Patricia Vandenberg

Sophienlust Classic 50 – Familienroman


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hatte. Er konnte sich leicht ausrechnen, dass sich daraus eine schlechte Note ergab.

      »Mutti weint?«, fragte er betroffen. »Dann ist bestimmt etwas passiert. Meinst du, ich sollte zu ihr gehen und sie fragen? Vati ist natürlich ausgerechnet heute nicht hier.«

      Eben war Nick darüber noch froh gewesen, weil er dadurch die Beichte über die zu erwartende schlechte Note aufschieben konnte. Doch jetzt wünschte er seinen Stiefvater aus ganzem Herzen herbei, weil er wusste, dass kein anderer seine geliebte Mutti so zu trösten verstand, wie Alexander von Schoenecker.

      »Geh lieber«, meinte Henrik mit großen Augen. »Sie hat gar nicht gemerkt, dass ich in ihrem Zimmer war. Dabei hatte ich sogar angeklopft.«

      »Na gut.« Nick seufzte und begab sich auf den Weg. Mutti in Tränen – das war ungewöhnlich und beunruhigend. Er durfte jetzt ganz einfach nicht kneifen, sondern musste versuchen, ihr zu helfen. Das war seine Pflicht.

      Während Henrik sich ängstlich im Hintergrund hielt, klopfte Nick an Denises Tür und trat ein, ohne auf ihren Ruf zu warten. Es stimmte, seine Mutti weinte. Henrik hatte sich nicht geirrt.

      »Mutti …«

      Denise hob den Kopf und streckte die Hand nach ihrem Sohn aus.

      »Mutti, was ist denn?« Wie als kleiner Bub setzte Nick sich seiner Mutter zu Füßen und schaute zu ihr auf. »Sag’s mir, Mutti.«

      »Es ist etwas sehr Trauriges geschehen, Nick. Bettinas Vater ist mit dem Wagen tödlich verunglückt, als er seine Frau in der Schweiz besuchen wollte.«

      »Das ist schrecklich«, flüsterte Nick. Er war blass geworden. »Bettinas Mutter ist doch so schwer krank…«

      Denise neigte den Kopf. »Das ist es ja, was mich so bedrückt, mein Junge. Angela Sattler ist operiert worden. Noch kann man nicht sagen, ob sie den Eingriff überlebt und ob sie dadurch geheilt sein wird.«

      »Dann …, dann würde Bettina vielleicht beide Eltern verlieren?« Des großen Jungen Lippen zitterten.

      »Man muss mit dieser Möglichkeit rechnen, Nick, so bitter es sein mag.«

      »Dann bleibt die kleine Bettina eben für immer in Sophienlust, Mutti. Denk’ doch an die Geschwister Langenbach. Sie haben damals die Eltern durch das schlimme Lawinenunglück verloren. Natürlich war das furchtbar. Aber heute gehören sie ganz zu uns und sind nicht mehr unglücklich. Bettina ist doch noch so klein. Sie würde sich an ihre Eltern bald nicht mehr erinnern. Es wäre für sie also sogar leichter als für Michael, Angelika und Vicky. Wie geht’s Vicky übrigens?«

      Gerührt strich Denise über das dunkle Haar ihres Jungen, das immer etwas strubbelig wirkte.

      »Vicky darf heute Nachmittag wieder aufstehen. Es war nur ein leichter Infekt. Übermorgen geht sie wieder in die Schule.«

      »Na siehst du, das ist eine gute Nachricht!« Nick bemühte sich, etwas Positives zu äußern. »Vielleicht schafft es Bettinas Mutter auch und übersteht die Operation. Sie ist doch von einem weltberühmten Arzt operiert worden.«

      »Ja, aber sie hat auch eine schwere Krankheit, Nick«, wandte Denis sorgenvoll ein.

      »Du darfst nicht weinen, Mutti. Sophienlust soll denen helfen, die in Not geraten. Bettina kann bei uns bleiben. Darauf kommt es an. Ob ihre Mutti gesund wird, das weiß man eben jetzt noch nicht. Du kannst nichts daran ändern, denn zum besten Arzt habt ihr sie ja bringen lassen.«

      Denise konnte plötzlich unter Tränen lachen. »Du hast recht, Nick. Mit Weinen bessert man gar nichts.«

      Nick zog ein Taschentuch hervor, das nicht sehr sauber war, und reichte es seiner Mutter. »Da, Mutti! Nicht mehr weinen.«

      Da umschloss Denise von Schoenecker den Kopf ihres Jungen mit beiden Händen und küsste ihn auf die Stirn. »Danke dir, Nick. Jetzt hast du mich wirklich getröstet. Übrigens wäre es nicht schlecht, wenn du dir ein frisches Taschentuch einstecktest.«

      »Okay, Mutti.« Nick war zufrieden, dass seine Mutter nicht mehr weinte. Er trollte sich nun wortlos.

      Im Treppenhaus trat ihm sein kleiner blonder Bruder in den Weg. »Na?«, fragte Henrik.

      »Nun fang’ du nicht auch noch zu heulen an«, schalt Nick gutmütig. »Es ist alles in Ordnung. Sie weint schon nicht mehr.«

      »Kann ich rein zu ihr?«

      »Klar, geh nur!«

      Henrik stürmte zu seiner Mutti, wobei er natürlich das Anklopfen vergaß, und überzeugte sich mit eigenen Augen, dass sie wieder lächelte.

      *

      Es zeigte sich, dass Denises Angst um Angela Sattler ihre Berechtigung gehabt hatte. Die Operation hatte keine Besserung gebracht. Die Kranke dämmerte nun dahin und wusste nichts mehr von sich selbst und ihrer Umwelt.

      Nach reiflicher Überlegung entschloss sich der Arzt im Spätsommer zu einer zweiten Operation. Da Angela Sattler keine weiteren Angehörigen hatte, reiste Denise persönlich in die Schweiz, um während der entscheidenden Stunden und Tage in der Nähe zu sein. Und nun geschah das große Wunder. Angela konnte durch die zweite Operation gerettet werden. Bettina würde ihre Mutter nun doch nicht verlieren.

      »Warum sind Sie hier?«, fragte die Patientin, als sie zum erstenmal bei vollem Bewusstsein die Augen aufschlug und Denise an ihrem Bett fand.

      »Ich wollte mich persönlich davon überzeugen, dass es Ihnen besser geht, Angela.« Denise brachte die Kraft auf, zuversichtlich zu lächeln und nicht an Klaus Sattler zu denken, der nun schon seit Wochen unter der Erde ruhte.

      »Bettina lässt ihre Mutti grüßen. Wir hoffen, dass Sie nachher zu uns nach Sophienlust kommen, um sich zu erholen. Vorerst wird man Sie allerdings noch eine Weile hier in Zürich behalten, denke ich.«

      »Bettina geht es gut? Ich … ja, ich wollte Nick für das Foto danken. Ich bin nicht mehr dazu gekommen. Am Montag haben sie mich operiert, nicht wahr?«

      Denise senkte den Blick. Angela konnte sich an die lange Zeitspanne zwischen der ersten und der zweiten Operation nicht erinnern. Für sie war es das Erwachen aus der Narkose nach der ersten Operation am Montag.

      »Die Operation ist gelungen, Angela. Jetzt dürfen wir endlich hoffen«, brachte Denise schließlich leise hervor.

      »Ich habe immer daran geglaubt«, antwortete die Kranke mit einem matten Lächeln. »Doch jetzt möchte ich schlafen.«

      Das Lächeln stand noch um ihre Lippen, als Angela den Kopf zur Seite legte und einschlief wie ein Kind.

      Erst zwei Tage später erfuhr die Kranke von der zweiten Operation und vom tragischen Tod ihres Mannes. Denise hielt ihre Hand, als der Chefarzt ihr das mitteilte, was man ihr nun nicht länger verheimlichen durfte.

      Die Kranke weinte nicht. Ihr Gesicht wurde noch blasser, als es nach den unendlichen Wochen des Leidens schon war, und erstarrte zu einer Maske.

      »Er hatte zwei schöne Erfolge zuletzt«, erklang Denise Stimme tröstend. »Das wollte er Ihnen mitteilen, um Ihnen eine Freude zu machen.«

      »So war Klaus«, antwortete Angela tonlos. »Jetzt verstehe ich, warum Sie mich nach Sophienlust eingeladen haben, Frau von Schoenecker.«

      »Werden Sie gesund, liebe Angela. Dann kommen Sie zu Bettina nach Sophienlust. Das Kind braucht seine Mutti. Meinen Sie nicht?«

      »Vielleicht hat sie mich schon vergessen«, antwortete Angela Sattler traurig.

      »Es ist ja schon unendlich viel Zeit vergangen. Bis ich reisen kann, ist es Winter. Ein kleines Kind vergisst schnell.«

      »Trotzdem braucht Bettina Sie«, wiederholte Denise geduldig. »Wir freuen uns schon auf Ihre Ankunft.«

      »Wie lieb Sie zu uns sind. Natürlich werde ich kommen, weil ich gar nicht weiß, wohin ich soll, wenn ich hier entlassen werde. Was ist aus dem Büro meines Mannes geworden? Wissen Sie etwas darüber?«

      »Das