sogenannte Pariser Nachtleben genießen«, vollendete von Hornstein ihren Satz. »In die Museen würden ohnehin nur die wenigsten mitkommen. Auf, ans Werk, Frau Direktor!«
»Wie Sie wünschen, Durchlaucht!«
Wieder war Sandra um eine Illusion ärmer geworden, aber sie hatte schon gelernt, ihre Enttäuschungen als Frau durch die Erfolge als Direktorin der Hornstein-Chemie wettzumachen.
Immerhin bot ihr aber das Schicksal noch in der folgenden Nacht eine ganz große Chance. Fürst André hatte versprochen, sie um zwanzig Uhr von ihrem Apartment abzuholen; sie wollten sich dann mit den Geschäftspartnern und deren Sekretärinnen in einem der ersten Restaurants treffen.
Fürst André warf einen prüfenden Blick in den Spiegel und fand weder am Äußeren seiner Erscheinung noch an dem eleganten Abendanzug etwas auszusetzen. Aus dem Spiegel schaute ihm ein noch immer jugendlich wirkender und erfolggewohnter Herr entgegen, schlankes Gesicht, hellblaue Augen, blondes Haar, gebräunter Teint. In allem ein sportlicher Typ, dem aber die elegante Note nicht fehlte.
Er ging über den Korridor bis zu Sandras Apartment. Auf sein Klopfen antwortete ihre Stimme sofort: »Bitte, André, kommen Sie nur herein. Sie müssen um ein paar Minuten zu früh dran sein!«
Der Fürst betrat den hübschen kleinen Salon, der zwar im wesentlichen jenem in seinem Apartment glich, aber doch die Note einer jungen Frau trug. Da lag ein feiner Duft in der Luft, da stand in einer Kristallvase eine dunkelrote Rose, und über die Lehne des Stuhls im Stile von Louisseize hing ein zarter Schleierumhang.
André sah auf die Uhr und gestand: »Tatsächlich unverzeihlich, Sandra! Ich bin zwei Minuten vor der vereinbarten Zeit gekommen und hätte doch wissen müssen, daß eine schöne Frau…«
Das etwas herkömmliche Kompliment erstickte auf seinen Lippen, denn Sandra war aus dem Nebenzimmer getreten. Sie trug das bewußte Abendkleid: römische Modekunst, asymmetrisches Dekolleté, der Rock nicht ganz bodenlang und raffiniert eng geschnitten. Es war ein dunkles, anschmiegsames Material.
Flüchtige Sekunden lang bedauerte Fürst André, daß sich an dem nächtlichen Ausflug etwa zehn Herrn mit ebenso vielen Damen beteiligen würden. Er sprach seine Gedanken nicht aus, aber Sandra las es von seinen Augen ab. Das waren ihre glücklichsten Minuten an diesem bestimmt noch sehr ereignisreichen Abend.
»Sandra, ich hätte wissen müssen, daß ich heute mit der bezauberndsten Frau ausgehen darf!« sagte er lächelnd.
Erst flüsterte sie: »Danke für die Blumen.« Aber gleich rief sie sich selbst zur Ordnung: »Alle Frauen von Paris werden mich um meinen Begleiter beneiden! Sie können nicht wissen, daß wir ganz ›alte Kollegen‹ sind, und Sie bisher noch nie bemerkt haben, ob ich Direktor oder Direktorin bin. André…, ich darf doch auch heute noch so zu Ihnen sagen? Die erlebnishungrigen Herren aus Übersee warten auf uns, damit wir ihnen das alte, lasterhafte und doch unverwüstliche Europa vorführen mögen! Allons enfants de la patrie!«
Sie lachte so übermütig, daß sie dahinter erfolgreich alle Bitterkeit einer unglücklich Liebenden verbarg.
Mit ihrem natürlichen Charme bezauberte sie alle Herren der Gesellschaft. In Fürst André erwachte beinahe etwas wie Besitzerstolz; aber Liebe war es eben nicht.
Vielleicht hätte das Schicksal an diesem Abend der jungen Frau doch etwas mehr Glück geschenkt, als sie sich jemals erträumte. Doch da geschah etwas völlig Unerwartetes, das all ihre Hoffnungen zerstörte.
Die Gesellschaft von etwa zwanzig Personen hatte nun schon drei Nachtlokale erlebt und brach soeben wie ein Schwarm ins vierte ein. Mit geübten Blicken erkannten die Leute vom Personal, daß sich ihnen möglicherweise ein Goldregen bieten würde. Der Besitzer und das Personal kümmerten sich beinahe nur noch um diese sichtlich sehr wohlhabenden, bestens gelaunten Gäste.
Zwei Herren waren ohne Damenbegleitung geblieben; ihnen boten sich aufregend freundliche Barmädchen an, so daß sie wählten wie Paschas im Harem. Im Laufe des Abends versuchten die Herren immer entschlossener, zur mächtigen Hornstein-Chemie auch menschliche Kontakte herzustellen, weshalb sich Sandra zu André flüchtete. Er tanzte öfter und öfter mit ihr. Als sie sich, ein bißchen weinselig, in seine Arme kuschelte, zog er sie an sich, und sie legte ihren Kopf an seine Schulter. Ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Beinahe konnte sie nicht fassen, was ihr zu widerfahren schien. Für eine einzige Stunde des Glücks hätte sie vielleicht sogar sterben wollen; zumindest meinte sie das ganz fest in dieser Nacht, als ihr Fürst André von Hornstein, der goldblonde große Mann aus dem Norden, näher war denn je.
Als sie sich noch, wie im Traum, langsam über das halbdunkle Parkett des kleinen Nachtlokals bewegten, spürte André plötzlich etwas Störendes. Er kannte noch nicht die Ursache, aber er wußte ganz genau, daß etwas Fremdes zwischen Sandra und ihn gedrungen war und zwischen ihnen eine unsichtbare Glaswand errichtet hatte. Noch ruhte Sandras Kopf mit dem seidenweichen Haar sanft an seiner Wange, und das teure römische Parfum hüllte ihn in eine betörende Wolke, aber er suchte doch das Lokal nach der Ursache seiner Unruhe ab.
Sie saß in einer kleinen Loge, halb verborgen und doch unübersehbar. Schön und gefährlich wie eine schwarze Raubkatze. Im Dämmerlicht des Nachtlokals schienen ihre dunklen Augen wie schwarze Edelsteine zu glühen. Das üppige schwarze Haar war zu einer kostbaren Abendfrisur hochgesteckt. Nur einige kleine Schmuckstücke trug sie, aber die warfen so viel Feuer, daß an ihrer Echtheit kein Zweifel bestehen konnte.
Die Unbekannte aus dem Flugzeug!
Als sie merkte, daß Fürst André von Hornstein sie entdeckt hatte, legte sie ihre Hand leicht und zärtlich auf die ihres Begleiters und neigte sich, dunkel lachend, ihm zu. Unter dem raffinierten schwarzen Abendkleid meinte man, alle Formen und Linien zu erkennen. Doch dann merkte man, daß man einer Illusion verfallen war. Ihr Abendkleid war hoch geschlossen und ließ nur ahnen, was man zu sehen glaubte.
Unwillkürlich verzögerte der Fürst einen Tanzschritt, fand jedoch gleich wieder in den Rhythmus der Musik.
Sandra hatte die Gefahr gemerkt. Sie folgte dem Blick ihres Begleiters und erkannte die junge Römerin in der Barloge sofort wieder. Da wußte sie, daß auch in dieser romantisch verträumten Nacht all ihre Chancen zunichte geworden waren.
Als sie bald darauf zur Gesellschaft zurückkehrten, wirkte ihr Gesicht ein wenig blasser als vorhin. Sie tanzten nun nicht mehr, und einige Amerikanerinnen versuchten erfolglos, von Hornstein für sich zu gewinnen.
Er antwortete auf ihre Scherzchen, schien amüsiert zu flirten, und dennoch beobachtete er nur das Geschehen in der kleinen Loge, wo sie zu zweit saßen: die unbekannte Römerin und ihr Begleiter. Es war noch immer derjenige, mit dem sie geflogen war, der Besitzer des tollen Autos, den sie Romolo genannt hatte. In die Augen des Fürsten trat ein seltsames Funkeln.
Nun erhob sich dieser Romolo und führte seine Begleiterin zum Parkett. Sie legte mit katzenhafter Geschmeidigkeit ihre Arme um Romolos Nacken und schmiegte sich beim langsamen, erregend zärtlichen Tanzschritt eng an ihn.
Auf Andrés Lippen trat ein fröhliches, zufriedenes Lächeln, denn er meinte erkannt zu haben, daß die verliebte Harmonie zwischen diesem Paar nicht ganz echt war. Spielte sie nur diese Gefühle? Warum? Der Fürst von Hornstein war beinahe sicher, die Antwort zu kennen.
In der Gesellschaft des Fürsten befanden sich fast ausschließlich Herren, die es gewohnt waren, unter den schönsten und teuersten Damen des Jet Set wählen zu können. Ihnen entging nicht die rassige Schönheit der Römerin, die mit ihrem Partner viel mehr Figuren als nur die üblichen Tanzschritte beherrschte. Offensichtlich kannten sie einander schon längere Zeit. Diese Beobachtung störte zwar den jungen Fürsten, konnte ihn jedoch nicht entmutigen. Wie ein Jäger beobachtete er das Paar, um auch die geringste Chance wahrzunehmen, die sich ihm bieten würde.
Dann geschah etwas, das die Situation völlig veränderte. Später bezweifelte André sogar, daß ihm da nur ein Zufall zu Hilfe gekommen sein sollte.
Romolo und die rassige Römerin waren in ihre kleine Loge zurückgekehrt. Der »Schönling« bestellte bei einem Kellner zwei gefährlich aussehende,