Klaus Hübner

KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL


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– unter allen Umständen.«

      Bereits 1988 hat Elazar Benyoëtz den Chamisso-Preis erhalten, und seitdem ist sein Werk ungeheuer angewachsen – Gedichte und Prosa, Essays und Briefe, vor allem aber Aphorismen. Harald Weinrich nennt in seinem Vorwort zur Studie Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz, die Christoph Grubitz 1994 veröffentlicht hat, den Aphorismus »eine eigenartige Gattung«, und er fährt fort: »Sie ist, außer durch ihre knappe, prägnante, pointierte Form, auch durch ihren Inhalt definiert: Aphoristik als Moralistik.« Zum aphoristischen Sprechen dieses Dichters gehören das Entlarven sprachlicher Gewohnheiten durch ihr Wörtlichnehmen oder ihr Umdeuten, manchmal auch das absichtliche Missverstehen und der bewusste Verstoß gegen grammatische Regeln. Seit 1969, als er mit Sahadutha in Deutschland debütierte, hat Elazar Benyoëtz weit mehr als dreißig Aphorismenbände veröffentlicht. »Ein guter Aphorismus ist von erschöpfender, ein schlechter von ermüdender Kürze«, hat er einmal formuliert. Nicht nur das Gedicht, auch der Aphorismus ist für Benyoëtz eine dem Verstummen benachbarte Ausdrucksform, eine »Bruchstelle des Schweigens«. Die konzise, manchmal bis zum Einzelwort verknappte literarische Form des Aphorismus sei »als unsystematisches Erlebnisdenken und Erkenntnisspiel im Grenzgebiet von Wissenschaft, Philosophie und Literatur besonders auf die kritische Weiterarbeit des Lesers angewiesen«, heißt es im Metzler Literatur Lexikon. Die Hauptthemen von Elazar Benyoëtz sind Sprache, Vergänglichkeit, Erinnerung und Glauben – große Themen aller Dichtung überhaupt, höchst geeignet für die »kritische Weiterarbeit des Lesers«. Wobei zu präzisieren wäre: eines dazu auch bereiten, eines geduldigen, zweifelnden und nachdenklichen Lesers. Im Grunde möchte man nur noch zitieren: »Ein Dichter / muss auch leere, / vollendet leere Seiten / schreiben können.« Oder: »Man hat die Wahl, / die man trifft.« Oder auch – jeder kennt das und hat es doch noch nie so formuliert gesehen: »Es ist leichter, / sich verständlich zu machen, / als sich zu erklären.« Anders gesagt: »Dem Verständnis / stehen alle Erklärungen / im Wege.« Und im Hinblick auf das neue Modewort »postfaktisch« könnte man mal über folgenden Aphorismus sinnieren: »Auch Tatsachen / bleiben nicht gern / bei den Fakten.« Was macht man damit? Erwägen, überlegen, weiter nachdenken natürlich – mit Elazar Benyoëtz! Doch wer mag heute noch hinhören, nachfühlen, sich verzaubern lassen, mitdenken und bedenken?

      Elazar Benyoëtz spricht aus einer anderen Zeit, und er spricht aus der Fremde: »Ich habe keine deutsche Umwelt, kein Deutsch um die Ohren, ich muss mein eigenes Herz essen«, heißt es in einem autobiografisch grundierten Essay, in dem er seine Schreibsituation erläutert. Diese ist, schon immer und heute erst recht, vom barbarischen Zivilisationsbruch des NS-Terrors unauslöschlich geprägt: »Auschwitz und Deutsch sind unzertrennlich, Hebräisch und Auschwitz sind unvereinbar … Als ich ins Deutsche geriet, sah ich seinen großen Vorzug ein: In jeder anderen Sprache wäre es leichter, Jude zu sein.« Was es bedeutet, nach dem brutalen Einschnitt des Holocaust im 20. und 21. Jahrhundert »Jude zu sein«, auch das erfährt man in den Aphorismen, Gedichten, Prosaskizzen und Briefen von Elazar Benyoëtz. Und man erfährt es nur dort, denn vermeintlich leichter Zugängliches zu schreiben hat er stets verweigert: »Das Hohelied der Fälscher läuft unter ›Memoiren‹.« Und ein Fälscher, der über die Abgründe menschlicher Existenz allzu glatt und flott hinweggeht, will Benyoëtz nicht sein. Er spricht nicht als Unterhaltungsschriftsteller, er spricht als Dichter, und zwar immer: »Nicht alles ist Dichtung, und Dichtung ist nicht die Wahrheit, aber sie ist das, was wir von der Wahrheit haben und von ihr zu berichten wissen.« Zugleich ist er ein religiöser Mensch, dem das Buch Kohelet das einzige unumschränkt geltende Vorbild ist. Doch nicht der Glaube überzeugt, nur die Sprache: »Sprichst du nicht viel und bleibst du dem Wenigen treu, kommst du glimpflich, gerade noch gottesfürchtig davon. Davon? Wenn du nicht fragst, wohin. In jedem Fall wirst du gerichtet.« Literatur und Religiosität gehören bei ihm unauflöslich zusammen: »Ist Gott mit mir, ist es auch das ganze Alphabet.«

      Niemand darf, in welchem Kontext auch immer, das Werk und die Person dieses Poeten für eigene Zwecke instrumentalisieren – was das angeht, wird Benyoëtz ganz deutlich: »Wenn ich etwas über Gott und die Dichtung sagen möchte, will ich nicht gezwungen werden, mein Urteil über Arafat oder Sharon abzugeben. Mit Fragen solcher Art wird die Poesie öffentlich ausgepeitscht.« Einen ähnlich emphatischen Begriff von Poesie wie Benyoëtz hat wohl kaum ein anderer zeitgenössischer Autor. Das Wichtigste an seinen großartigen Gedichten und sinnreichen Aphorismen ist der Denkraum, den sie mit nur wenigen Worten öffnen. Wer sich von der Literatur nicht ausschließlich Nutzen und Vergnügen, sondern noch dazu das Öffnen solcher Denkräume erwartet, der blättere in den Büchern von Elazar Benyoëtz. Da steht alles drin.

       Elazar Benyoëtz: Allerwegsdahin. Mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche. Zürich/Hamburg 2001.

       Elazar Benyoëtz: Die Eselin Bileams und Kohelets Hund. München 2007.

       Elazar Benyoëtz: Der Mensch besteht von Fall zu Fall. Aphorismen. Mit einem Nachwort von Friedemann Spicker. Stuttgart 2009.

       Elazar Benyoëtz: Korrespondenzen. Herausgegeben von Bernhard Fetz, Michael Hansel und Gerhard Langer (= Profile 21). Wien 2014.

      Sein Weg als Israeli und Jude ins Deutsche. Neues von Elazar Benyoëtz

      Aber? Wenndig? Soll der Buchtitel ein hochreflektiertes, konjunktivisches Schreiben mit musilschem Möglichkeitssinn ankündigen? Im Duden jedenfalls wird man »aberwenndig« vergeblich suchen. Elazar Benyoëtz hat unter diesem Titel eine Fülle autobiografischer Splitter zu einem Lebensmosaik zusammengetragen. »Mein Weg – ein großes Wort auch dies, ich lass' es lieber fallen; zerbricht es, findet es Anklang vielleicht. Splitter sind die Bedeutungen dessen, was Sinn hatte« (18). Die Splitter verdichten sich zur Bilanz, zur Summe eines ungewöhnlichen Lebens: »>Man kann nicht über seinen Schatten springen<: die wachsende Lebenserfahrung ist dieser Schatten« (29). Was dieses Dichter- und Gelehrtenleben durchgängig prägt und es für Nachgeborene anregend und reich macht, ist nicht allein sein historischer Ort: »Rom wie Jerusalem sind … nur noch über Auschwitz zu erreichen« (167). Es ist auch das geistige Dazwischen, das aus dieser Verortung hervorgegangen ist: »Für den Israeli denke ich zu deutsch, für den Deutschen zu jüdisch« (276). Und es ist die Singularität dieses Lebens: »Den umgekehrten Weg, aus dem Deutschen ins Hebräische, sind viele gegangen; den Weg als israelischer Dichter ins Deutsche ging niemand, außer mir« (380).

      Zunächst fällt auf, dass Aberwenndig womöglich das erste deutsche Buch ist, das wie ein hebräisches gelesen werden will, also von rechts nach links. Was anfangs etwas verwirrend ist – aber wirklich nur anfangs. Am Text und an der Lesefolge ändert sich ja nichts, wenn man das Buch »hebräisch« in Händen hält. Weiter fällt bald auf, dass Aberwenndig einen Vorgänger hat. Schon in seinem 2001 erschienenen Band Allerwegsdahin hatte Elazar Benyoëtz seinen Weg als Jude und Israeli ins Deutsche, wie der sich an Jakob Wassermann anlehnende Untertitel beider Bücher lautet, knapp erläutert. In Aberwenndig liest man, ähnlich wie schon in Allerwegsdahin: »Niemand würde aus meinen Texten entnehmen, dass ich in Tel Aviv fast geboren und daselbst Strand- und Straßenkind war. Ich wollte immer in die Welt hinaus schwimmen, am Ende saß ich im Zug und hörte das entsetzliche Rollen von Wien bis Köln. Züge, deutsche Atemzüge« (96). Die Hauptthemen von Elazar Benyoëtz sind Sprache, Vergänglichkeit, Erinnerung und Glauben – große Themen aller Dichtung überhaupt. Er hat Gedichte und Prosa, Essays und Briefe, vor allem aber Aphorismen veröffentlicht. Nicht nur das Gedicht, auch der Aphorismus ist für ihn eine dem Verstummen benachbarte Ausdrucksform, eine Art Bruchstelle des Schweigens.

      Seine spezielle Art aphoristischer Moralistik findet sich selbstverständlich auch im neuen Band, neben zahlreichen Zitaten aus Literatur und Philosophie, vor allem solchen aus dem Alten Testament. Etwa: »Aller Gründe Grund ist Bodenlosigkeit« (10). Oder: »Wo nichts einleuchtet / gibt es nichts aufzuklären« (197). Doch die Aphorismen machen nur einen Bruchteil des gesamten Buches aus – auch, weil der Dichter weiß, dass man nicht allzu viele hintereinander weg lesen kann. Außerdem: »Gute Aphorismen sind von erschöpfender, schlechte von ermüdender Kürze« (44). Schlechte Aphorismen sucht man hier vergebens. Was man