Thomas Röper

SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020


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„Wie sieht der Platz in der Hölle aus?“, der den Unterstützern des Brexit vorbehalten ist. Diese Worte brachten die britische Presse in Rage, und die Mehrheitsführerin im Parlament und Aktivistin für den Brexit, Andrea Ledsom, verlangte von Tusk eine Entschuldigung. Er weigerte sich. Daraufhin nannte ihn der Sprecher der rechten demokratischen Unionspartei Sammy Wilson einen „Euromaniac“ (Übersetzt etwa „Euro-Irrer“).

      Die Studie stellte ebenfalls fest, dass es eher die Armen sind, die die EU kritisch sehen, während es die Wohlhabenden sind, die sie gut finden. Das lässt tief blicken, denn trotz aller Bemühungen von Politik und Medien, die EU als Hort des Wohlstandes und der sozialen Errungenschaften darzustellen, sehen gerade die Betroffenen das anders. Dabei sind die Menschen gar nicht gegen die europäische Einigung, sie sind gegen die EU in ihrer heutigen Form. Sie ist ein bürokratisches, undemokratisches und intransparentes Zentrum des Lobbyismus geworden, was sich einfach nicht mehr verdecken lässt.

      Diejenigen, denen es wirtschaftlich noch gut geht, finden das nicht weiter schlimm, diejenigen, denen es immer schlechter geht oder die schon von Armut bedroht sind, werden immer skeptischer. Was nützt all die Propaganda in den Medien, wie gut es uns doch geht, wenn viele Menschen merken, dass es ihnen immer schlechter geht?

      Das gilt nicht nur für Deutschland. Der Brexit war eine Folge der Entwicklungen in Brüssel. In Italien haben Euroskeptiker die Wahlen gewonnen und stellten die Regierung, bevor sie später zerbrach. Und in Frankreich richtete sich der Protest der Gelbwesten nicht nur gegen Macron, sondern generell gegen die in der EU herrschende Politik, den großen Konzernen die Steuern zu senken und die Rechnung in Form von Steuer- und Abgabenerhöhungen den „kleinen Leuten“ aufzudrücken. Das sind nur Beispiele, in vielen anderen Ländern ist die Stimmung ähnlich.

      Vor diesem Hintergrund wurde die Europawahl tatsächlich mit Spannung erwartet. Ein Glück für die „Herrscher“ der Brüsseler Bürokratie, dass das Europaparlament kaum Rechte hat. Wer heute in Geschichtsbüchern liest, dass Deutschland unter dem Kaiser eine Diktatur war, der sollte bedenken, dass der damalige Reichstag mehr Rechte hatte als das EU-Parlament heute. Deutschland unter dem Kaiser war keine Demokratie, nur ist die EU eben noch undemokratischer, als es das deutsche Kaiserreich war. Das sollte jeden nachdenklich machen, der sich für Demokratie einsetzt.

      Gleichzeitig wird von Politik und Medien propagiert, dass immer mehr Rechte von den Mitgliedsstaaten an Brüssel abgegeben werden sollen. Immer mehr demokratische Rechte der gewählten nationalen Parlamente sollen an nicht gewählte Bürokraten abgegeben werden. Wo bleibt da die vielgepriesene Demokratie?

      Vor diesem Hintergrund war der Artikel von Soros interessant, denn er forderte im Februar genau das, was die EU bei den Menschen unbeliebt gemacht hat: eine weitere Zentralisierung und Abgabe von Rechten an Brüssel. Logisch, denn Soros ist auch nur ein Lobbyist, und seine Interessen kann er im intransparenten Brüssel weit besser durchsetzen als in Ländern, wo Parlamente noch die Macht haben und Abgeordnete sich um ihre Wiederwahl Sorgen machen müssen. Die Brüsseler Beamten hingegen haben diese Sorgen nicht.

      Soros, der berühmte Finanzier und Spekulant, Milliardär und Autor des Buches „Die Tragödie der Europäischen Union“ prognostizierte den Zusammenbruch der EU nach dem Beispiel des Zusammenbruches der UdSSR.

      Soros warnte in seinem Artikel davor, dass die politischen Entscheidungen, die in den Regierungskreisen des geeinten Europas getroffen werden, bereits jetzt denen ähneln, die im Politbüro getroffen wurden, als es auf die Zukunft der Sowjetunion schon keinen Einfluss mehr hatte.

      George Soros, ein konsequenter Verfechter der Globalisierung, versuchte die Europäer davon zu überzeugen, dass sie sowohl in der Außen- als auch in der Innenpolitik auf den Kurs der Zentralisierung zurückkehren sollten.

      Das persönliche Interesse des Finanziers ist verständlich. Marktkapitalisierung und Vorhersehbarkeit wirtschaftlicher Prozesse leiden, wenn es unmöglich wird, die gesamte globale europäische Infrastruktur zu kontrollieren.

      Soros beunruhigten die im Mai anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament. Er warnte vor einer anti-europäischen Desintegration.

      Ihn betrübte die Tatsache, dass die Zentralmacht in der EU nicht über ausreichend Instrumente verfügt, um politische Prozesse in einzelnen Ländern zu kontrollieren. Gleichzeitig werden gegen einige EU-Staaten Maßnahmen eingeführt, die der Bevölkerung nicht gefallen und die die antieuropäische Welle weiter wachsen lassen.

      Als Beispiel führte Soros Italien an. Das Dublin-Abkommen, das Rom verpflichtet, die Hauptlast der Kosten für die Aufnahme illegaler Migranten zu tragen, hat einen Sturm der Proteste ausgelöst und dazu geführt, dass die Regierungsmacht im Land in die Hände der Vertreter der „Liga Norden“ und der „Fünf-Sterne-Bewegung “ übergegangen ist.

      Und nun schert Italien bei seinen außenpolitischen Entscheidungen aus der gesamteuropäischen Einstimmigkeit aus, so das Fazit Soros.

      Den Finanzier beunruhigte auch die politische Instabilität in Deutschland, wo CDU/CSU geschwächt wurden und die Position der „Extremisten“, wie Soros die AfD nannte, stärker wird.

      Damit, so schloss der Finanzier, könne die Regierungskoalition nicht mehr rücksichtslos pro-europäisch handeln.

      Noch weniger hoffnungsvoll für die Einigkeit des europäischen Kurses war in den Augen von Soros die Lage in Großbritannien, wo der Streit über den Brexit immer härter geführt wurde.

      Noch weniger begeistert war Soros von der Europäischen Volkspartei (EVP). Sie bekam von Soros ihre Portion Kritik für ihre Position, die Partei „Fides“ des ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban nicht aus der EVP auszuschließen. Die EVP aber brauchte die „Fides“, um ihre parlamentarische Mehrheit zu behalten und die Schlüsselposten in der EU zu kontrollieren.

      Am Ende des Artikels versuchte Soros, die Leser davon zu überzeugen, dass die politischen Kräfte, die nicht für eine Zentralisierung der Macht in Europa sind, als Feinde Europas anzusehen seien.

      Wenn die „ruhende pro-europäische Mehrheit“ nicht mobilisiert wird, dann „kann aus dem Traum von einem einheitlichen Europa der Albtraum des 21. Jahrhunderts werden“ endete Soros und vergaß dabei, dass die zentrifugalen Tendenzen in vielen EU-Ländern deutlich zeigen, dass längst nicht alle Europäer seine Meinung teilen.

      Schäuble sprang auf den Zug von Soros auf und machte am 18. Februar Vorschläge, die Demokratie in der EU endgültig abzuschaffen. Natürlich wurde das so nicht in den Medien berichtet. Dort benutzte man schöne Worthülsen, die das Problem verschleiern sollen. Aber es ging tatsächlich um nicht weniger als um das Ende der Demokratie.

      Was auf den ersten Blick gut klingt, bedeutet den endgültigen Abbau der Demokratie in der EU. Das Problem in der EU ist, dass nicht gewählte Beamte und von Regierungen im Hinterzimmer ausgesuchte Kommissare die Politik der EU bestimmen. Das einzige demokratisch gewählte Organ in der EU, das EU-Parlament, hat praktisch keine Befugnisse. Wäre ein Parlament in einem Staat im Nahen Osten mit ähnlich wenig Befugnissen ausgestattet wie das EU-Parlament, wäre in der Presse von einem „Scheinparlament“ die Rede. Komischerweise wird dieser Begriff für das EU-Parlament nicht verwendet.

      Nun steht es jedem frei, ob man für die weitere Abgabe nationaler Kompetenzen an Brüssel ist oder nicht. Aber worin wir uns alle einig sein sollten, ist, dass es in der EU demokratisch zugehen sollte. Zur Demokratie gehört aber, dass das gewählte Parlament die größte Macht hat und sowohl Gesetze vorschlagen, beschließen und ändern kann, als auch Minister und Regierungschefs absetzen kann.