Liebe
Einleitung
Er ist so freudenvoll, dass ihm der Stöpsel aus der Seele fliegt.
(Wilhelm Busch)
„Fieberchen!“, hallt es durch den langen Gang der Firma.
„Fieberchen! Wo sind Sie?“
Unverkennbar, der Gerufene war ich. Vor ungefähr acht Jahren. Fieberchen, der Gefangene vom vierten Stock in Zelle 411. Der Rufer war einer meiner Chefs, den, wie immer, die Ungeduld trieb.
Das war 1996. In diesem Buch möchte ich Ihnen zeigen, wie aus dem unterwürfigen und hyperängstlichen „Fieberchen“ der wahre Martin Fieber wurde. Oder besser, das was ich bis jetzt von dem wahren Martin Fieber weiß.
Jahrzehnte lang habe ich nichts unternommen, wenn meine Seele getreten wurde. Ich war einfach liegengeblieben. Doch dies ist vorbei. Nun folgt die Geschichte meines Aufstehens. Endlich kann ich mich wieder im Spiegel des unendlichen Universums anschauen und erkenne das friedvolle Lächeln der Sterne.
Ich danke Ihnen aus meinem ganzen Herzen, wenn Sie dieses Buch mit Ihrem ganzen Herzen lesen und mit mir meine tiefsten Erlebnisse und Empfindungen teilen.
Gott zum Gruß und lassen Sie es sich gut gehen.
Ihr
Martin Fieber
Eine kleine Geschichte vorab
Schau der Angst in die Augen und sie wird zwinkern. (aus Russland)
Es ist geschafft. Ich liege auf Amrum in einem schnuckeligen Strandkorb und erhole mich von den Strapazen der letzten Monate. Viel Arbeit und Stress prägten diese Zeit. Jetzt liege ich ruhig da und lasse mit dem Nordseewind meine ganzen Gedanken frei. Die Gedanken, die sich immer wieder um meine Existenzängste drehen. Drei Tage gelingt mir dies, am vierten Tag allerdings liege ich abends flach. Mit Schwindel und dickem Hals. Am nächsten Tag kommen noch Gliederschmerzen hinzu, bis ich schließlich an einem traumhaften, sonnigen Tag bewegungsunfähig und frierend unter riesigen Qualen im Garten liege.
‚Ach, wie schön haben es die Möwen, die sich frei am Himmel treiben lassen können, ohne auch nur einmal mit ihren Flügeln schlagen zu müssen!’ Ja, die Möwen haben es gut, denke ich noch, als es plötzlich laut wird am Himmel. Von überall her kommen Möwen angeflogen, formieren sich und kreisen über mir. Hunderte, Tausende fliegen hektisch und mit wichtigtuendem Geschnatter herum. Tatsächlich ist das Zentrum, um das die Möwen kreisen, genau über meiner Liege. Auf einmal sind die Möwen meine Gedanken und meine Gedanken sind die nordischen Aasfresser. Ohne System und in großem Chaos schwirren sie herum. Ohne Ziel. Ohne Sinn. Lautes Geschrei, hässliches Lachen und viel Geschiss prägen die nächste halbe Stunde, bis sie endlich wieder verschwunden sind. Mein fiebriger Wahn löst sich und ich habe, zwar noch unter Schmerzen, einen kristallklaren Geist, der versteht, wie meine Gedanken Ängste hervorbringen, wie diese Gedanken auch andere Menschen beeinflussen und vor allem, wie diese Ängste mich total bewegungsunfähig machten. Wie müssen diese Ängste mich die ganzen Jahre gefesselt haben!
Ich erinnere mich, wie ich viele Jahre lang schwermütig war und ein hoffnungsloses Gemüt hatte. Eine dunkle, düstere Wolke sank auf mich herab, bis ich nichts mehr sah und zu großen Teilen in einer hilflosen Antriebsschwäche versank. Diese Wolke aus puren Ängsten war sehr dick und stark. Ich fand nicht aus ihr heraus. Sie war ein Gemisch aus Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Existenzängsten, Weltschmerz, Lebensmüdigkeit mit vielen Zutaten wie Selbstmitleid und Zurückgezogenheit. Diese Depression war wie ein Labyrinth ohne Ein- und Ausgang. Ich war einfach darin gefangen. Egal welchen Weg ich ging oder auf welchen Gedanken ich kam, ich war gefangen und blieb liegen. Schließlich verkroch ich mich im Bett und wollte nur noch schlafen.
Hier auf meiner Liege in diesem wunderschönen Garten auf Amrum liege ich nun, immer noch bewegungsunfähig, eingemummelt in eine Decke, die mittlerweile schon Ätzspuren aufweist von diesem elenden Möwenschiss. Die Klarheit in mir tut aber wieder gut, nachdem ich die letzten zwei Tage wie in einem Wahn verbracht habe. Meine Ängste werden mir klar, die Ängste vor dem Leben, die Ängste, irgendwann mittellos unter einer Brücke zu liegen und zu erfrieren. Und zu verhungern.
Vor allem wurde mir aber dies klar, wie sehr meine Ängste mich am Leben hinderten. Wie sie mich mit ihrem Gewicht niederdrückten, mit ihren Krallen mir Wunden zufügten und vorgaben, mir die Wunden zu lecken, aber statt dessen auch noch gefühllos Essig hineinschütteten, bis ich total erschöpft und verzweifelt von selbst am Boden liegen blieb. Versuchte ich mich zu erheben, fehlte nicht mehr viel, um mich wieder ganz und gar auf den Boden zu werfen. Irgendwann blieb ich einfach liegen.
Aber auf Amrum sprach meine Seele zu meinem Geist: „Steh endlich auf. Lass dich nicht immer von Ungerechtigkeit und Egoismus anderer Menschen gängeln, drängen, verletzen, foltern, demütigen, vergewaltigen. Auch nicht von deinen Ängsten. Steh endlich auf, erhebe dich. Schau den Ängsten in die Augen und bleib stehen. Bleib einfach nur stehen. Lass dich vom Sturm des Lebens bewegen, aber lass dich nicht mehr brechen. Denn der Weg führt aus dem Licht in die Dunkelheit und wieder in das Licht. Und die Zeit der Dunkelheit ist jetzt vorbei. Erkenne das Leben in dir selbst und folge dem Licht. Steh endlich auf!“
Ja, das war es. Ich muss für mich endlich Partei ergreifen. Ich muss das „Fieberchen“ in den Fieber verwandeln. Ich muss für mich einstehen und endlich wieder aufstehen. Ja, das ist es, das magische Wort: aufstehen!
Von meinen schwierigen Erfahrungen in den Zeiten meiner Abhängigkeiten und den Kämpfen mit meinen Ängsten und Gefühlen, die ich vor diesem seltsamen Erlebnis auf Amrum hatte, möchte ich allen interessierten Seelen auf den folgenden Seiten erzählen.
Der biographische erste Teil
Am Anfang war die Angst
Des Menschen Seele gleicht dem Wasser. Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es, und wieder nieder zur Erde muss es, ewig wechselnd. (Johann Wolfgang von Goethe)
Es war einmal irgendwo im unendlichen Universum am Rande eines Spiralarmes irgendeiner Galaxie. Dort zwischen Billionen von Sternen und Planeten schimmerte es wunderschön blau. Zoom. Planet Erde. Europa. Deutschland. Hessen. Darmstadt. Städtisches Krankenhaus. 15. März 1969. 19.05 Uhr. Martin Fieber war geboren.
Meine Mutter muss froh gewesen sein, nachdem ich endlich das Licht dieser Welt erblickt hatte. Tagelang lag sie in irgendeinem anonymen Kellerraum, vergessen und fast verloren, und wartete auf die Erlösung ihres großen Schmerzes. Aber ich wollte und wollte nicht kommen. Eine ganze Woche war ich überfällig. Ich hatte wohl Angst. Ich hatte Angst vor meinem Schicksal, vor dem, was mich in dieser Welt alles erwartete. Ich weiß aus meinem innersten Wesen heraus, dass ich schon ungefähr fünfzehn Jahre früher hätte inkarnieren sollen. Die Angst hielt mich davon ab. An diesem Samstagabend aber war es schließlich soweit. Meine Seele musste doch in ihren 52 Zentimeter großen Körper hinein, sie musste fast verzweifeln. Panik. Ich glaube, ich wollte irgendwie nicht geboren werden.
Jetzt bin ich 128 Zentimeter größer, über dreißig Jahre älter und um viele Ängste leichter.
Warum bin ich hier?
Ich wollte Milch und bekam die Flasche,
ich wollte Eltern und bekam Spielzeug,
ich wollte reden und bekam ein Buch,
ich wollte lernen und bekam Zeugnisse,
ich wollte denken und bekam Wissen,
ich wollte einen Überblick und bekam Einblick,
ich wollte frei sein und bekam Disziplin,
ich wollte Liebe und bekam Moral,
ich wollte einen Beruf und bekam einen