sähe. Colley sah jung aus - kaum alt genug, um sich zu rasieren. Das konnte natürlich nicht sein. Der Mann war in der Delta Force. Er war ein trainierter Killer. Er war ein vollausgebildeter Profi. Doch sein Hals sah etwa so dick wie Lukes Unterarm aus. Er schien in seiner Kleidung zu schwimmen.
„Untersuch ihn”, sagte Luke, doch er wusste schon, was Colley sagen würde. Er fiel zurück in den Schneidersitz und saß so für einen langen Moment. Während der Ranger Schule hatten sie einen Tag frei. Eine Gruppe von Jungs organisierte an diesem Tag ein Footballspiel. Es war ein heißer, trockener Tag und man spielte Hemden gegen Haut. Luke spielte diesem dicken, großen, unflätigen Proleten mit dem fehlenden Vorderzahn einen Superpass nach dem anderen zu.
„Wayne.”
„Er ist weg”, sagte Colley.
Einfach so war Wayne plötzlich tot. Lukes Blutsbruder. Der Pate von Lukes ungeborenem Sohn. Ein langer, hilfloser Atemzug entwich Luke.
Luke wusste, dass das im Krieg so war. In einem Moment ist dein Freund - deine Schwester, oder deine Frau, oder dein Kind - am Leben. Im nächsten sind sie weg. Man konnte die Uhr nicht zurückdrehen, nicht mal eine Sekunde.
Wayne war tot. Sie waren weit von zu Hause weg. Und diese Nacht begann gerade.
„Stone!” sagte Martinez.
Luke stand wieder auf. Martinez war in der Nähe des Haufen Leichen, die einst das Zielobjekt beschützt hatten. Alle erschienen tot, alle außer einem, der Mann, der ganz hinten gestanden war. Er war groß, noch recht jung, mit einem großen schwarzen Bart, der mit ein wenig Grau gepfeffert war. Er lag zwischen den Gefallenen - von Kugeln zerlöchert, aber noch lebendig.
Martinez zielte mit der Pistole auf ihn herab.
„Wie heißt der Typ? Der, nach dem wir suchen?”
„Abu Mustafa Faraj al-Jihadi?” sagte Luke. Es war nicht wirklich eine Frage. Wenn es überhaupt etwas war, dann nur eine Reihe von Silben.
Der Mann nickte. Er sagte nichts. Er sah aus, als hätte er Schmerzen.
Luke nahm die kleine digitale Kamera aus seiner Weste heraus. Die Kamera war mit Hartgummi ummantelt. Man konnte sie auf den Boden werfen und sie zerbrach dabei nicht. Er spielte eine Sekunde mit ihr herum und nahm dann einige Schnappschüsse von dem Mann. Er prüfte die Bilder, bevor er die Kamera ausschaltete. Sie waren in Ordnung - nicht gerade professionelle Qualität, doch Luke arbeitete nicht für den National Geographic. Er brauchte nur Beweise. Er blickte auf den Terroristenanführer herab.
„Wir haben dich”, sagte Luke. „Danke, dass du mitgespielt hast.”
BUMM!
Martinez schoss einmal und der Kopf des Mannes zerplatzte.
„Mission erfüllt”, sagte Martinez. Er schüttelte seinen Kopf und ging weg.
Lukes Funkgerät knisterte.
„Stone? Wo bist du?”
„Murphy. Was ist der Status?”
Murphys Stimme erklang abgehackt. „Ein Blutbad hier draußen. Ich habe drei Mann verloren. Aber wir haben eine ihrer großen Waffen beschlagnahmt und eine Öffnung freigeschlagen. Wenn wir hier raus wollen, dann müssen wir JETZT SOFORT los.”
„Wir kommen in einer Minute raus.”
„Ich würde nicht so lange warten”, sagte Murphy. „Nicht, wenn ihr leben wollt.”
Sechs Mann rannten durch das Dorf.
Nach der Schlacht war der Ort wie eine Geisterstadt. Luke erwartete jederzeit, dass Schüsse oder Raketen aus den winzigen Häusern kamen. Doch nichts geschah. Es schien, als gäbe es nicht einmal mehr Leute hier.
Aus der Richtung, aus der sie kamen, stieg Rauch auf. Die Mauern des Lagers waren zerstört. Der Helikopter brannte weiter, die Flammen knisterten in der gespenstischen Stille.
Luke konnte das heftige Atmen der anderen Männer hören, die mit Ausrüstung und Waffen bergauf rannten. Binnen zehn Minuten hatten sie es zu dem alten Stützpunkt auf dem steinigen Hügel außerhalb des Dorfes geschafft.
Zu Lukes Überraschung war es dort OK. Natürlich waren hier keine Vorräte gelagert - doch die Sandsäcke waren noch an ihrem Platz und der Standpunkt erlaubte ihnen einen vorteilhaften Ausblick über das Umfeld. Luke konnte die Lichter in den Häusern und den brennenden Helikopter sehen.
„Martinez, versuche, Bagram über das Funkgerät zu erreichen. Wir müssen hier raus. Das Versteckspiel ist vorbei. Sag ihnen, dass sie überwältigende Feuerkraft schicken sollen. Wir müssen zurück in das Lager und unsere Männer dort herausbringen.”
Martinez nickte. „Ich hab’s dir gesagt, Mann. Irgendwann geht jedem das Glück aus.”
„Sag jetzt nichts, Martinez. Bring uns einfach raus hier, OK?”
„In Ordnung, Stone.”
Es war eine dunkle Nacht. Der Sandsturm war vorbei. Sie hatten immer noch Waffen. Entlang des Schutzwalles aus Sandsäcken luden seine Männer ihre Waffen und überprüften ihre Ausrüstung.
Es war nicht außer Frage, dass…
„Murphy, schieß eine Leuchtrakete ab”, sagte er. „Ich will mal sehen, mit wem wir es zu tun haben.”
„Damit wir unsere Position verraten?” fragte Murphy.
„Ich glaube, die wissen womöglich, wo wir sind”, antwortete Luke.
Murphy zuckte mit den Schultern und schoss eine in die Nacht hinauf.
Die Leuchtrakete bewegte sich langsam durch den Himmel und warf einen gespenstischen Schatten auf das felsige Terrain unter ihnen. Der Boden schien fast zu kochen. Luke starrte und starrte, versuchte zu verstehen, was er da sah. Dort unten gab es so viel Aktivität, es war wie eine Ameisenfarm oder ein Rattenschwarm.
Es waren Männer. Hunderte von Männern bewegten sich, ihre Ausstattung und ihre Waffen methodisch in Position.
„Ich schätze, du hast recht”, sagte Murphy. „Die wissen, dass wir hier sind.”
Luke blickte Martinez an.
„Martinez, wie sieht es mit der Abholung aus?”
Martinez schüttelte seinen Kopf. „Die sagen, dass sei unmöglich. Nichts außer fürchterlichen Sandstürmen zwischen dem Stützpunkt und hier. Sichtbarkeit gleich Null. Die kriegen die Helikopter nicht mal in die Luft. Sie sagen, wir sollen bis Morgen durchhalten. Der Wind soll nach Sonnenaufgang nachlassen.”
Luke starrte ihn an. „Da müssen die schon mehr leisten.”
Martinez zuckte mit den Schultern. „Können sie nicht. Wenn die Helikopter nicht fliegen, dann fliegen sie nicht. Ich wünschte, diese Stürme hätten begonnen, bevor wir loszogen.”
Luke starrte hinaus auf die brodelnde Menge von Taliban auf den Hügeln unter ihnen. Er wandte sich wieder an Martinez.
Martinez öffnete seinen Mund als ob er reden wollte.
Luke zeigte auf ihn. „Sag es nicht. Bereite dich einfach auf den Kampf vor.”
„Ich bin immer kampfbereit”, antwortete Martinez.
Das Gefecht begann Momente später.
Martinez schrie.
„Die rücken von allen Seiten an!”
Seine Augen waren weit aufgerissen. Seine Waffen verschwunden. Er hatte eine AK-47 von den Taliban genommen und bajonettierte jeden, der über die Mauer kam. Luke schaute ihm voll Horror zu. Martinez war eine Insel, ein kleines Boot in einem Meer von Taliban Kämpfern.
Und er ging unter. Dann war er weg, unter einem Haufen verschwunden.
Sie versuchten nur, bis zum Morgen zu überleben, doch die Sonne weigerte sich, aufzugehen. Die Munition war ihnen ausgegangen. Es war kalt und Luke trug kein Hemd. Er hatte es sich in der Hitze des Gefechts vom Leib gerissen.
Taliban Kämpfer mit Bärten und Turbanen