eine lange Zeit dauern, bis sie ihr Ziel erreichte. In der Zwischenzeit würde sie sie ermutigen und daran erinnern müssen, ihre Gedanken mitzuteilen.
Nur vielleicht nicht hinsichtlich Mathematik. Shelley konnte ihr die alleinige Beschäftigung damit anvertrauen.
Der Englischprofessor lebte am anderen Ende der Stadt, in einem der eleganteren Vororte, weißgestrichene Häuser mit großzügigen Rasenflächen und passenden weißen Zäunen. Shelley hielt vor dem Haus an, stellte den Motor ab und wartete, dass Zoe es bemerkte.
Sie sah nicht einmal auf.
Es gab Zeiten, in denen Shelley das Gefühl hatte, sich in Zoes Gegenwart vorsichtig verhalten – sie mit der größten Behutsamkeit behandeln zu müssen. Mit Samthandschuhen. Was irgendwie ironisch war, wenn man bedachte, dass Shelley in ihrer Zeit zu Hause die ganze Zeit elterliche Pflichten erfüllte. Es gab mehr als einige Gelegenheiten, bei denen sie das Gefühl hatte, das Gleiche auf der Arbeit zu machen, auch wenn Zoe die Ältere von ihnen beiden war.
„Wir sind da“, sagte Shelley sanft, wollte Zoe nicht mitten aus ihren Berechnungen herausreißen.
Zoes Stift hielt mitten in der Bewegung inne und sie blickte endlich auf. Sie schien überrascht, irgendwo anders zu sein als auf dem Parkplatz der Gerichtsmedizin. „Ich muss nur noch …“
Shelley zog eine Augenbraue hoch. „Z, dauert es weniger als zwei Minuten? Denn wenn nicht, sollten wir losgehen und mit der Frau des Professors sprechen und dann zur Gleichung zurückkehren.“
Zoe seufzte hörbar, schien aber zuzustimmen. Sie packte ihr Notizbuch in eine Tasche und stieg aus dem Auto, was Shelley als Signal nahm, das Gleiche zu tun. Sie revidierte ihre frühere Überlegung: der Umgang mit Zoe war nicht genau wie der Umgang mit einem Kind. Eher manchmal wie der mit einem mürrischen Teenager.
Mrs. Henderson schien sie, oder zumindest irgendjemanden, erwartet zu haben. Sie war ordentlich in ein dunkles Kleid mit Blumenmuster gekleidet, die gedämpften Farben vermittelten ein wenig von dem, was sie durchlitt. Ihre Augen waren rotgeädert, aber offen und scharfsinnig, machten sich nur Augenblicke nach ihrem Zusammentreffen auf der Türschwelle einen Eindruck von Shelley und Zoe.
„Ich bin Special Agent Shelley Rose und das ist Special Agent Zoe Prime. Wir würden gerne hereinkommen und über Ihren Ehemann sprechen, Mrs. Henderson.“
Die Frau nickte, bedeutete ihnen, hineinzukommen, trat zurück, damit sie die Tür schließen konnte, nachdem sie eingetreten waren. Das Haus war in einem dezenten klassischen Stil möbliert, dunkles Holz und bequeme Kissen und Überwürfe. Mrs. Henderson führte sie in ein Wohnzimmer, wo Shelley dankbar für sich und Zoe das Angebot eines Kaffees annahm.
„Sie scheint es sehr gut zu verkraften“, murmelte Shelley, betrachtete ihre neue Umgebung. Es war ordentlich, jeder einzelne Gegenstand an seinem Platz. Kein Staub auf dem niedrigen Couchtisch mit der Marmorplatte oder dem dunklen Sideboard voller Erinnerungsstücke und Nippes. Frisches Obst lag in einer polierten Schale in der Mitte des Tisches. Es wirkte eher wie eine Fernsehkulisse als ein tatsächlich bewohntes Zuhause.
Vielleicht verarbeitete Mrs. Henderson ihre Trauer, indem sie das Haus putzte und aufräumte, bereit für Besucher. Es wäre nicht völlig ungewöhnlich. Shelley hatte es zuvor erlebt. Es war mit Verleugnung verbunden – der Gedanke, dass, wenn sie nur sicherstellte, dass alles perfekt war, ihr Ehemann vielleicht wieder in der Tür stand.
Die Beschäftigung hielt zudem die Trauer auf Armeslänge.
Eine gerahmte Fotografie stand auf dem Kaminsims: der Professor und seine Frau, in glücklicheren Zeiten. Shelley betrachtete das Bild und versuchte, nicht die schreckliche Schweinerei vor sich zu sehen, in die der Kopf des Professors verwandelt worden war.
„Siebzehn Statuetten“, murmelte Zoe. Shelley folgte ihrem Blick zum Sideboard und wusste, dass Zoe tat, was sie immer tat: nach Zahlen suchen. In diesem Fall hatten sie allerdings eine neue Bedeutung angenommen. Sie suchte nach einem Hinweis, der zu einem Durchbruch bei den Gleichungen führen würde.
Die Hausherrin kehrte schon nach einigen Minuten zurück, trug ein Tablett mit drei Tassen heißen Kaffees. Das zarte Porzellan von Mrs. Hendersons Tasse stand im Gegensatz zu der einfachen Sachlichkeit der anderen beiden. Ein Haushalt, der zwei Persönlichkeiten verriet. Vielleicht eine Aussage, dass die Besucher, die sie heute empfing, nicht ihr bestes Porzellan wert waren.
„Das muss ein großer Schock für Sie gewesen sein“, sagte Shelley, hob ihre Tasse und pustete sanft über die Oberfläche des Kaffees, bevor sie einen Schluck nahm. Fragen oder Aussagen wie diese, offen und einladend, ermutigten die Leute oft, mehr Informationen preiszugeben. Die Art Information, zu der man vielleicht von selbst gar keine Fragen gestellt hätte.
„Oh ja“, Mrs. Henderson seufzte tief, lehnte sich in dem Sessel zurück, der anscheinend ihr üblicher Sitzplatz war. „Ich kann es immer noch nicht ganz glauben. Mein Ralph, einfach verstorben. Und auch noch so gewaltsam. Ich kann es einfach nicht begreifen.“
„Können Sie sich einen Grund für diese extreme Gewalt vorstellen, Mrs. Henderson?“
Die ältere Frau schloss kurz die Augen, eine Hand flatterte zu ihrer Stirn hinauf. Sie war immer noch mit einem einfachen goldenen Ehering geschmückt, neben einem aufwendigeren Schmuckstück mit kleinen Diamanten. Vielleicht ein Verlobungsring, jahrzehntealt. „Zuerst dachte ich, sie wollten etwas stehlen. Sein Auto oder seine Geldbörse. Aber die Polizei sagte, dass nichts fehlt.“
„Die Psychologen teilten uns mit, dass es am Tatort Hinweise auf große Wut gibt. Diese Art Wut, nun, normalerweise stammt sie daher, dass jemand jemanden persönlich kennt. Gibt es da jemanden, der Ihnen einfällt? Jemanden, der auf Ihren Ehemann wütend ist, genug, um ihm Böses zu wünschen?“
Ein besticktes Taschentuch wurde hochgehoben, um ihre Augen abzutupfen, die beringte Hand hob sich, um eine Strähne ihres mausbraunen Haares zurückzustreichen. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine, Ralph war – er war Ralph. Er würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Er kam mit seinen Kollegen zurecht, wurde von seinen Studenten gemocht. Wir haben einige Freunde in der Nachbarschaft, die ab und an zum Abendessen vorbeikamen. Er hatte nicht einmal mit Fremden gestritten. Er hatte nichts Streitlustiges . Jeder liebte ihn!“
„Gut, also keine bekannten Feinde“, sagte Shelley, nickte ermutigend, obwohl die Antwort sie frustrierte. Es war immer besser, wenn man wusste, wohin man sich als Nächstes wenden konnte. „Während seiner ganzen Karriere, meinen Sie? Er hatte nie irgendwelche Probleme?“
Mrs. Henderson schniefte, zuckte mit den Schultern. „Nun, es gab immer kleine Dinge“, sagte sie, obwohl ihr Ton zeigte, dass sie der Meinung war, dass es unmöglich von Bedeutung sein konnte. „Er war ein Professor. Es gab Studenten, die mit ihrer Benotung nicht einverstanden waren. Oder jene, die rausflogen, weil sie die Vorlesungen nicht besucht oder ihre Arbeiten zu spät eingereicht hatten. Sie denken alle, sie würden eine Sonderbehandlung verdienen. Aber das ist normal. Einfach Teil des Jobs. Niemand würde jemanden wegen einer Benotung umbringen, oder?“
Shelley konnte erkennen, dass Mrs. Henderson diese Frage ernst meinte, nach Beruhigung suchte. Leider wusste Shelley, dass sie ihr diese nicht geben konnte. Die Leute töteten aus allen möglichen Gründen. Es stand nicht immer Vernunft dahinter. Manchmal war es einfach der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, zusätzlich zu allem anderen.
Vielleicht war es ein Gedanke, dessen Verfolgung sich lohnte. Reiches Kind mit Anspruchsdenken, das im Leben immer alles erhält, versagt nun zum ersten Mal? Bekommt einen durch Gewöhnung an Privilegien hervorgerufenen Wutanfall? Oder ein Student, der am Ende war, nichts mehr hatte, wofür es sich zu leben lohnte – Eltern kürzlich verstorben, Freundin hat mit ihm Schluss gemacht, hat seinen Teilzeitjob verloren und nun noch dazu eine schlechte Note? Man könnte es zumindest in Betracht ziehen.
„Hoffen wir, dass es nicht so ist“, bot sie mit einem leichten Lächeln, das ihr Mitgefühl vermitteln sollte, an. „Können Sie sich an etwas Ungewöhnliches erinnern, das in den letzten Tagen oder Wochen – sogar Monaten – geschehen ist?“
Mrs. Henderson schüttelte ihren Kopf, betupfte erneut ihre Augen. „Ich habe immer wieder darüber nachgedacht.