U. S. Levin

Frauen sind die besseren Männer


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wir morgen, um drei Uhr nachmittags!“

      „Und wo treffen wir uns?“

      „Sie kommen ins Funkhaus, in mein Büro!“

      „Ich werde pünktlich sein.“

      „Das will ich hoffen!“

      Mir mussten die Sicherungen durchgeknallt sein. Erst nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, wurde mir klar, dass das eine Falle war. Eine Einladung zum Intendanten einer Fernsehanstalt nach einem saftigen Filmverriss konnte doch nichts Gutes bedeuten. Ich rief Martina Stiebstein an und beichtete ihr das Unheil, das sich drohend über mir zusammenbraute.

      „Ich hoffe, du gehst nicht hin.“

      „Morgen Nachmittag drei Uhr.“

      „Dann zieh dich warm an! Oder besser noch, regle gleich deinen testamentarischen Nachlass!“

      Ich wollte weder das eine noch das andere. Viel mehr erwog ich, diesen Termin einfach platzen zu lassen. Aber was sollte ich antworten, wenn Martina Stiebstein mich fragen würde, wie es gelaufen sei. Feigheit vorm Feind? Das wollte ich mir unter keinen Umständen nachsagen lassen, dann würde ich schon lieber den heldenhaften Tod durch eine Intendantenkugel sterben. Natürlich fuhr ich nicht ins Funkhaus, ohne mich vorher warm angezogen und mein Testament aufgesetzt zu haben. Man kann ja nie wissen.

      Als die Sekretärin hinter mir die Tür schloss, sprang der Intendant aus seinem Ledersessel und stürzte sich auf mich. Im ersten Moment glaubte ich, nicht durch eine Pistolenkugel ins Jenseits befördert zu werden, sondern durch die bloßen Hände dieses Fleischklopses. Dieser Gedanke schnürte mir die Kehle ab. Aber der Intendant hatte plötzlich ein strahlendes Lächeln aufgesetzt und führte, wie ich im zweiten Moment feststellte, keine mörderischen Absichten im Schilde.

      „Setzen Sie sich!“, lud er mich zuvorkommend ein, nachdem er mich dreimal väterlich an seine Brust gedrückt hatte. Er führte mich zu seinem Schreibtisch und drückte mich sanft in einen Sessel.

       Wie gefiel Ihnen dieser Liebesfilm?“ „Es ging so, aber mein Nachbar wurde rollig.“

      „Was möchten Sie trinken?“

      „Ich …“, würgte ich und konnte kein weiteres Wort herausbringen.

      „Einen Kognak vielleicht?“, bot er mir an, schoss zur Anrichte rüber und holte ein edles französisches Tröpfchen.

      Wir prosteten uns zu.

      „Auf Ihren genialen Artikel!“, salutierte er und stürzte den Kognak in einem Zug hinunter.

      „Ich habe mich über Ihre Kritik sehr gefreut“, erklärte er, als er sein Glas abgestellt hatte. „Fred, hab ich zu mir gesagt, der Mann versteht was vom Film. Ich darf Ihnen verraten, dass wir beide dieselbe Meinung vertreten. Auch ich finde, dass die Handlung ziemlich geradlinig ist, wodurch keine echte Spannung aufkommen will, und außerdem sind die Dialoge überhaupt nicht umgangssprachlich, sondern wirken steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen. Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Ich danke Ihnen!“

      Ich war von der Entwicklung der Dinge absolut überrascht.

      „Wissen Sie, alle Filme dieses Regisseurs kotzen mich an. Sie sind durch die Bank von einem geradezu widerlichen Dilettantismus durchsetzt. Aber ich muss sie senden, ob ich will oder nicht. Vertrag bleibt Vertrag!“

      „Da kann ich Ihnen nicht widersprechen“, antwortete ich, nicht nur, um etwas zu sagen, sondern auch, um ihm zu zeigen, wie sehr mich seine Worte rührten.

      „Deshalb bin ich jedem Kritiker“, sprach er weiter, „der diesen hirnrissigen Schwachsinn erkennt und gebührend verreißt, zu ewigem Dank verpflichtet. Eine Ablehnung seiner Filme kann aber leider erst dann erfolgen, wenn die Intendanten der anderen dritten Programme ihr Einverständnis geben. Und das ist schwierig. Für diese Kunstbanausen zählt doch nur die Quote und kein filmisches Kunstwerk“, schniefte er erregt.

      „Sie sprechen mir aus dem Herzen“, pflichtete ich ihm bei. „Wenn Sie es wünschen, werde ich mich um den Verriss seines nächsten Tatorts wieder persönlich kümmern.“

      „Sie würden mir damit einen großen Gefallen erweisen. Mich hat allerdings stutzig gemacht, woher Sie Ihr fundiertes Wissen um diesen Film haben, wo er doch kurzfristig wegen einer Sondersendung um eine Woche verschoben wurde.“

      Und da soll mal noch einer behaupten, Filmkritiker hätten ein sorgenfreies Leben. Aber wenigstens wusste ich jetzt, dass die Handlung des Tatorts ziemlich geradlinig sein soll, wodurch keine echte Spannung aufkommen wird, und außerdem sind die Dialoge alles andere als umgangssprachlich, sondern wirken steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen. Ich werde mir jedenfalls nächsten Sonntag diesen miserablen Krimi nicht antun. Vielleicht schreibe ich in dieser Zeit eine Filmkritik. Es gibt so viele Filme, die man noch nicht gesehen hat.

      Lügen haben kurze Räder

      Anfang der Neunzigerjahre stürmten viele meiner ostdeutschen Landsleute die frisch eingemeindeten Westgebiete, wo es flächendeckend Gebrauchtwagenhändler gab. Auch mein Nachbar Felix Stürzler zählte zu jenen vor Ungeduld platzenden Zeitgenossen. Er hatte seine Frau Erika und seinen Sohn Peter in den zwölf Jahre alten Wartburg gezerrt und kurz vor seiner Abfahrt nach Bayern verkündet: „Jetzt wird endlich ein ordentlicher Wagen gekauft. Dreißig Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet.“

      Stürzlers kamen in einem fast ebenso alten, an manchen Stellen durchgerosteten Ascona wieder. Ich musste mir das Lachen verkneifen und tat Felix gegenüber, als würde ich vor Neid fast platzen. Man weiß ja schließlich, was man seinem Nachbarn schuldig ist.

      Seit diesem Tag trug er seine Nasenspitze gut zwei Zentimeter höher, als es die menschliche Anatomie vorschreibt. Besonders abfällig äußerte er sich, wenn er mich aus meinem Trabi steigen sah.

      „Wie lange willst du denn noch diese stinkende Plastikkiste fahren?“

      „Schwer zu sagen“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Auf alle Fälle, bis wir das Geld für einen neuen zusammen haben.“

      „Also nicht mehr in diesem Jahrtausend“, stichelte ­Felix.

      Trotz der robusten Bauweise des Trabants, den besonders Sparsamkeit und Langlebigkeit auszeichnen, gab eines Tages mein kleines, stets von mir liebevoll gehätscheltes Trabilein seinen Geist auf. Erst hustete er wie ein an chronischer Bronchitis erkrankter Raucher im Endstadium, dann spuckte er wie ein jugendlicher Rotzlöffel und schließlich ging er in den Beamtenstatus über – er rührte sich überhaupt nicht mehr.

      Verzweifelt und total hilflos stand ich neben dem Meister, der den Motorraum auf Herz und Getriebe überprüfte. Dann klemmte er sich hinters Steuer, ließ den geplagten Zweitaktmotor schmerzhaft aufheulen, würgte den ersten Gang ins knirschende Getriebe und galoppierte eine Runde um den Hof. So ungefähr stellte ich mir immer Rodeo vor.

      „Getriebeschaden!“, stöhnte der Meister, nachdem er sich aus dem Wageninneren geschält hatte. Seine Miene verriet keinerlei Regung. So eine Gefühlskälte war mir bisher noch nie begegnet.

      „Schaffen Sie das noch diese Woche?“, fragte ich zögerlich.

      „Ha, diese Woche! Sie denken wohl, wir sind nur für Sie da! Unter drei Wochen läuft nichts, höchstens Sie selbst!“

      Drei Wochen ohne mein geliebtes Gefährt. Unfassbar! Während solcher entbehrungsreichen Zeiten gleiche ich einem unbeweglichen Psychopathen. Attribute, die auf die furchtbare Silbe -los enden, treffen plötzlich auf mich zu. Lustlos, fantasielos, ziellos zählen da wohl noch zu den harmlosesten.

      „Ich brauche mein Auto aber beruflich“, versuchte ich einen letzten Umstimmversuch. Zwecklos!

      „Ach, Sie denken wohl, andere brauchen das nicht!“

      „Und wenn ich Ihnen