war dafür noch zu klein, so packte Angela ihr Töchterchen warm in Decken ein und zog es auf dem Schlitten hinter sich her. Auch sie schlug den Weg zum Wald ein, weil die frisch beschneiten Bäume so wundervoll aussahen. Vielleicht begegneten sie ja auch den anderen Kindern.
Angela schritt in ihren hohen Stiefeln munter drauflos. Manchmal hielt sie inne, um zu lauschen. Doch von den Sophienlust-Kindern war nichts zu hören.
Angela fiel ein, dass um diese Nachmittagsstunde vielleicht schon die ersten Rehe an der Wildfütterstelle sein könnten. Die Tiere zu beobachten würde Bettina gewiss Freude machen.
Ein paarmal musste Angela überlegen, um die Stelle zu finden. Endlich tauchte die überdachte Futterraufe auf. Zwar waren deutlich Wildspuren im Schnee zu erkennen, doch ließ sich vorerst kein Reh erblicken.
Neben den Tierspuren entdeckte Angela auch Schuhabdrücke, die nicht von des Oberförsters großen Stiefeln stammen konnten. Es musste ein Frauenschuh gewesen sein, vielleicht sogar der eines halben Kindes. Hatte vor ihr schon jemand die Rehe beobachten wollen? Neugierig geworden folgte Angela den Tritten im Schnee, die bis zur Fütterungsstelle führten, wo frisches Heu, Kastanien und anderes Futter bereitlag.
Es war Bettinas Händchen im roten Fausthandschuh, das plötzlich aufgeregt ins Heu wies. »Da, Mama!«
Nun sah es auch Angela. Im Heu
lag ein Bündelchen, unverkennbar … Nein, sie konnte es nicht glauben! Hatte ein Kind seine Puppe hier im weichen Heu versteckt?
Angela trat näher und schaute genauer hin. Keine Puppe lag da warm eingehüllt im Heu – es war ein Kind, sicherlich erst wenige Tage alt. Ein Blatt Papier war mit einer Sicherheitsnadel an der Wolldecke befestigt: Herrn Oberförster Bullinger: Bitte bringen Sie meinen Sohn nach Sophienlust ins Kinderheim. Er heißt Wolfi (Wolfgang).
»Bettina, das ist ein kleiner Junge«, rief Angela. »Wir werden ihn gleich mitnehmen nach Sophienlust, damit er in ein richtiges Bettchen kommt.«
Bettinas Mund stand vor Überraschung offen.
»Kleiner Junge«, echote sie.
Es war ein bisschen mühsam, das Bündelchen aus dem Heu zu ziehen, denn wer immer das Kind dort niedergelegt haben mochte, er hatte es tief ins wärmende Heu gesteckt. Angela bekam heiße Wangen, bis sie das Kind endlich im Arm hielt.
»Tina will mal gucken«, bettelte Bettina.
Angela beugte sich nieder und zeigte ihr das Baby. »Jetzt müssen wir euch zusammen auf den Schlitten packen, Tinchen«, überlegte sie laut. »Hoffentlich fällt uns der kleine Kerl nicht herunter.«
»Tina hält ihn fest«, beteuerte Bettina.
Während Angela noch überlegte, wie sie beide Kinder sicher auf dem kleinen Schlitten unterbringen könnte, wurde das Geräusch eines Autos hörbar. Ein wenig erschrocken wandte sich Angela in die Richtung, aus der der Wagen kam. Zu ihrer Freude und Erleichterung erkannte sie den wei-ßen Bart des Oberförsters hinter der Windschutzscheibe. Sofort winkte sie ihn heran und berichtete ihm von ihrer Entdeckung.
Oberförster Bullinger schüttelte den Kopf. »Das hätte ein schlechtes Ende nehmen können«, meinte er. »Beinahe wäre ich heute nicht mehr hierhergekommen, weil uns die Kinder im Forsthaus mit den Ponys und ihren Schlitten besucht haben. Natürlich musste Kakao getrunken werden. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Sache einigermaßen organisiert war. Da wollte ich schon die Futterstelle heute nicht mehr kontrollieren. Ich habe ja gestern genug Futter ausgelegt. Dann dachte ich aber, dass ich beim Kakaotrinken nicht zuschauen müsste, und so bin ich eben noch losgefahren. Jetzt packen wir Sie, den Schlitten und die Kinder in den Wagen und fahren schnurstracks zum Gutshaus. Nein, so was! Es ist nicht das erste Mal, dass ein Kind in der Nähe von Sophienlust ausgesetzt worden ist. Natürlich spricht es sich herum, dass die Kinder es dort gut haben und niemand fragt, woher das Baby kommt. Verstehen kann ich es trotzdem nicht, dass eine Mutter so etwas tut.«
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