Andreas Suchanek

Heliosphere 2265 - Band 1: Das dunkle Fragment


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Von dem Moment an, als sie ihren Marschbefehl erhalten hatte, hatte sie sich das gefragt. »Warum ich?«

      »Diese Ehre gebührt Admiral Sjöberg.«

      »Ich verstehe.« Die Enttäuschung brannte wie ein Fusionskern in ihrem Inneren. »Etwas anderes hätte mich gewundert.«

      »Ich vertraue seinem Urteil. Obwohl es mir bei den umgehenden Gerüchten – das gebe ich offen zu – durchaus schwerfällt. Bis vor wenigen Jahren waren Sie die Vorzeigeoffizierin schlechthin. Ich habe noch niemals jemanden gesehen, der einen so kometenhaften Aufstieg hingelegt hat und obendrein noch Kompetenz besitzt.«

      »Das nehme ich einfach als Kompliment.«

      Bisher hatte noch niemand nach der Wahrheit gefragt. Erst einmal hatte sie einem Offizier berichtet, was damals geschehen war. Dem Falschen.

      »Sir, ich denke nicht, dass die Vergangenheit eine Rolle spielen sollte. Sie ist Geschichte.«

      Cross zögerte. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sie sind meine rechte Hand an Bord. Ich muss Ihnen vertrauen können. Und auch wenn es keine Relevanz mehr besitzen sollte, muss ich wissen, ob die Gerüchte zutreffen.«

      »Maschinenraum an Captain Cross.« Die Stimme von Lieutenant Commander Lorencia drang aus dem Interkom.

      »Cross hier.«

      »Sir, bitte kommen Sie in den Maschinenraum. Wir haben hier unten ein Problem, das wir umgehend besprechen müssen.«

      »Ich bin auf dem Weg.«

      In einer fliegenden Bewegung stand Cross auf. »Sie haben die Kommandobrücke, Commander. Wir führen unser Gespräch ein anderes Mal fort.«

      Sie nickte und schob die Gedanken an das Gestern beiseite – wie sie es immer tat. »Aye, Sir.«

      *

      Das Schott rollte zur Seite und Jayden betrat den Maschinenraum.

      »Captain«, sagte Lieutenant Commander Lorencia. »Willkommen an Bord. Ich fürchte, wir haben ein ernstes Problem.«

      »Nur eines?« Er hatte längst gelernt, dass es fast immer die Technik war, die einem reibungslosen Ablauf im Weg stand. »Worum geht es?«

      Im Maschinenraum wuselte es. Überall beugten sich Ingenieure über Geräte, machten Eingaben an den Touch-Panels oder fuhren mit Handscannern über Maschinenblöcke.

      Lorencias Reich zog sich über zwei Decks, die durch drei Magnetschwebeplattformen miteinander verbunden waren. Hinzu kamen die technischen Labors. Die Antriebssektion schloss direkt an, abgeschottet durch vier parallele Personenschleusen.

      »Wir haben ein Problem mit der Feineinstellung des Helix-Konverters.« Sie deutete in Richtung der Antriebssektion. »Wie Sie wissen, dient er dazu, Materiepartikel aus der uns umgebenden dunklen Materie zu extrahieren und dem Fusionswandelgenerator zuzuführen. Dieser leitet das Ganze weiter …«

      Cross bemühte sich darum, seiner L.I. zu folgen. Er hatte die technischen Spezifikationen noch im Krankenbett studiert, aber er war nun mal kein Techniker.

      »… an den Hochenergiespeicherring. Die dort gespeicherte Energie wird dem Interlink-Antrieb zugeführt. Und der frisst eine Menge davon.«

      »Was genau ist unser Problem?«

      »Der Helix-Konverter verarbeitet die Materiepartikel nicht korrekt, weshalb nicht genug Energie für den Antrieb im Speicherring landet.«

      Jayden verzog das Gesicht. »Wir können also nicht auf Überlicht gehen?«

      »Doch, da der Speicherring aktuell noch ausreichend Energie enthält«, erklärte sie. »So weit ich informiert bin, liegt der letzte bekannte Aufenthaltsort der PROTECTOR 160 Lichtjahre entfernt. Sobald wir dort sind, haben wir nur noch genug Energie für einige Lichtjahre. Wir müssen den Konverter erst wieder korrekt kalibrieren. Das mag einfach klingen, kann aber mehrere Tage dauern.«

      »Es ist aber mit Bordmitteln möglich?« Allein der Gedanke, irgendwo zwischen den Sternen zu stranden, außerhalb der Phasenfunk-Relaiskette, löste eine ganze Reihe unschöner Fantasien aus.

      »So viel kann ich Ihnen versichern.«

      »Immerhin etwas. Also gut, halten Sie mich auf dem Laufenden. Wir werden das Zielgebiet wie geplant anfliegen. Sobald es möglich ist, kriegen Sie Ihre Auszeit für den Antrieb.«

      »Sehr gut.« Mit einem Nicken wandte sie sich wieder ab und ging ihrer Arbeit nach.

      Jayden lächelte. Lorencia war etwas ruppig, aber irgendwie hatte das etwas Erfrischendes. Er schenkte ihr einen letzten Blick, wandte sich um und verließ den Maschinenraum.

      *

      Jayden betrat die Brücke, nahm auf seinem Konturensessel Platz und transferierte die Kommandogewalt von Ishidas Konsole zurück auf seine.

      Er hatte die letzten Stunden in seinem Bereitschaftsraum verbracht – mit den Personalakten seiner Offiziere und einer leichten Mahlzeit. Doch nun war es endlich so weit. Die Spannung auf der Kommandobrücke war mit den Händen greifbar. Alle warteten gespannt auf den Moment, an dem der Interlink-Antrieb seinen Betrieb aufnehmen würde.

      Abgesehen von den Versuchen mit automatisierten Testsonden und einem experimentellen Leichten Kreuzer hatte bisher noch niemand einen Überlichtflug unter Umgehung des Phasenraums absolviert.

      »Wir erreichen in wenigen Minuten 0,45 LG«, meldete Lieutenant Task von der Navigationskonsole. »Der Vektor für den Interlink-Flug steht.«

      »Ich hoffe, es liegen keine Planeten im Weg«, bemerkte seine I.O. leise zu seiner Linken.

      Auf seinem Kommandodisplay verfolgte Jayden die eingehenden Klarmeldungen. Das System hatte den Vektor von Lieutenant Task akzeptiert. Da bereits kleinere Abweichungen weit am Ziel vorbeiführen konnten, wurde der Kurs zwar von der Astrogation berechnet, dann jedoch von der K.I. und dem Sekundäroffizier überprüft.

      Der Maschinenraum meldete eine stabile Energieversorgung durch den Speicherring; die Interlink-Komponenten waren bereit.

      »Ich aktiviere den Melnikow-Schild«, kommentierte Task.

      Jaydens Hände wurden schweißnass. Sollte auch nur eine der Maschinen versagen … er verwarf den Gedanken.

      Im Holotank war noch immer die dreidimensionale Sternenkarte sichtbar, auf der der aktuelle Standort der HYPERION und ihr prognostizierter Vektor angezeigt wurden. Der Start- und der Endpunkt des Interlink-Fluges waren mit einer blauen Linie verbunden.

      »Sir, wir erreichen 0,45 LG. Bitte um Erlaubnis, auf Interlink zu gehen.«

      Jayden schluckte. »Bringen Sie uns auf Überlicht, Lieutenant.«

      Mit einer flinken Handbewegung berührte Task ein Symbol auf seiner Konsole. Auf der Kommandobrücke war nichts zu bemerken, doch die Geschwindigkeitsanzeige schoss augenblicklich in die Höhe.

      Mit durchschnittlich 6200-facher Lichtgeschwindigkeit raste die HYPERION durch den Raum.

      »Es scheint alles zu funktionieren«, sagte Commander Ishida. »Damit schreiben wir Geschichte! Kein anderes uns bekanntes Volk besitzt ein Raumschiff, das in der Lage ist, im Normalraum auf Überlichtgeschwindigkeit zu gehen und das obendrein so hohe Beschleunigungswerte erreicht. Wir könnten in jedes Sonnensystem spazieren, ohne dass ein Phasenraumstörer uns davon abhält.«

      Jayden erinnerte sich noch an die Euphorie unter den Offizieren, als die ersten Nachrichten über den Interlink-Raumer die Runde gemacht hatten. Durch die Energie, die vom Speicherring in den Interlink-Konverter überführt wurde, konnten das Higgsfeld neutralisiert und die Masse des Raumers aufgehoben werden. Solange Energie zur Verfügung stand, konnte das Schiff an dem vorausberechneten Vektor entlang mit Überlichtgeschwindigkeit durchs All rasen. Eine Änderung des Kurses war nicht möglich.

      Dies hatte in der Anfangszeit vielerorts