Laurie Penny

Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution


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könnten sie sich, wenn sie nicht schön seien, den sozial vorgegebenen Ritualen der Schönheit hingeben. Bis heute befassen sich Zeitschriftenartikel und Fernsehsendungen in diesem Bereich mit den prosaischsten und intimsten Fragen: Darf sich eine selbstermächtigte Frau die Beine rasieren? Kann ich Feministin sein, wenn ich gern Lippenstift und neckische Kleider trage? Dieser Blödsinn ist zu einem Gutteil noch als Reaktion auf das abgehalfterte Stereotyp zu verstehen, nach dem Feminismus unschön ist, und unschön zu sein – also hässlich – ist das Allerschlimmste, was einer Frau passieren kann.

      Dieses Stereotyp reicht zurück zu den Feministinnen der zweiten Welle in den 1970er und 1980er Jahren, die zum Teil tatsächlich Hosen trugen und sich nicht rasierten – doch in den USA gab es neben Andrea Dworkin im Overall auch Gloria Steinem, die wie eine klassische Sexbombe aussah und so undercover als Playboy Bunny in Hugh Hefners New Yorker Playboy Club gelangen konnte; sie verfasste einen vernichtenden Text über den Umgang mit Frauen in dieser bizarren Welt. Und da war Germaine Greer mit Beinen bis zu den Ohrläppchen, die auf einem Titelbild der Londoner Untergrundzeitschrift Oz halbnackt als völlig neuartiges Sexsymbol ihre markanten Wangenknochen, die schlanken gespreizten Oberschenkel und eine ungenierte Libido zur Schau stellte.

      In Wahrheit soll das Stereotyp der BH-verbrennenden Feministin mit den behaarten Beinen suggerieren, dass Feminismus, ja dass Politik eine Frau hässlich macht. Dass die Frauenemanzipation eine Gefahr darstellt für die traditionelle Vorstellung von Weiblichkeit und von der sozialen Rolle einer Frau. Was natürlich so ist und schon immer so war.

      Die Furcht der Frauen, nicht als schön zu gelten, ist durchaus begründet. Wie jüngste Studien nachweisen, sind sich die meisten von uns schon in ihrer Jugend tief und schmerzhaft bewusst, dass sich die Abweichung von der Norm dessen, was unsere Gesellschaft als »schön« betrachtet, für jede Frau und jedes Mädchen negativ auswirkt. Frauen und Mädchen, die im Erscheinungsbild, im Gewicht, im Stil, in der Hautfarbe oder in der Gender-Präsentation von gängigen Schönheitsnormen abweichen, erleben Diskriminierung am Arbeitsplatz und messbare Hürden bei Lohnerhöhung und Beförderung. Die Definition von »Schönheit« ist heutzutage dermaßen eng, überhöht und verwestlicht, dass ihr im echten Leben fast keine Frau gerecht werden kann, selbst wenn sie das Glück hat, von Natur aus mit einem Gesicht und einer Figur gesegnet zu sein, die sie für eine Modelkarriere prädestinieren. Und genau das ist der Zweck der Sache.

      Sehr viele Frauen sind zudem der Schönheitskultur alternativlos ausgeliefert; das trifft besonders diejenigen, die in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind und immer mehr Zeit, Mühe und Energie darauf verwenden müssen, Kunden schöne Augen zu machen, sie zu bedienen, ihnen Wärme, Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Weil ich zu Hause arbeite, sitze ich ungeschminkt mit zurückgekämmtem Haar am Schreibtisch, doch wäre ich so zu meinem Job als Verkäuferin in Camden Market erschienen, wäre ich schneller gefeuert worden, als ich hätte »Doppelmoral« sagen können. Allerdings sollte, wer am Arbeitsplatz, aber auch anderswo ernst genommen werden will, auch wieder nicht zu hübsch sein.

      Hübsche Mädchen sind Anfeindungen von anderen Mädchen gewöhnt. Sie sind aber nicht der Feind. Wer mit einem unvorteilhaften Äußeren aufwächst, mag schnell zu einer solchen Ansicht gelangen. Ich hatte früher eine Heidenangst vor den Mädchen, denen das Mädchenhafte nur so zuzufliegen schien, den umwerfenden anmutigen Wesen, die flirtend und SMS schreibend hinten im Schulbus saßen. Ich brauchte Jahre, bis ich begriff, dass das Privileg, hübsch zu sein, auch so seine Probleme mit sich bringt. Auch die hübschen Mädchen müssen sich mit Schikane und Gewalt arrangieren, mit dem Druck, Fleisch und Verlangen zu drosseln, mit dem Gefühl, abgeurteilt und abqualifiziert zu werden.

      Eine hübsche junge Frau ist ein Widerspruch in sich, denn sie entfacht gleichzeitig Begierde und Abscheu. Sie hat eine Macht, die angeblich alle Frauen haben wollen, die einzige Macht, die sie haben darf, nämlich zu gefallen und bei Männern sexuelle Beachtung zu finden – und daher ist es unabdingbar, ihre Macht in die Schranken zu weisen. Wer in dem Hübsches-Mädel-Spiel Erfolg hat, und sei er noch so kurzlebig, ist dem Misstrauen und den Anfeindungen anderer Frauen ebenso ausgesetzt wie der schmachtenden Verachtung der Männer. Das hübsche Mädel gilt als belanglos, intellektuell uninteressant; sie ist nur zum Vergnügen der anderen da. Bestenfalls ist sie eine Muse, faszinierend und rätselhaft. Verborgene Tiefgründigkeit gesteht man ihr zu, solange sie genau da bleibt – im Verborgenen.

      Mädchen und erwachsene Frauen werden angehalten, um jeden Preis schön zu sein und mit anderen Frauen um Liebe, um Aufmerksamkeit, um die wenigen Trostpreise zu buhlen, die die bekommt, die sich am meisten anstrengt. Hübschen Mädchen und hässlichen Mädchen wird beigebracht, einander zu fürchten: Wenn Macht ein Produkt des »erotischen Kapitals« ist, kann es zwischen denen, die sich um die Trostpreise reißen, schließlich keine Solidarität geben. Du kannst nicht gewinnen. Wenn sich eine Frau dazu entschließt, ein politisches Statement abzugeben, indem sie weniger Zeit auf die Körperpflege verwendet, wird sie ins Lager der BH-verbrennenden Emanzen mit Haaren an den Beinen gesteckt, doch wenn sie sich konventionelle Schönheitsstandards zu eigen macht oder einfach nur Gefallen daran findet, gilt sie als oberflächliche manipulative Schlampe.

      Interessanterweise wird das Wort »hässlich« Frauen noch immer entgegengeschleudert, um sie abzuqualifizieren und zum Schweigen zu bringen. Ein Mann, der nicht auszusprechen wagt, dass eine Politikerin ihre Macht nicht verdient hat und ihr einziger Zweck als Frau es wäre, das andere Geschlecht zu betören und anzutörnen, schimpft sie gern als hässlich und unfickbar.21 Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft Männer – gelegentlich auch Frauen – mir im Internet oder persönlich schon erklärt haben: »Halt den Mund, du hässliche Schlampe«, wenn ihnen nicht gefiel, was ich sagte oder dass ich als junge Frau überhaupt etwas sagte. Anfangs geriet ich in Panik, tauchte mit Lippenstift und in meinen engsten schwarzen Lederklamotten bei Vorträgen und Diskussionsrunden auf – aber wenn wir auch nur einen Funken Mut, Ehrgeiz oder Wut in uns haben, schafft es auch noch so viel Lippenstift nicht, dem Patriarchat die Worte, die aus unserem Mund kommen, angenehmer zu machen.

      Das Attribut »fett« ist noch augenfälliger. Du bist zu dick, du nimmst zu viel Raum ein, geh mir aus den Augen. Männer, die eine Machtposition innehaben, dürfen natürlich Fett ansetzen, dürfen das Interesse an ihrem Äußeren verlieren, dürfen nach einer Nacht des Netzwerkens unrasiert, aufgedunsen, ausgelaugt zu einem Termin erscheinen: Der Platz am Kopf des Tisches ist immer für sie reserviert.

      Dieses System des Verurteilens, des Ausschließens durchdringt alle Gesellschaftsschichten. Naomi Wolf sprach in Der Mythos Schönheit völlig zu Recht von der »Schönheitsarbeit« – Arbeit, Geld und Mühe, die Frauen investieren, um ihr Äußeres »instand zu halten« und ihr körperliches Selbst an das enge Stereotyp konventioneller Schönheitsstandards anzupassen; dies sei, so Wolf, eine neue »dritte Arbeitsschicht« neben der »zweiten Schicht«, die Frauen traditionell mit der Hausarbeit und der Kindererziehung ableisten.22 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Wolf, als sie Der Mythos Schönheit im Alter von neunundzwanzig Jahren veröffentlichte, Prügel von Männern und Frauen gleichermaßen bezog, weil sie nach konventionellem Maßstab schön war und ist.

      Gleichzeitig bekommen wir zu hören, wir seien schwach und dumm, wenn wir uns darum kümmern. Die Teilhabe an der traditionellen Schönheitskultur sei gewissermaßen eine Kapitulation, eine fundamentale Unsicherheit in uns oder in anderen. Frauen, die mit Lippenstift und High Heels auf der Arbeit zu erscheinen haben – erst kürzlich wurde eine britische Gewerkschaftsinitiative gekippt, die es Arbeitgebern untersagen wollte, Frauen zum Tragen von Stilettos zu zwingen23 –, werden oft bestraft, wenn sie es nicht tun, aber nur selten ernst genommen, wenn sie es tun.

      Es ist ein abgekartetes Spiel. Du kannst nicht gewinnen, weil niemand gewinnt. Wenn du keine Diät machst, dir nicht die Haare stylst, nicht dein letztes Geld in Kosmetik und modische Kleidung investierst, giltst du als unzulänglich, unprofessionell – aber wenn du das alles tust, bist du ein dummes Flittchen. Hier ist übrigens die Antwort auf die ermüdende Frage, ob eine Frau, die sich die Beine rasiert oder die Schamhaare entfernen lässt, eine Feministin sein kann: Natürlich kann sie. Das ist gar keine Frage, und wir sollten endlich aufhören, Artikel darüber zu schreiben.

      Natürlich können wir