richtete den Docht der Laterne an ihrem Bett, küsste ihre Augenbraue. Kühle Lippen. »Buenas noches, mi princesa.«
Du dummes Ding, sagte Laura zu sich selbst. Er hat dich fast schwach werden lassen! Genau wie jemand aus Mamas Liebesromanen.
Laura lag im Bett, konnte nicht einschlafen. Dolores kam auf Zehenspitzen herein und machte das Fenster einige Zentimeter weit auf. Sie legte ein Scheit ins Feuer, löschte die Laterne. Nachdem Dolores gegangen war, stand Laura auf und ging ans Fenster, öffnete es weit hinein in den Duft nach Nadelbäumen und gelbem Aromo. Es hatte aufgehört zu regnen. Am aufgeklarten Himmel standen blendend hell die Sterne und beleuchteten die Felder und den Hof. Laura sah, wie Dolores den kopfsteingepflasterten Hof überquerte und durch eine Tür neben der Küche trat. Minuten später überquerte Xavier den Hof und klopfte an die Tür. Dolores öffnete lächelnd und zog ihn hinein, an sich.
Laura hörte, wie Teresas Fenster sacht geschlossen wurde. Laura ging zurück ins Bett. Sie versuchte, wach zu bleiben, nachzudenken, schlief aber ein.
Die Tage sind heller, wenn die Nächte nicht elektrisch beleuchtet sind. Die Sonne fiel warm ins Zimmer, fing sich in einem Brieföffner mit Perlengriff, im Kaminsims aus Messing, im geschliffenen Marmeladenglas auf dem Frühstückstablett. Vor dem Fenster gleißten die drei weißen Gipfel der Las Malqueridas vor dem klarblauen Himmel.
»Sie reiten schon«, sagte Dolores. »Don Pepe sagt, du sollst dich beeilen, er möchte, dass du das Fohlen siehst. Ich habe dir diese Reitsachen hier gebracht.«
»Ich wollte einfach diese Hosen anziehen …«
»Aber die hier werden viel schöner aussehen.«
In Reitkleidung, das Haar hochgesteckt, sah Laura in den dunklen Spiegeln wie das Gemälde eines Menschen aus einem anderen Jahrhundert aus. Dolores nahm das Frühstückstablett, trat zurück, um Teresa ins Zimmer zu lassen. Laura suchte in ihren Gesichtern nach irgendeinem Ausdruck – der Rivalität, Verachtung, Verlegenheit –, aber beide waren teilnahmslos.
»Meine Bettwäsche riecht muffig«, sagte Teresa. »Bitte wechsle oder lüfte sie.«
»Ich werde es deinem Dienstmädchen ausrichten.« Dolores ging an ihr vorbei hinaus, den Kopf erhoben. Teresa zog einen Flunsch, warf sich auf die Chaiselongue am Fenster.
»Ich wünschte, Tía Isabel wäre hier. Sie würde mich zu einem Spaziergang am See mitnehmen. Ich hasse Pferde. Du nicht auch?«
»Nein. Ich mag Pferde. Aber ich bin noch nie mit Sportsattel geritten.«
Auf dem Hof rief Pepe nach ihnen. Er ritt eine Fuchsstute, führte ein elegantes schwarzes Pferd am Zügel. Laura rief zu Pepe hinunter, dass sie gleich da wäre. Aber Teresa hörte nicht auf zu reden. Sie wollte bald heiraten. Die Heirat würde Xavier von seinen unüberlegten politischen Einstellungen heilen, ihn sesshaft werden lassen. Wie lange waren sie schon verlobt? Seit ihrer Geburt, sagte Teresa. Ihre Väter hatten das entschieden. Glücklicherweise hatten sie sich ineinander verliebt.
»Lass uns gehen. Es ist ein perfekter Tag«, sagte Laura, aber Teresa zog ihren Mantel aus. »Nein. Ich bleibe hier und stricke. Ich bin krank. Sag Xavier, er soll herkommen und mir Gesellschaft leisten.«
»Wenn ich ihn sehe. Schau mal, er und Don Andrés sind weit weg, in der Nähe der Gebirgsausläufer.«
Pepe half ihr beim Aufsitzen der schönen Stute Electra. Zuerst schauten sie sich das Fohlen an, dann ritten sie auf der Koppel neben dem Stall. Pepe sah zu, wie sie über Balken setzte, kleine Hürden übersprang. Sie lachten beide laut auf, weil der Tag so prächtig war, die Pferde sprühten vor Leben. Xavier und Andrés kamen auf sie zugaloppiert.
»Lass uns zu ihnen reiten. Schaffst du den Zaun?« Aber ehe sie antworten konnte, waren sie schon am Zaun.
»Kein schlechter Sprung«, sagte Don Andrés.
»Nicht schlecht? Es war großartig. Mein erster Sprung!«
»Mach es noch mal.«
Bevor sie wegritt, richtete Laura Xavier Teresas Botschaft aus.
»Que regio. Es ist langweilig, mit ihr zu reiten. Lass uns zum Fluss reiten, Pepe!« Die Brüder galoppierten davon, einander zurufend. Laura machte den Sprung noch einmal, aber schlecht.
»Einmal noch«, sagte er und schlug mit der Peitsche auf Electras Hinterteil, das Pferd raste davon. Vor Schreck zog Laura die Zügel so heftig an, dass sich das Pferd aufbäumte und sie zu Boden fiel. Don Andrés stieg nicht ab, lachte ihr von oben zu.
»Ihr passt gut zueinander, ihr beiden.«
»Ich bin nicht scheu.«
»Sie auch nicht. Aber sie macht nichts, was sie nicht will.«
»Ich möchte springen. Ich werde es tun. Fass mein Pferd nicht an.«
»Ándale.«
Ein schöner, hoher Sprung. Dann rasten sie los, um Pepe und Xavier einzuholen, galoppierten durch Espenhaine, über Wiesen und zerfurchte Felder. Die vier ritten den ganzen Vormittag, sprachen nicht, außer einem gelegentlichen Aufschrei, um auf junge Lämmer aufmerksam zu machen, auf Waldlilien, Veilchen, Unmengen an Narzissen, die der Farm ihren Namen gaben. Rehe tranken aus denselben Bächen wie ihre Pferde. Sie überquerten den Fluss, der vom geschmolzenen Schnee hoch über die Ufer trat. Schnaubende Pferde, eisiges Wasser. Von den Gebirgsausläufern sahen sie weit ins Tal hinunter. So war es sicher, als die Spanier zum ersten Mal hierherkamen, dachte Laura. Sogar in den Rocky Mountains ihrer Kindheit hatte es immer Anzeichen von Zivilisation gegeben … fernes Klappern von Erzwagen, das Kreischen einer Säge, ein Flugzeug. Auf dem Weg nach Hause sahen sie tatsächlich einen Huaso, der Schafe hütete, ein anderer pflügte ein Feld, Ochsen vor den Pflug gespannt.
Das Speisezimmer, das am Abend vorher so dunkel gewesen war, war sonnendurchflutet, zeigte auf einen See und die weißen Anden hinaus. Die Reiter waren müde, sonnenverbrannt, hungrig. Xavier hatte all seine Affektiertheit abgelegt, Pepe und Laura ganz und gar schüchtern. Was für ein Vormittag! Teresa war ebenfalls heiter oder tat so. Oder vielleicht machte ihr das mit Dolores und Xavier nichts aus, fragte sich Laura. Nein, sie muss eifersüchtig sein. Sie konnte bloß nicht zeigen oder durchblicken lassen, dass sie es wusste. Es würde ihre Rolle der unschuldigen Verlobten zerstören. Liebte Xavier sie wirklich? Mit Sicherheit war er in Dolores verliebt. Das war eine Liebesgeschichte. Laura konnte es nicht erwarten, Quena und Conchi davon zu erzählen.
»Die Zeit hier ist wunderbar!«, sagte Laura.
»¡Yo también!«, sagten alle anderen. Sie aßen Forelle und Linsensuppe, gegrilltes Lamm, frischgebackenes Brot. Nach dem Mittagessen gingen Teresa und Xavier auf dem See rudern. Pepe legte sich zu einem Mittagsschlaf hin.
Es gab acht verschiedene Kutschen. Einen goldverzierten Wagen mit rosafarbenem Brokatpolster, Spiegeln, goldenen Blumentöpfen, aufwendig geschnitzten Trittbrettern für die Lakaien. Amerikanische Postkutschen, Landauer, Sulkys. Laura stieg in jede von ihnen, wählte einen schwarzen Zweisitzer-Tilbury aus glänzendem Mahagoni, schwarzem Leder.
Don Andrés spannte seinen Zuchthengst Lautaro vor die Kutsche. Sie fuhren am See und den gelben Aromos vorbei. Winkten Teresa und Xavier. Wirbelten dann weiter und weiter zum harten Klapp-Klapp von Lautaros Hufen. Es wurde dunkel. Don Andrés zündete die Laternen an.
»Möchtest du zum Tee zurückkehren?«
»Nein.«
»Gut.«
Sie überquerten eine Holzbrücke, die über den Fluss führte, wurden vom Hochwasser besprüht, fuhren im Dunkeln weiter, während er ihr von seiner Kindheit erzählte. Wie ihre, sagte er, denn er war einsam gewesen, ein Einzelkind, nie ein Kind. Seine Mutter war gestorben, als er geboren wurde; sein Vater war kalt und autoritär gewesen. Französische und englische Internate. Allein mit Büchern, wenn er zu Hause war. Er hatte in Harvard, Oxford, an der Sorbonne studiert, seine Frau in Paris kennengelernt. Nein, sie war Spanierin. Sie war vor Jahren gestorben.
Es war Zeit, nach Hause zu fahren.