uralten Zeiten lag am Fuße hoher Berge ein kleines Fürstentum. Es war weder reich noch arm, weder in aller Munde noch völlig vergessen, es lebten dort gewandte ebenso wie ungeschickte Menschen. Aber alle lebten frei und fröhlich, so dass keiner das Land verlassen wollte. Morgens wachte das Volk mit Liedern auf, am Abend ging man mit Märchen schlafen, alle waren sehr nett zueinander, und es gab keine traurigen oder unzufriedenen Gesichter.
Dieses traumhafte Land wurde von dem Fürsten Lubomir regiert. Er war kräftig und gut gebaut, hatte ein angenehmes Äußeres und war ein kluger Kopf. Seine Frau war die Fürstin Milana, und er betete sie an. Sie schielte zwar etwas auf einem Auge, und von Geburt an fehlte ihr der kleine Finger der rechten Hand. Aber Lubomir war Feuer und Flamme für seine Milana, er brauchte nur einen Blick auf ihr leicht schielendes Auge zu werfen, da durchzuckte es ihn so, dass er nicht ruhig bleiben konnte. Und wenn er ihre Hände zu küssen begann und zu der Stelle kam, wo der kleine Finger fehlte, da verging er beinahe vor Zärtlichkeit für seine Fürstin und war bereit, ihr auf der Stelle jeden Wunsch zu erfüllen. Dass Milana ihm geistig nicht gewachsen war, dass sie nicht gerade eine berauschende Schönheit war, von Handarbeit nicht viel verstand und auch sonst keine besonderen Talente hatte, störte ihn nicht im Geringsten – er liebte sie leidenschaftlich, und für ihn war sie die wunderbarste Frau auf Erden.
Aus dieser großen Liebe gingen nacheinander drei prächtige Söhne hervor. Doch als sie erwachsen wurden und langsam ins heiratsfähige Alter kamen, geschah ein furchtbares Unglück: Milana erkrankte plötzlich, sie fühlte sich sehr schwach, konnte aber nicht sagen, wo sie Schmerzen hatte. Fürst Lubomir rief alle bekannten Ärzte herbei und befahl ihnen, seine Fürstin zu heilen. Die klugen und gelehrten Ärzte versammelten sich um Milana‘s Bett und begannen ihr Fragen zu ihrer Krankheit zu stellen. Sie lag da, schaute sie an und sprach leise:
„Es ist mir so schlecht! In meiner Brust brennt ein Feuer, meine Beine sind wie gelähmt, die Augen wollen nichts mehr sehen. Ich glaube, ich werde den Morgen nicht mehr erleben.“
Nach der Untersuchung saßen die Ärzte abends am gedeckten Tisch, beratschlagten und nickten einander mit ihren klugen Köpfen gewichtig zu. Währenddessen starb Milana ganz still. Sie klagte nicht, sie weinte nicht, sie schloss einfach die Augen und entschlief, und niemand konnte sagen, woran sie gestorben war. Fürst Lubomir brüllte voller Zorn und Gram die Ärzte an, er machte sie für den Tod seiner geliebten Frau verantwortlich und warf ihnen vor, dass sie ihr nicht hatten helfen können und dass er nun Witwer war.
„An deinem Unglück tragen wir keine Schuld“, antworteten die gelehrten Ärzte. „Wir kennen die Ursache ihres Todes nicht. Doch wir nehmen an, dass sie starb, weil sich bei ihr eine Herzschwäche entwickelt hatte. Denn sie liebte dich, meinte aber, sie sei deiner nicht würdig. Möglicherweise bekümmerte es sie, dass sie schielte und dass ihr ein kleiner Finger fehlte. Da hat sie sich wohl gefragt, womit sie deine tiefe Liebe verdient hat. Darüber ist ihr Herz wohl schwach geworden.“
Der Fürst entrüstete sich über solche Reden. „Warum lügt ihr? Sie hat niemals irgendetwas in dieser Richtung angedeutet!“
„Nein“, entgegneten die Ärzte, „denn sie hatte Angst vor dir wegen deines feurigen Gemüts und deiner großen Liebe zu ihr, das hat sie uns auf dem Sterbebett gesagt. Gib dir keine Schuld, Fürst, das ist wohl dein Schicksal. Gib auch uns keine Schuld; niemand hätte ihr helfen können, denn sie hatte wohl selbst beschlossen, dass sie nicht mehr leben wollte.“
Ohne Milana wurde es im Schloss still und leer. Lubomir streifte durch die Säle, doch in seiner Trauer sah und hörte er nichts und niemanden. Dieser Zustand seelischer Leere dauerte eine lange Weile an. Endlich jedoch kam der Fürst wieder zur Besinnung, und eines Tages erinnerte er sich auch daran, dass seine Frau und er beschlossen hatten, nach passenden Frauen für ihre Söhne Ausschau zu halten. Nun wollte er den letzten Wunsch seiner Frau erfüllen. Er rief seine drei Söhne herbei und sprach zu ihnen:
„Hört zu, meine lieben Söhne. Ich bin immer noch in Trauer wegen des Todes meiner geliebten Frau und eurer Mutter. Aber das Leben geht weiter, vieles ist liegengeblieben und manche Vorhaben sollten allmählich verwirklicht werden. Für euch ist die Zeit gekommen, auf Brautschau zu gehen. Ich gebe euch ein Jahr Zeit: Geht in die Welt hinaus und sucht euch jeder eine Braut. Wenn ihr sie nach Hause bringt, halten wir Hochzeit, und ich werde euch Häuser bauen, in denen ihr mit euren Frauen in Liebe und Eintracht leben könnt, so wie ich mit eurer Mutter gelebt habe. Wenn ihr noch Fragen habt, stellt sie jetzt. Morgen früh werdet ihr euch auf den Weg machen.“
„Wohin sollen wir gehen, Vater?“, fragte Mirko, der älteste Sohn. „Sieben verschiedene Wege führen aus unserem Fürstentum hinaus, welchen sollen wir nehmen?“
„Nun“, sagte der Fürst, „du kannst dir selbst einen Weg aussuchen.“
„Wie viel Geld gibst du uns mit auf den Weg?“, fragte Marko, der zweite Sohn.
„So viel ihr in euren Rucksäcken tragen könnt.“
„Und wenn wir innerhalb eines Jahres niemanden finden“, fragte Merko, der Jüngste, „dürfen wir dann trotzdem nach Hause zurückkommen?“
„Mein Gott, seid ihr unverständig!“, rief der Vater. „Entweder ihr seid noch nicht erwachsen oder ihr könnt nicht denken. Ihr seid doch meine Kinder, und dies hier ist euer Zuhause. Hierhin könnt ihr immer zurückkehren. In einem Jahr erwarte ich euch zurück. Dann werden wir sehen, was ihr bis dahin erreicht habt.“
Es war kein leichtes Jahr für den Fürsten, nachdem er zuerst seine Frau verloren und nun auch noch seine Söhne aus dem Haus geschickt hatte. Um sich zu abzulenken und zu beschäftigen, stürzte er sich in die Arbeit, und alles ging ihm gut von der Hand. Die Nachbarn kamen wieder häufiger zu Besuch und sahen erstaunt, wie das Fürstentum immer reicher und reicher wurde.
Schließlich war die gesetzte Frist verstrichen. Die Söhne kehrten aus der Ferne heim, alle wie ein Mann hungrig, in verschlissener Kleidung und mit alten Bastschuhen an den Füßen anstelle ihrer guten Stiefel.
„Nun sehen wir uns wieder, meine lieben Söhne. Ich bin froh, dass ihr alle heil und gesund zurückgekommen seid. Aber wo sind eure Verlobten? Ich sehe hier keine einzige Frau.“
„Vater“, antwortete Mirko als Erster, „ich hatte eine, die ich als Braut mit nach Hause nehmen wollte. Doch dann begann ich mit ihr zu sprechen und stellte fest, dass sie nicht besonders klug ist, sie wusste nicht einmal, wo unser Fürstentum liegt. Eine dumme Frau will ich aber nicht, da ich selbst klug bin. Ich werde weiter suchen.“
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