gegen Putin auf. Dabei geht es nicht einmal um Putin, sondern um eine Regionalwahl.
Aber das russische Fernsehen berichtet trotzdem ausführlich. Einen Bericht über die Demonstration vom 3. August habe ich übersetzt.22 Wie man sieht, waren viele Demonstranten bewaffnet, das passt so gar nicht ins Bild der „friedlichen Demonstranten“, das die deutschen Medien zeichnen wollen. Die Tagesschau traute sich deshalb auch nicht, von unbewaffneten Demonstranten zu sprechen. In ihrem Bericht hieß es sinngemäß, sie hätten keine bewaffneten Demonstranten gesehen — das klingt nach der Methode der drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. So kann man sich immer herausreden.
Besonders deutlich wurde die Absicht, Russland in ein schlechtes Licht zu rücken, beim Spiegel. Am 3. August titelte Spiegel-Online: „Festnahmen bei Demo in Moskau — Das Volk spaziert, der Staat eskaliert“23
Ich finde es immer interessant, wie sich die Überschriften nach der Veröffentlichung eines Artikels verändern. Das kann man nämlich anhand der Internetadresse des Artikels feststellen. So auch dieses Mal. Der ursprüngliche Titel lautete: „Russland — Opposition spaziert in Moskau gegen die Regierung“. Das war der Spiegel-Redaktion dann aber offensichtlich zu harmlos, man muss Russland ja als böse darstellen. Also wurde die Überschrift dramatischer formuliert. Dass „der Staat eskaliert“, und zwar gegen das „spazierende Volk“, hatte dann den gewünscht bösen Ton. Dass es anders herum war und die Demonstranten Polizisten beschimpften und beleidigten sowie teilweise bewaffnet zur Demo gingen, das braucht der deutsche Leser ja nicht zu erfahren.
Über die Ereignisse vom 3. August habe ich auf meiner Seite Anti-Spiegel.ru ausführlich berichtet. Und alle Medien in Deutschland auch. Aber haben Sie etwas von der Demonstration in St. Petersburg gehört, die am gleichen Tag stattfand? Nein? In Petersburg hatten sich circa 1.000 Demonstranten versammelt und sich mit den Moskauer Demonstranten solidarisiert.24
Warum haben wir in Deutschland davon nichts in den Medien gehört?
Ganz einfach: Die Demonstration war genehmigt und verlief ohne Zwischenfälle, weil die Demonstranten dort protestierten, wo es genehmigt war. Und zwar auf einem großen Platz vor einem wichtigen Bahnhof, direkt am Ufer der Neva gegenüber dem Stadtzentrum.
Natürlich berichteten die deutschen Medien nicht, dass in Russland ganz legal und problemlos demonstriert werden darf, wenn man sich an die Genehmigung der Behörden hält — so wie in Deutschland auch.
Und während die EU am Sonntag nach der Demonstration medienwirksam forderte, alle 600 Festgenommenen sollten sofort freigelassen werden, waren diese fast alle schon wieder zu Hause. Nur einige wenige, denen Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen wird, waren noch auf Polizeiwachen.
Nun noch zu der Wahl, um die es bei den Demonstrationen ging. In Russland gibt es einmal jährlich einen „großen Wahltag“, an dem alle regionalen Wahlen abgehalten werden.
Um die Wahl einzuordnen, muss man aber den Unterschied zum deutschen Wahlsystem kennen. Die Parlamente der Oblaste (in Deutschland wären es die Landtage) werden nicht nach Parteilisten gewählt, sondern es werden Direktkandidaten gewählt, die natürlich zum Teil Parteien angehören und von ihnen unterstützt werden, aber es gibt auch unabhängige Kandidaten. Die Gouverneure (in Deutschland wären es die Ministerpräsidenten der Länder) werden hingegen direkt vom Volk gewählt und nicht vom Parlament.
Vor allem bei den Wahlen zum Gouverneur spielen daher „bundespolitische“ Themen keine so große Rolle wie in Deutschland bei Landtagswahlen. Die Menschen haben in dem Gouverneur jemanden, den sie direkt und persönlich für Erfolge und Misserfolge verantwortlich machen können. Wenn Schulen oder Lehrer fehlen, die Infrastruktur schlecht ist und nicht verbessert wird, wenn es nicht genügend Kindergartenplätze gibt, dann sehen sie die Verantwortung beim Gouverneur – im Guten wie im Schlechten. Und da diese Themen die Menschen direkt betreffen, sind die Wahlentscheidungen bei den Gouverneurswahlen viel stärker abhängig von regionalen Themen als von „bundespolitischen“ Themen.
Es gibt auch einen Amtsbonus, vergleichbar mit dem „Kanzlerbonus“ in Deutschland. Überall auf der Welt wählt ein Teil der Menschen automatisch den Amtsinhaber, frei nach dem Motto „da weiß ich, was ich habe“. Und wenn in Russland im Laufe des Jahres ein Gouverneur – warum auch immer – aus dem Amt scheidet, ernennt der Kreml einen kommissarischen Gouverneur, der sich dann im nächsten September zu Wahl stellen muss. Der hat mit dem Amtsbonus natürlich einen Vorteil, und wenn er in den Monaten zuvor einen halbwegs guten Job gemacht hat, wird er in der Regel auch gewählt.
So kann der Kreml durchaus einen gewissen Einfluss nehmen. Aber das bedeutet nicht, dass alle Gouverneure der „Kreml-Partei“ Einiges Russland angehören. Der Kreml hat ein großes Interesse daran, dass die Leute im Land zufrieden sind, und wenn ein geeigneter Kandidat von einer anderen Partei kommt, wird er zum kommissarischen Gouverneur ernannt – Hauptsache, den Menschen in der Region geht es gut und sie sind zufrieden. Unruhen und Proteste findet keine Regierung der Welt gut, auch der Kreml nicht.
Und so werden viele Gouverneure von anderen Parteien gestellt, und die Gouverneurswahlen haben kaum eine Aussagekraft über die Zufriedenheit mit der Politik der russischen Regierung. Übrigens haben bei den Gouverneurswahlen die Amtsinhaber alle mehr oder weniger deutlich gewonnen.
Anders ist es mit den Regionalparlamenten. Auch wenn die Kandidaten direkt gewählt werden, schauen die Leute durchaus darauf, welcher Partei sie angehören. Aber es ist denkbar schwierig, hier die Wahlen zu 13 Regionalparlamenten und 22 Stadtparlamenten kurz zusammenzufassen. Insgesamt kann man sagen, dass die Regierungspartei Einiges Russland stärkste Partei geblieben ist und dass die Kommunisten ihren zweiten Platz in der politischen Landschaft wieder sicher bestätigt haben. Es gab also keine großen Überraschungen, und auch Protestwahlen haben keine sichtbare Rolle gespielt. Im Großen und Ganzen haben die Kandidaten der „etablierten“ Parteien gewonnen.
Aber in einigen Regionen wurde die Regierungspartei Einiges Russland auch abgestraft und kam kaum über zehn Prozent.
In Moskau, das in den letzten Wochen Schlagzeilen gemacht hat, gingen 25 der 45 Sitze im Stadtparlament an Kandidaten von Einiges Russland. Die Kommunisten bekamen 13 Sitze, und die pro-westliche und wirtschaftsliberale Partei Jabloko erhielt vier Sitze. Einen davon bekam übrigens der zunächst abgelehnte Kandidat Mitrochin, der gegen die Entscheidung der Wahlkommission, die seine Kandidatur ablehnte, erfolgreich Einspruch erhoben hatte. Die Partei Gerechtes Russland bekam drei Sitze.
Was nach einem Wahlsieg für Einiges Russland in Moskau klingt, ist in Wahrheit eine Klatsche, denn sie haben in Moskau 13 Sitze an die anderen Parteien verloren. Das ist jedoch nicht überraschend, denn die Großstädte gelten nicht als Hochburgen der Regierungspartei.
Aber die regionalen Unterschiede bei den Wahlergebnissen sind groß, ähnlich wie auch in Deutschland die Bundesländer oft sehr unterschiedlich wählen, was eine übergreifende Einordnung der Wahl schwierig macht.
Da die deutschen Medien den Ausschluss von Kandidaten gerne als „undemokratisch“ bezeichnen, sei auf eine Meldung des MDR hingewiesen.25 Dort wurde Ende August berichtet, dass zur Landtagswahl in Thüringen zehn Kandidaten und eine ganze Partei nicht zugelassen wurden:
„Zehn Bewerber wurden nicht zugelassen, weil Unterlagen fehlten. (…) Nicht dabei sind die Freien Wähler. Die Partei hatte ihre Landesliste nicht fristgerecht beim Landeswahlleiter eingereicht. Damit kann die Partei nicht mit Zweitstimme gewählt werden. (…) Landeswahlleiter Günter Krombholz hatte MDR THÜRINGEN vor der Sitzung gesagt, über das Thema Freie Wähler werde nicht weiter gesprochen. Wer nicht fristgemäß abgegeben habe, sei automatisch raus.“
Regeln über die Einreichung der nötigen Unterlagen für eine Kandidatur sind also kein russisches Phänomen, aber die Medien in Deutschland zeichnen ein anderes Bild. In Russland sind einige Kandidaten wegen fehlerhafter Unterlagen nicht zugelassen worden, aber sie hatten wenigstens noch ein Einspruchsrecht, und das Beispiel von Mitrochin, der das Recht als einziger Kandidat in Moskau genutzt hatte, zeigt, dass es auch funktioniert.
In Deutschland sind die Regeln strenger, da wurde eine ganze Partei (die Freien Wähler) wegen fehlender