Marietta Brem

Sophienlust Bestseller 11 – Familienroman


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erhob sich Werner und ging zur Tür, wo er sich noch einmal umdrehte. Lange blieb sein Blick auf dem entspannten Gesicht seines Kindes hängen, bis er sich endlich davon losreißen konnte.

      Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf stapfte er die Stufen wieder hinunter. Er sah aus wie ein alter Mann, der alles verloren hatte. Dabei war er gerade achtunddreißig Jahre alt. Aber danach fragte das Schicksal eben nicht.

      *

      Franziska spürte, wie die Erstarrung langsam von ihr wich. Auch jetzt, zwei Tage nach der Beerdigung ihres Bruders, fühlte sie sich noch wie ausgehöhlt, und doch griff das Leben schon wieder ein bißchen nach ihr.

      Nicht zuletzt wegen Marion, dem kleinen Mädchen, das innerhalb eines Jahres seine Eltern verloren hatte. Wie schrecklich mußte es erst für das Kind sein, plötzlich fast allein in der Welt zu stehen. Nur die Tante war Marion noch geblieben.

      Wieder einmal nahm sich Franziska ganz fest vor, Marion niemals im Stich zu lassen. Sie hatte dieses Versprechen bereits Herta gegeben, ehe sie gestorben war, und auch Ulrich hatte sie kurz vor seinem Tod noch um diesen Liebesdienst gebeten.

      Forschend schaute die junge Frau in den kleinen Spiegel im Badezimmer. Wie sehr hatte sie sich in den letzten Wochen und Monaten verändert, seit das Leid sich bei ihnen die Tür in die Hand gab. Irgendwie kam sie sich älter und auch gereifter vor als andere mit vierundzwanzig Jahren.

      Rasch griff sie nach der Truhe mit Make-up. Wenn Manfred nachher gleich zu ihr kam, dann wollte sie hübsch und gepflegt aussehen. Er mochte es nicht, wenn sie traurig war und sich ihrem Kummer hingab. Das wußte Franziska nur zu gut.

      Schon um acht Uhr hatte sie Marion in den Kindergarten gebracht. Wie schon die ganze letzte Woche war das Wetter regnerisch und kalt und dementsprechend war auch ihre Stimmung.

      Nur eines hielt Franziska aufrecht: Manfred hatte am Vorabend angerufen und sein Kommen für diesen Vormittag angekündigt. Immer wieder mußte die junge Frau daran denken, wie geheimnisvoll seine Stimme geklungen hatte.

      Etwas Dringendes hätte er mit ihr zu besprechen, das keinen Aufschub duldete, hatte er gesagt.

      Rasch fuhr sich Franziska mit der Bürste durch ihr langes dunkles Haar, das von Naturlocken beherrscht wurde.

      Gerade als sie fertig war, klingelte es. Franziska warf noch einen abschließenden Blick in den Spiegel. Ja, sie konnte mit ihrem Äußeren zufrieden sein.

      »Manfred.«

      Der blonde Mann rang sich ein Lächeln ab. Nur schwer konnte er seine Überraschung verbergen. Daß Franziska so hübsch aussehen würde, damit hatte er natürlich nicht gerechnet.

      »Hallo, Kleines«, begrüßte er sie mit seiner etwas zu hohen Stimme, die so gar nicht zu einem Mann paßte. Ohne auf ihre Einladung zu warten, strebte er hastig an ihr vorbei in die Wohnung hinein.

      »Wo ist denn das Gör?«

      »Wenn du Marion meinst, die habe ich in den Kindergarten gebracht«, antwortete Franziska verärgert. Ihre ganze freudige Erwartung schlug augenblicklich in Abwehr um. Wie konnte Manfred es wagen, ihre geliebte Nichte Gör zu nennen?

      »Willst du dich nicht setzen? Ich kann dir auch etwas zu trinken oder zu essen bringen«, besann sie sich auf ihre guten Manieren.

      »Danke, nein. Schließlich bin ich nicht gekommen, um meine körperlichen Bedürfnisse bei dir zu stillen. Das kann ich zu Hause bedeutend besser, das kannst du mir glauben.«

      Peinlich berührt senkte Franziska den Kopf, daß ihre langen glänzenden Haare nach vorne fielen. Warum nur spielte Manfred immer auf ihre Armut an? Er wußte doch, daß Hertas Krankheit alle Ersparnisse der kleinen Familie aufgezehrt hatte. Sogar Schulden hatte Ulrich machen müssen, weil er dem Rat der Ärzte nicht mehr getraut, sondern lieber auf eigene Kosten neuartige Behandlungsmethoden versucht hatte.

      Aber es war alles umsonst gewesen, und so hatte nicht einmal die Lebensversicherung ausgereicht, um die Bankschulden zu tilgen. Sie selbst, Franziska, konnte nicht arbeiten, weil sie halbtags, während Marion im Kindergarten war, keine Stelle fand.

      An Denise von Schoeneckers Angebot dachte Franziska Bölz schon lange nicht mehr. Wie hätte sie Marions Aufenthalt in solch einem Kinderheim auch finanzieren sollen?

      »Sei nicht schon wieder sauer, Franzi. Ich habe es doch nicht so gemeint. Es ist nur – ich möchte dir einen Vorschlag machen und weiß nicht, wie ich es anpacken soll.« Seine Stimme klang versöhnlich.

      Plötzlich wollte Manfred Hirzel gar nicht mehr Schluß machen mit Franziska, zumindest noch nicht gleich. Sie war ein besonders schönes Mädchen, und ihre Qualitäten hatte sie auch. So hübsch und begehrenswert wie heute war sie ihm schon lange nicht mehr erschienen. Und ihre dunklen Augen sahen ihn so intensiv an, daß er sie am liebsten voller Leidenschaft in die Arme gerissen hätte.

      Aber noch konnte er sich bezwingen, denn er wußte, daß er in dem Moment verspielt hatte, wo er seinen Gefühlen nachgab. Er bemühte sich, die ganze Sache nüchtern zu betrachten. Immerhin gab es da noch das Kind, das ihm schon lange ein Dorn im Auge war.

      Erst wenn Marions Zukunft geklärt sein würde, konnte er seinen Gefühlen nachgeben, die er momentan sogar für Liebe hielt.

      »Du sagst ja gar nichts. Ich dachte, du wolltest etwas mit mir besprechen«, unterbrach Franziska seine Überlegungen, denn unter seinen forschenden Blicken fühlte sie sich etwas ungemütlich.

      »Du hast recht wie immer.« Er schlug seine Beine übereinander, daß Franziska seine blank geputzten Schuhe sehen konnte. Überhaupt war Manfred Hirzel ein Mann, der größten Wert auf teure, gepflegte Kleidung legte. Ein Mensch sollte nicht über seinen Reichtum reden müssen, sondern man sollte es ihm ansehen, das war seine Devise.

      Daran mußte die junge Frau plötzlich denken, als sie ihn so selbstherrlich in den fast ärmlichen Polstermöbeln ihres Bruders sitzen sah.

      Einen Augenblick stand sie noch unschlüssig vor ihm, aber als er weiterhin schwieg, setzte sie sich ihm gegenüber.

      »Es… es geht um Marion«, begann er etwas zögernd und brach dann ab, um die Wirkung seiner Worte abzuwarten.

      Aber Franziska reagierte überhaupt nicht. Sie wollte hören, was er noch zu sagen hatte. Sie fühlte, daß ihr eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Es konnte nichts Gutes sein, was er mit ihr besprechen wollte. Jetzt nicht mehr.

      »Und weiter?« forschte sie und lehnte sich in ihrem Sessel zurück, wobei sie sich um Gelassenheit be­mühte.

      »Es bringt nichts, wenn wir wie die Katze um den heißen Brei herumstreichen. Ich möchte dich heiraten, Franziska. In den letzten Minuten ist es mir ganz klar geworden, daß ich dich an meiner Seite haben möchte. Du bist ein liebes Mädchen, fleißig und anständig, dazu bildschön, wie du sicher weißt.«

      Franziska hielt den Atem an. Sollte sie sich so in Manfred getäuscht haben? Er wollte sie heiraten, wollte sie zu seiner Frau machen. Ein herrliches Leben erwartete sie an seiner Seite, ein Leben ohne Armut und Not. Sie würde so für Marion sorgen können, wie sie es sich immer gewünscht hatte, hübsche Kleider kaufen und niedliches Spielzeug, das sich das Kind schon immer sehnlichst gewünscht hatte.

      Und trotzdem. Franziska Bölz konnte sich nicht so richtig über den Antrag des Mannes freuen. Das Wort Liebe war nicht gefallen. Auch von Marion hatte er nicht gesprochen. Dachte er wirklich daran, ein für ihn fremdes Kind in sein Haus aufzunehmen? Dann hätte sie ihm große Abbitte leisten müssen, weil sie ihn die ganze Zeit so verkannt hatte.

      Als Manfred weitersprach, wurde ihr klar, daß sie sich doch nicht geirrt hatte. Manfred Hirzel war genauso, wie sie ihn eingeschätzt hatte: kalt, berechnend und ohne jedes Gefühl für andere Menschen.

      »Da wäre nur noch eine Sache zu klären, nämlich: Was wird aus Marion, wenn wir erst verheiratet sind und einen eigenen Haushalt haben.«

      Franziska erstarrte. »Marion ist keine Sache, sondern meine Nichte«, begehrte die Frau auf. Ihr Blick wurde hart, und ihre schönen Augen verdunkelten