Marisa Frank

Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman


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sie trotz der Sorgen, die sie sich um das Fohlen machte, geschmunzelt, als sie bemerkte, dass er sich ebenso hastig angezogen hatte wie sie selbst. In der Eile hatte er seinen hellen Pullover linksherum übergestreift. Sie überlegte, ob sie ihn darauf aufmerksam machen sollte. Andererseits war das nicht wichtig. Wichtig war einzig und allein Armand.

      »Armand gehört zu den Fohlen, die Höchstpreise erzielen. Nicht auszudenken, wenn ihm etwas passiert sein sollte.« Prinz Leon machte zwei Schritte auf sie zu. An diesem Morgen zog er sein linkes Bein stärker nach als gewöhnlich.

      »Dann geht es Ihnen nur ums Geld, Hoheit?«, fragte Antonia wütend. »Armand ist mehr als nur ein wertvolles Fohlen, er ist ein Lebewesen aus Fleisch und Blut, das genau wie wir Angst, Kummer und Schmerz empfinden kann.«

      »Was erlauben Sie sich?«, stieß er leise hervor. »Ich habe es wohl kaum nötig, mir von Ihnen Vorhaltungen machen zu lassen. Wären Sie gestern Abend Ihrer Arbeit mit der Gewissenhaftigkeit nachgekommen, die man in Ihrer Position verlangen kann, würde Armand in seiner Box stehen.«

      »Auf den Gedanken, dass jemand Armand gestohlen haben könnte, sind Sie wohl noch nicht gekommen, Hoheit?«, fragte Antonia. »Das Hoftor stand nicht offen. Also müsste Armand sich in einem der übrigen Gebäude, im Hof oder auf der hinteren Koppel aufhalten.« Sie trat an dem Prinzen vorbei in den Gang. »Ihr habt bestimmt alles abgesucht?«, fragte sie die Männer, die bei der Stalltür standen.

      »Selbstverständlich«, antwortete Bernd Fischer.

      »Bei der hinteren Koppel steht das Gatter offen«, meldete ein älterer Mann, der in diesem Augenblick den Stall betrat.

      »Was heißt, das Gatter steht offen?«, fragte Prinz Leon. »Weshalb hat das bisher niemand bemerkt? Muß man denn hier alles allein machen?« Er wandte sich an Antonia: »So weit Ihre Theorie von einem Diebstahl.«

      »Eine offene Box, eine offene Stalltür und nun auch noch ein offenes Gatter«, sagte Antonia. »Ich bin überzeugt, Armand wurde gestohlen. Je eher Sie die Polizei einschalten, umso besser wird es sein, Hoheit.«

      Der Prinz achtete nicht auf sie. Er wies die Männer an, die Umgebung nach dem Fohlen abzusuchen.

      »Wenn Sie nicht die Polizei verständigen, werde ich es tun, Hoheit.« Antonia zog ihr Handy aus der Hosentasche. »Während wir hier unsere Zeit vertun, können die Diebe mit Armand sonst wo sein. Wer weiß, wo sie ihn hinbringen.« Sie fühlte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Wütend wischte sie sich über die Augen.

      Leon Prinz von Bernstett atmete mehrmals tief durch. »Das Hoftor war verschlossen, Frau von Vallone«, sagte er. »Jedenfalls hat mir das Bernd Fischer versichert, und ich habe keinen Grund, ihm nicht zu glauben.«

      »Wenigstens ihm glauben Sie«, bemerkte die junge Frau bitter. »Andererseits ist es mir völlig egal, ob Sie mir glauben oder nicht, es geht mir nur um Armand. Ich habe dabei geholfen, ihn aufzuziehen. Er vertraut uns.« In ihren Augen glänzten Tränen.

      »Ich werde von meinem Büro aus die Polizei verständigen«, versprach Prinz Leon. Er berührte ihre Schulter. »Sie tun mir Unrecht, Frau von Vallone. Ich möchte auch nicht, dass Armand etwas zustößt. Auch wenn es oft nicht so aussehen mag, mir liegt sehr viel an jedem unserer Pferde.« Er zog ein sauberes Taschentuch aus seiner Jacke und hielt es ihr entgegen. »Bitte.«

      Errötend griff Antonia danach. »Danke«, murmelte sie, bevor sie sich schnäuzte.

      Leon wandte sich dem Bürogebäude zu. Antonia schaute ihm nach. Er spürte ihre Blicke. Warum fiel es ihm nur so schwer, die Meinung der jungen Frau zu akzeptieren? Antonia hatte recht. Statt ihr und den anderen Vorwürfe zu machen, hätte er sofort die Polizei einschalten müssen. Eine Tür konnte schon mal bei einem Kontrollgang vergessen werden, doch gleich mehrere?

      Während er mit der Polizei in Freiburg telefonierte, blickte er aus dem Fenster seines Büros in den Hof hinaus. Antonia kam aus dem Stallgebäude, in dem sich Armands Box befand, überquerte den Hof und verschwand im Stall gegenüber. Er hörte das freudige Wiehern, mit dem sie von den Pferden begrüßt wurde.

      »Haben Sie nicht heute einen freien Tag?«, fragte er, als sie wenige Minuten später im Hof zusammentrafen und er sah, dass sie dabei war, bei der Versorgung der Pferde zu helfen.

      »Ich mache mir viel zu viel Sorgen um Armand. Da ein Großteil der Leute auf der Suche nach ihm ist, wird hier jede helfende Hand gebraucht.« Sie stellte die beiden Futtereimer ab. »Was hat die Polizei gesagt?«

      »Sie ist auf dem Weg zu uns«, antwortete Leon. Er räusperte sich. »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Frau von Vallone.«

      Antonia hob irritierend die Augenbrauen. »Sie entschuldigen sich bei mir?«, fragte sie verblüfft.

      »Ja, ich habe Ihnen Unrecht getan. Ganz sicher sind Sie auch ges­tern Abend Ihrer Arbeit äußerst gewissenhaft nachgekommen.«

      Prinz Leon bot ihr die Hand. »Darf ich Sie heute Abend zum Essen einladen?« Er hatte kaum die Einladung ausgesprochen, als er sich fragte, ob er den Verstand verloren hatte. Ihm lag nichts an dieser jungen Frau. Warum tat er sich das an?

      Meinte er wirklich sie? Antonia konnte es kaum fassen. Nein, sie hatte nicht die geringste Lust, mit Prinz Leon den Abend zu verbringen. Da konnte sie sich wirklich eine angenehmere Gesellschaft vorstellen. Wie kam er überhaupt dazu, sie …

      »Gern«, antwortete sie, während sie noch nach den passenden Worten suchte, seine Einladung auszuschlagen. Erschrocken zuckte sie zusammen. War sie irrsinnig geworden?

      »Das freut mich«, sagte er mit belegter Stimme. »Da Ihnen Pferde genauso viel bedeuten wie mir, wird uns der Gesprächsstoff bestimmt nicht ausgehen.«

      Antonia bückte sich nach den Eimern. »Bitte entschuldigen Sie mich, Hoheit.« Eilig betrat sie den Stall. Erst, als sie sich sicher war, dass der junge Prinz sie nicht mehr sehen konnte, setzte sie die Eimer erneut ab. Abwechselnd wurde ihr heiß und kalt. Das konnte alles nur ein Albtraum sein. Hatte sie wirklich zugesagt, am Abend mit Prinz Leon zum Essen zu gehen? Genügte es nicht, dass man Armand vermutlich gestohlen hatte? Musste sie sich auch das noch antun?

      Im Hof hielt ein Wagen. Sie hörte die Stimme von Prinz Frederik. Sein Bruder antwortete ihm.

      »Fühlen Sie sich nicht wohl, Frau von Vallone?«

      Antonia hob den Kopf. »Es ist alles in Ordnung, Fred«, sagte sie zu dem Stallburschen, der sie angesprochen hatte. Sie nahm die Eimer auf und trug sie zu den hinteren Boxen. Prinz Leon hatte sie mit seiner Einladung völlig überrumpelt. Bis zum Abend musste ihr eine Ausrede einfallen. Sie konnte nicht mit ihm zum Essen gehen, das war unmöglich!

      Und warum sollte es unmöglich sein, fragte eine innere Stimme. Warum sollte sie nicht mit ihm ausgehen? Dieser Abend konnte ihre Zusammenarbeit erleichtern. Vielleicht würde er in Zukunft umgänglicher sein und auch einmal nach der Meinung seiner Angestellten fragen und auf ihre Ratschläge hören.

      Ihre Gedanken wandten sich erneut Armand zu. Dem Hengstfohlen ging es bestimmt gut. Wer immer es gestohlen hatte, er hatte gewiss nicht vor, ihm ein Leid zuzufügen, sondern wollte es zu einem hohen Preis verkaufen. Aber wer zahlte Unsummen für ein Fohlen, für das der Verkäufer keinerlei Papiere besaß und dessen Abstammung er nicht nachweisen konnte?

      Im Hof hielt ein weiterer Wagen. Gleich darauf meldete ihr Fred das Eintreffen der Polizei. »Sie werden sehen, in ein paar Stunden ist Armand wieder bei uns, Frau von Vollone«, sagte er zuversichtlich.

      Ich wünschte, ich könnte daran glauben, dachte Antonia. Der Dieb hatte bestimmt dafür gesorgt, dass das Fohlen so schnell wie möglich außer Landes gebracht wurde. Armand konnte seit Stunden in der Schweiz oder in Frankreich sein. Vermutlich hatte der Dieb einen Helfer unter den Angestellten. Anders konnte es nicht sein. Jemand musste ihn in die Stallungen gelassen haben. Aber wer?

      *

      Im Laufe des Vormittags waren alle Angestellten des Gestüts von der Polizei vernommen worden. Gegen keinen von ihnen hatte sich ein konkreter Verdacht ergeben.

      »Ich kann mir nicht