Karin Bucha

Karin Bucha Classic 45 – Liebesroman


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der sie in diesen Zustand versetzt hat…

      Ihr Herz schlägt wie wild in der Brust. Sie weiß alles von Franz. Schonungslos, als wolle er sich auf irgendeine Weise und für irgend etwas rächen, hat er ihr den Verdacht, der auf Peter lastet, mitgeteilt.

      Der Verstand hat alles aufgenommen, doch ihr Herz hat alles abgelehnt. Nie – niemals hat Peter das getan, dessen man ihn anklagt.

      Und nun ist er fort! Ist es Recht oder Unrecht? Hätte er nicht allen Anschuldigungen trotzig die Stirn bieten müssen? Sie hebt den Kopf. Hinter dem Wald steigt der Mond auf und bescheint mit seinem gelblichen Licht die Trümmerstätte und auch die einsame Frau auf der Bank.

      Sie lauscht. Da ist es wieder, dieses raschelnde Geräusch, und dann steht eine hohe Gestalt vor ihr.

      »Peter!«

      »Mutter!«

      Sie sieht, wie er vor ihr niedersinkt, und spürt seinen Kopf in ihrem Schoß. Ihre zitternden Hände streicheln immerzu über seinen blonden Haarschopf.

      »Du bist doch nicht fort, mein lieber, lieber Junge!« raunt sie voll Glück, und ihre starre Haltung verliert sich. Ihre Stimme ist weich, mit Zärtlichkeit getränkt.

      »Ich konnte nicht gehen, ohne Abschied von dir zu nehmen, Mutter«, flüstert er zurück und hebt die verdunkelten Augen zu ihr auf.

      »Es ist ja alles nicht wahr, Peter. Es kann nicht wahr sein, was man dir vorwirft.«

      »Warum sitzt du hier allein, Mutter?« forscht er, ihre Worte überhörend. »Wo ist Franz, wo Magda und das Kind?«

      »Sie sind bei Magdas Eltern –«

      »Und du, Mutter?«

      Die Dunkelheit verbirgt ihre Züge, in denen es zuckt und arbeitet. Aber sie beherrscht ihre Stimme.

      »Ich wollte nicht mit ihnen gehen, selbst wenn sie mich aufgefordert hätten.«

      Er hört alles aus ihren Worten, und ihm krampft sich das Herz zusammen. »Friedrich und Gerhard werden sich deiner annehmen, Mutter, solange ich weg bin.«

      Sie umklammert seine Arme.

      »Solange du weg bist?«

      »Ich muß, Mutter. Ich muß meine Unschuld beweisen, das kann ich nur, wenn ich meine Freiheit habe.«

      »Wohin willst du, Peter?«

      Ratlos schweigt er. Wohin soll er sich wenden? Zunächst muß er eine große Strecke zwischen sich und dem Eichenhof bringen und dann etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Noch ehe er zu einem Entschluß gekommen ist, fühlt er sich heftig gepackt.

      »Peter«, sagt Maria Warburg in größter Erregung. »Geh zu Onkel Stephan nach Nebraska. Er wird dich aufnehmen. Ich habe immer viel für ihn übrig gehabt, und ich glaube –, hier stockt ihre Stimme, und leise fügt sie hinzu, »ich glaube, er für mich auch.«

      »Und dich soll ich hier allein lassen? Ich traue Franz nicht mehr, vielleicht tue ich ihm damit auch Unrecht. Aber es sind ja noch Friedrich und Gerhard da.«

      »Ich glaube, du sorgst dich mehr um mich als um dich«, meint sie nach einer Weile, und das Glücksgefühl, das sie in seiner Nähe immer beherrscht, fühlt sie jetzt stärker denn je. Vielleicht hat Franz recht? Vielleicht liebt sie Peter am meisten von ihren Kindern? Nein! Sie nehmen in ihrem Herzen alle den gleichen Platz ein. Nur ist Peters Art von ihrer Art, und er gleicht mehr als die anderen Kinder in seinem Wesen dem verstorbenen Vater.

      Sie weiß ganz genau: nie wäre er einer Gemeinheit fähig. Sie glaubt auch nicht, was man ihm vorwirft, wessen man ihn beschuldigt.

      »Peter, nimm meinen Rat an, so sehr weh es mir tut, dich nicht mehr um mich zu haben. Ich setze mich den Kindern gegenüber schon durch, glaube mir. Jetzt geht es um deine Sicherheit, und bei Onkel Stephan bist du gut aufgehoben. Ich habe leider kein Geld, ach, wovon sollst du die Reise bezahlen?«

      »Ich habe Geld, Mutter. Beate hat mich reichlich versorgt.« Er faßt in seine linke Rocktasche. »Hier hast du etwas davon.«

      »Nein! Nein!« wehrt sie heftig ab. »Keinen Pfennig nehme ich davon.«

      »Doch, Mutter, du mußt es nehmen«, beharrt er eigensinnig und steckt es ihr in die Schürzentasche. »Sonst hätte ich keine Ruhe.«

      »Peter, mein Junge.« Sie zieht seinen Kopf zu sich herunter und küßt ihn. »Meine guten Wünsche begleiten dich. Ich werde immer an dich denken.«

      Schwerfällig erhebt er sich.

      »Bleibe gesund, Mutter.«

      Sie fühlt seinen Mund auf ihren Wangen, ihrem Haar, wohin er gerade trifft.

      Kein Wort kann sie sprechen. Die Kehle ist ihr vor Schmerz wie zugeschnürt. Sie sieht einen großen Schatten verschwinden, hört einen leichten Schritt.

      Den Kopf an die Hauswand gelehnt, überläßt sie sich hemmungslos ihrem Schmerz. Ein einziger Tag in einem Menschenleben kann es von Grund auf verwandeln.

      *

      Auf Umwegen geht Peter Warburg stundenlang durch die Nacht. Niemandem begegnet er. Niemand sieht ihn. Er läuft, bis ihm die Füße schmerzen, und als er endlich einen Hauptknotenpunkt der Eisenbahn erreicht hat, läßt er sich im Bahnhofsgebäude auf einer Bank nieder.

      Durch die geschlossene Tür dringt der neue Tag herein. Noch sieht alles grau in grau aus, und es ist auch empfindlich kalt geworden.

      Er greift in seine Rocktasche und entnimmt ihr den Brief, den Beate ihm zugesteckt hat. Er hat ihn schon ein paarmal gelesen und muß es immer wieder tun.

      Geliebter Peter! In aller Eile sollen Dich meine Worte auf Deinem schweren Weg begleiten. Ich glaube an Dich, und ich warte auf Dich. Ich weiß, Du wirst zurückkehren, und alles wird gut sein. Meine guten Wünsche, mein ganzes liebendes Herz gehen mit Dir. Immer Deine Beate.

      Ganz sacht drückt er seinen Mund auf ihren Namen und küßt im Geiste ihre Lippen.

      *

      Ein neuer Tag ist angebrochen, schöner noch als der vorangegangene, mit klarblauem Himmel, seidiger Luft und strahlender Sonne. Sie bescheint unbarmherzig den ausgebrannten Eichenhof, auf dem die Knechte und Mägde mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt sind.

      Zwischen den Trümmern und verkohlten Balken arbeitet auch eine Kommission aus der Stadt.

      Nur die Herrin des Besitzes ist nicht dabei. Maria Warburg hat sich ihre alte Gundel kommen lassen. Mit ihr gemeinsam schafft sie im Gartenhaus, das sie fortan als ihren Wohnsitz bestimmt hat, Ordnung.

      Sie ist eben dabei, die Fenster zu putzen, als Franz wie aus dem Erdboden gewachsen hinter ihr auftaucht und sie anruft.

      »Ach, du bist es«, sagt sie, stellt den Eimer ab und wischt sich die Hände an der Schürze trocken.

      »Ist Peter hier?« fragt er, nachdem er sich von seinem ersten Schrecken erholt hat.

      »Nein!« Sie geht an ihm vorbei, legt die bunte Schürze ab und wirft sie achtlos auf einen Stuhl. Sie setzt sich in den Ohrensessel am Fenster und blickt an dem Sohn vorbei hin-über zu dem Eichenhof, von dem Lärm gedämpft zu ihr dringt. »Willst du etwas von ihm?«

      Franz schiebt die Mütze ins Genick und sucht in seiner Tasche nach Zigaretten.

      »Man erwartet Peter drüben zu einem Verhör.«

      »Zu einem – Verhör?« fragt sie gelassen zurück. »Was will man denn von ihm wissen?«

      Er hebt die Achseln. »Keine Ahnung, Mutter.«

      »Kannst du nicht die nötigen Auskünfte geben oder warst du etwa bei dem Brand nicht auf dem Hof?«

      »Natürlich«, gibt er widerstrebend zu. »Aber dann habe ich Magda und die Franzi in Sicherheit gebracht.«

      »Merkwürdig«, murmelt sie.

      »Was ist dabei merkwürdig?«