vorstellungswelt der Menschen und schuf vor allem eine neue wirklichkeitsnahe und lebendige Ästhetik, den sogenannten Amarna-Stil. Ein Prunkstück aus der einstigen altägyptischen Hauptstadt Amarna ist die Büste der Königin Nofretete, die sich heute in Berlin befindet.

      667 v. Chr. wurde Ägypten für wenige Jahre eine Provinz des Assyrischen Reiches. 142 Jahre später eroberten die Perser das Land und machten Ägypten über einen längeren Zeitraum zur Provinz eines ausländischen Reiches, und zwar mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung von wenigen Jahren für insgesamt 130 Jahre. Die Provinz verwaltete