Julia Moira Radtke

Sich einen Namen machen


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      Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei meiner Kollegin Stephanie Borgolte. Sie hat mein Manuskript mit unendlicher Mühe Korrektur gelesen und mir viele wichtige Anregungen für den letzten „Feinschliff“ gegeben. Ihr und auch meinen Kollegen Sven Niemann und Jasmin Steinborn habe ich unzählige fachliche Hinweise zu verdanken. Im Rahmen unserer mehrjährigen Zusammenarbeit führten wir viele, meine Promotionszeit ungemein bereichernde Gespräche. Dafür danke ich ihnen.

      Schließlich möchte ich mich von ganzem Herzen bei meinen Eltern und bei Florian Rüther für ihre bedingungslose Unterstützung bedanken. Ihre Geduld, ihre Zuversicht und ihr Verständnis haben mir den nötigen Rückhalt gegeben.

      1. Einleitung

      1.1 Zielsetzung der Arbeit

      Der öffentliche Raum – und dabei insbesondere der urbane öffentliche Raum – ist in starkem Maße durch einen spezifischen Typ sprachlicher Zeichen, nämlich durch Namen, geprägt. Wie groß der Anteil der Namen im Bereich der öffentlichen Schriftlichkeit ist, zeigt ein Streifzug durch jede beliebige deutsche Großstadt. So bilden Ortsnamen, Straßennamen und Namen von Plätzen beispielsweise einen wichtigen Bestandteil der Verkehrsbeschilderung. Daneben finden sich im öffentlichen Raum die Namen von wichtigen touristischen Zielen oder Sehenswürdigkeiten, die auf Wegweisern und Hinweisschildern sichtbar werden und Ortsfremden die Richtung zu ebendiesen Zielen weisen. Zur Betextung des Stadtraums gehören auch die Namen von öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Behörden oder Museen, die typischerweise direkt am Objekt, d.h. an der Außenwand des Gebäudes, oder auf einem Schild in unmittelbarer Nähe des Objekts angebracht sind.

      Neben diesen Namen, die primär der Orientierung und der Organisation des Alltagslebens dienen, sind im öffentlichen Stadtraum auch Namen von Konsumgütern oder Dienstleistungen sichtbar, die in erster Linie einen werbenden Charakter aufweisen. Dazu gehören beispielsweise die Namen von Produkten und Produktlinien, wie sie in Schaufenstern, auf Werbeplakaten, großen Bannern, Litfaßsäulen und Leuchttafeln zu sehen sind. Geschäftsnamen zählen ebenfalls zu den onymischen Formen im Stadtraum. Das sind die Namen von Restaurants, Cafés, Reisebüros, Juwelieren etc., die in der Regel auf einem Schild am bezeichneten Objekt angebracht sind.

      Wie dieser Streifzug zeigt, ist der öffentliche Raum durchzogen von einer Vielzahl von Namen. Dies stellt auch PUZEY fest, der sich mit Linguistic Landscapes (LL)1, also den schriftlichen Sprachvorkommen im öffentlichen Raum, beschäftigt und schreibt, dass Namen „a significant component of the LL“ bilden (2016: 396). Ähnlich äußert sich AUER, der hier eine funktionale Perspektive einnimmt und feststellt, dass das „Benennen […] eine grundlegende Funktion öffentlicher Schrift“ ist (2010: 290, Hervorh. i.O.). Stärker zugespitzt ließe sich sagen, dass Namen nicht nur einen wesentlichen Teil der Linguistic Landscape darstellen, sondern dass sich im öffentlichen Raum bei genauerer Betrachtung regelrechte Namescapes2 bzw. onymische Landschaften erkennen lassen.

      Onymische Landschaften stehen im Fokus der vorliegenden Arbeit. Thematisiert werden jedoch nicht jene bereits erwähnten gedruckten oder anderweitig maschinell hergestellten Namen, die auf Städte, Straßen, öffentliche Einrichtungen oder Produkte verweisen. Stattdessen wird eine spezifische Art von Namen, die mit Farbstiften und Sprühdosen – oft illegal – an die Wände der Stadt gebracht werden, in den Blick genommen. Bei diesen Namen handelt es sich um Graffitinamen – eine im öffentlichen Raum hochpräsente Erscheinung, die als Namenart bisher weitestgehend übersehen worden ist.

      Graffitinamen sind die Namen, die die Mitglieder der Graffitiszene (Writer) wählen, um sie überall im öffentlichen Raum zu sprühen oder zu schreiben. Im Gegensatz zu den anderen Namen der städtischen Namescape handelt es sich somit um Personennamen. Diese finden sich an diversen Orten im öffentlichen Raum, zum Beispiel in einem besprühten Hauseingang, wie er in Abb. 1 zu sehen ist. In diesem Hauseingang lassen sich fünf verschiedene Graffitinamen ausmachen. Das Foto, das 2008 in Mannheim aufgenommen wurde, zeigt die Namen CPUK, IKON, KOOL JÜRGEN, SHOP und OBC.3 Die unterschiedlichen Schriften und Strichstärken deuten darauf hin, dass die Namen von unterschiedlichen Schreibern und vermutlich auch mit einer zeitlichen Differenz angebracht wurden.

      Abb. 1: Graffitis in Mannheim (25758)4

      Graffitiwriter4 legen sich einen solchen Namen zu, weil sie diesen für die Teilnahme an den Aktivitäten der Graffitiszene benötigen. Im Szenegraffiti geht es um das Getting Up, d.h. das Aufsteigen innerhalb der Szene. Der soziale Aufstieg geht damit einher, „das verwendete Pseudonym […] in der ganzen Stadt und darüber hinaus bekannt zu machen“ (REINECKE 2012: 27). Graffitiwriter müssen sich daher gleich in zweierlei Hinsicht einen Namen machen: Zum einen ist es das erklärte Ziel im Szenegraffiti, mit dem eigenen Namen bekannt zu werden. Zum anderen müssen sich die Akteure auch im wörtlichen Sinn einen Namen machen, insofern sie zu Beginn ihrer Szeneaktivität ein Pseudonym auszuwählen haben. Um in der Szenehierarchie aufzusteigen, bringen die Writer diesen Wahlnamen möglichst oft und auf individuelle, qualitativ hochwertige Weise im öffentlichen Raum an. Namen sind für das Szenegraffiti demnach von elementarer Bedeutung.

      Diese handschriftlichen Graffiti-Namescapes, die die Städte durchziehen, werden von vielen szeneunkundigen Passanten gar nicht als solche erkannt. So werden Graffitis5 zwar wahrgenommen – ob mit Ärger oder mit Bewunderung –, allerdings oftmals nicht mit dem Wissen, dass es sich bei den Sprühwerken mehrheitlich um Namen handelt. So ist es auch zu erklären, dass man im Bereich der Onomastik6, der linguistischen Subdisziplin, die sich der Erforschung von Namen widmet, bislang nicht auf die Graffitinamen aufmerksam geworden ist. Während andere Namenarten, die im öffentlichen Raum zu finden sind, bereits intensiv untersucht worden sind7, sucht man nach Informationen zu den Graffitinamen in onomastischen Publikationen bislang vergeblich. Die Beschreibung und Analyse dieser Namenart stellt in diesem Sinne ein Desiderat dar.

      Der Schwerpunkt der Onomastik lag lange Zeit primär auf der Erforschung der etymologischen Bedeutung von Personennamen (Anthroponyme) und Ortsnamen (Toponyme), d.h., es ging darum, die alten Bedeutungsschichten dieser Onyme8 freizulegen (NÜBLING ET AL. 2015: 9, 14). Erst in der jüngeren Forschung werden auch verstärkt neue Namenarten, z.B. Namen von Himmelskörpern (KUNITZSCH 2004) oder Tieren (WARCHOL 2004), in den Blick genommen. Dabei entstanden auch Studien zur Benennung ganz spezifischer Objektgruppen wie Schulen (EWALD 2012) oder Katzen (KRASS 2014). Daran lässt sich erkennen, dass sich die Perspektive der Onomastik in den letzten Jahren erheblich erweitert hat.

      Graffitinamen sind von der Namenforschung bisher allerdings schlichtweg übersehen worden. Erkennbar wird dies etwa an einem Aufsatz im kürzlich erschienen „Oxford Handbook of Names and Naming“ (HOUGH (Hg.) 2016b). Die entsprechende Publikation mit dem Titel „Linguistic Landscapes“ (PUZEY 2016) macht die Namen im öffentlichen Raum ganz gezielt zum Thema, ohne dabei jedoch die Namen im Graffiti zu berücksichtigen. Der Autor PUZEY hebt zwar hervor, dass „Names occupy a privileged space in the LL“ (2016: 403) und geht in seinem Text sogar kurz auf Graffitis ein (2016: 397), er stellt allerdings keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Themen her. So ist zwar zu lesen, dass Graffitis zur Linguistic Landscape zählen (PUZEY 2016: 397), paradoxerweise wird in einem Handbuch der Namenforschung jedoch nicht darauf hingewiesen, dass es sich bei Graffitis typischerweise um Namen handelt.

      Sucht man in den Publikationen anderer wissenschaftlicher Disziplinen nach Informationen zu Graffitinamen, so zeigt sich dort ein ähnliches Bild. Es wird allenfalls am Rande auf sie verwiesen. Dabei haben seit der Entstehung der Graffitiszene in den 60er- und 70er-Jahren verschiedene wissenschaftliche Disziplinen ein Interesse an den Graffitiwerken und auch an den Urhebern entwickelt. Zu nennen sind hier beispielsweise die Ethnologie, Soziologie, Psychologie, die Rechtswissenschaften und auch die Kunstgeschichte.9 Viele Facetten des Graffitiwritings sind hierbei umfassend erforscht worden. Eine systematische Beschreibung und Analyse der Graffitinamen steht allerdings auch außerhalb der Onomastik noch aus.10 Diese Arbeit setzt sich daher zum Ziel, die hier ermittelte Forschungslücke zu schließen und die Graffitinamen als eine „neue“ Namenart in den Blick zu nehmen.