Manfred Baumann

Jedermannfluch


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Nachricht von mir als von einem der Medienleute.«

      Sie sagte ihm zu, dass er sie in zwei Stunden in ihrem Büro antreffen könnte, falls er sie noch brauchte. »Danke, Frau Daimond. Wie gesagt, ich kann Ihnen noch keine Details zum bedauerlichen Vorfall erörtern. Aber es könnte für meine Mitarbeiter und mich bald sehr wichtig sein, möglichst schnell ein klares Bild über die letzten Stunden von Isolde Laudess zu erstellen. Was passierte, nachdem sie ihren Auftritt bei der gestrigen ›Jedermann‹-Vorstellung beendete. Was hat sie unternommen? Wen hat sie getroffen? Dazu wollen wir möglichst viele Beteiligte an der ›Jedermann‹-Produktion befragen. Danke, wenn Sie uns dabei behilflich sind. Ich persönlich werde mich um ein baldiges Gespräch mit der Schwester bemühen. Auch da wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie das für mich arrangieren.«

      Sie versprach es. Dann reichte sie ihm die Hand und ging. Der Polizist an der Absperrung drängte die inzwischen dort versammelten Leute zurück. Merana sah ihr nach, wartete, bis die hoch aufgeschossene Gestalt in der Gasse verschwand.

      »War das nicht die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Festspiele?«

      Braunberger hatte sich neben ihn gestellt.

      »Ja, ich werde Jana Daimond vermutlich bald in ihrem Büro aufsuchen. Sie wird mir alle Daten zu den Ensemble­leuten und den übrigen Beteiligten des gestrigen ›Jedermann‹-Abends aushändigen. Dann hätten wir zumindest schon einmal diese Unterlagen, falls es sich beim Tod der jungen Frau doch um ein Verbrechen handelt.« Der Abteilungsinspektor wies mit der Hand die Treppe hinauf.

      »Lass uns miteinander die Stelle anschauen, an der Isolde Laudess aller Wahrscheinlichkeit nach hinunterstürzte. Thomas Brunner ist schon oben, er wartet auf uns.« Sie stiegen hinauf. Während die hoch aufragenden Häuser an der linken Seite zur Kaigasse gehörten, waren die Gebäude rechterhand eng an den felsigen Hintergrund geschmiegt. Es gab mehrere Hauseingänge. »Nonnbergstiege 10c«, las Merana an einer Stelle. Acht Namensschilder waren auszumachen und ebenso viele Klingelknöpfe. Thomas Brunner wartete an jenem Platz des Aufstiegs, an dem die zurückgewichene linke Häuserfront wieder im rechten Winkel an die Treppe stieß. Merana sah sich prüfend um. Auf der rechten Seite erstreckte sich ein kleiner ansteigender Garten mit einer kurzen, sehr niedrigen Begrenzungsmauer. Obwohl nur wenig Sonnenlicht in die schmale Stiegengasse fiel, gediehen hier offenbar dennoch einige Blumen und niedriges Gewächs. »Na, wer sagt’s denn«, rief der Abteilungsinspektor. »Hier gibt es sogar Gartenzwerge.« Er korrigierte sich im nächsten Moment. »Nein, das sind wohl doch keine Gartenzwerge. Schaut eher aus wie eine Ansammlung von Märchenfiguren.« Hinter dem schmalen, niedrigen Mäuerchen, das den steil ansteigenden Garten zur Stiege hin abgrenzte, waren etliche Figuren auszumachen. Sie dürften wohl rund 40 Zentimeter groß sein, schätzte Merana. Und sahen tatsächlich aus, als kämen sie aus irgendeinem Märchenbuch. Bei der schon leicht ramponierten bläulichen Katzenskulptur dürfte es sich wohl um den Gestiefelten Kater handeln, vermutete er. Weiters sah er zwei dickliche Zwerge, einen Prinz, der sich auf sein Schwert stützte, und einen Esel, dem ein Ohr fehlte. Zwischen beiden war eine Frauenskulptur zu erkennen. Das mochte vielleicht Schneewittchen sein. Rechts neben dem angeknacksten Esel lungerte ein flammenspeiender Lindwurm. Wahrlich ein putziger Anblick, der sich ihnen hier bot. Aber was Merana weit mehr faszinierte, war das Bild, das sich ihm in der Entfernung weit oberhalb des Gartens bot. Ein Stück helle Mauer leuchtete im Sonnenlicht.

      Ein Teil der Festung war auszumachen. Er entsann sich. Er hatte auch mit der Großmutter an eben dieser Stelle während ihres Aufstiegs verweilt. Sie hatte ihn auf den bemerkenswerten Ausblick aufmerksam gemacht, auf die Festungsmauer und auf einen der Türme. Das Gärtchen hatte es vermutlich auch vor einem Monat an dieser Stelle schon gegeben. Es war ihm gewiss entfallen. An irgendwelche Märchenskulpturen konnte er sich überhaupt nicht erinnern.

      »Also Martin, Eleonore hat es dir ja schon angedeutet. Unsere bisherige Untersuchung des Geländes führt zu dem Schluss, dass die junge Frau an genau dieser Stelle in die Tiefe stürzte.«

      Merana wandte sich vom Anblick des Gärtchens und der Festung ab. Thomas Brunner wies auf die entsprechende Stelle an der Treppenabgrenzung. Merana trat an das niedrige Geländer, blickte hinunter.

      »Sie war wohl auf dem Heimweg«, fügte der Abteilungsinspektor hinzu. »Sie wohnte nicht weit von hier entfernt in der alten Nonntaler Hauptstraße.«

      »Welche Hausnummer?«

      Meranas Frage bot dem Abteilungsinspektor wieder Gelegenheit, das legendäre Notizbuch zu zücken. Er blätterte darin.

      »13B.«

      Merana stutzte. »13B? Wenn ich das recht im Kopf habe, dann muss das am Anfang der Nonntaler Hauptstraße liegen.«

      Braunberger nickte. »Du hast recht. Meines Wissens liegt das nicht weit entfernt vom Rösthaus und Café ›220 Grad‹.«

      Merana fixierte seinen Kollegen, schüttelte irritiert den Kopf. »Also Otmar, das verblüfft mich jetzt.« Er wies mit der Hand hinab bis zum Anfang der steinernen Stiege.

      »Warum ist sie nicht unten geblieben? Da wären es für sie nur noch wenige Meter in der Kaigasse gewesen. Dann hätte sie schnell den Kajetanerplatz überquert, hätte sich nach der Schanzlgasse gleich rechts gehalten und wäre im Handumdrehen zu Hause gewesen. Dieser Weg wäre bedeutend kürzer. Gar kein Vergleich zu der eher mühsamen Strecke über die Nonnbergstiege, immer am Berg entlang, vorbei am Kloster. Es dauert schon ein wenig, bis man weit hinter der Erhardkirche wieder hinunterkommt. Warum hat sie diesen Weg gewählt? War sie vielleicht doch nicht auf dem Weg zu ihrer Wohnung?«

      Er schaute auf seine beiden Kollegen.

      »Gute Frage, Herr Kommissar«, entgegnete Braunberger und steckte das Notizbuch zurück. »Vielleicht sollten wir den Esel fragen. Aber ich weiß nicht, ob der uns überhaupt versteht. Immerhin hat er nur ein Ohr.« Sein Lachen erinnerte ein wenig an das kehlige Gemecker eines Ziegenbocks, während er der beschädigten Grautierstatue einen Klaps versetzte.

      3

      Auch drei Stunden später war das meiste noch weitgehend unklar. Nur auf eine der aufgetauchten Fragen sollte der Kommissar eine einigermaßen einleuchtende Antwort erhalten. Warum Isolde Laudess nicht den wesentlich kürzeren Weg über den Kaigassenausgang, sondern die viel weitere Strecke über die Nonnbergstiege gewählt hatte.

      Der Kommissar hatte Jana Daimond wie vereinbart in deren Büro aufgesucht. Er hatte ihr mehrmals bestätigt, die sensiblen Angaben vor allem zu den großen Stars der Festspielproduktion absolut vertraulich zu behandeln. Er würde nur Auszüge davon an seine vertrautesten Mitarbeiter weiterreichen, damit sie mit den Befragungen beginnen könnten. Die Öffentlichkeitschefin hatte auch arrangiert, dass er mit Senta Laudess reden könnte. Sie würde ihn um zwölf Uhr in ihrem Appartement erwarten.

      »Frau Laudess wohnt nicht im Hotel?«

      »Nein, einigen unserer Künstler ist es angenehmer, während ihres Salzburg-Aufenthaltes eine für sie bereitgestellte Wohnung zu beziehen als im Hotel zu bleiben. Wir versuchen natürlich, diesen Wünschen entgegenzukommen, so gut es geht.«

      Bevor er erneut ins Kaiviertel aufbrach, wo die angegebene Wohnung lag, wollte er noch schnell Halt am Alten Markt machen. Er hatte es nicht anders erwartet. Das prächtige Wetter war zu verlockend. Das Café Tomaselli samt Terrasse und gegenüberliegendem Garten war bis auf den letzten Platz gefüllt. Nicht besser sah es beim Café Fürst aus. Auch hier waren alle Tische auf dem Platz vor dem Lokal belegt. Doch dann bemerkte er, dass eine Gruppe von drei Leuten eben die Rechnung bezahlte und sich erhob. Er trat schnell heran und ergatterte den Platz. Er bestellte sich einen großen Schwarzen und einen Apfelstrudel. Er war seit fünf Uhr auf und hatte bis jetzt nur einen Haferflockenriegel zu sich genommen. Die Kellnerin war rasch zurück, stellte ihm das Gewünschte hin. Er nahm die Gabel, kostete ein Stück von der Mehlspeise. Köstlich. Er hatte es nicht anders erwartet. Er nahm das nächste Stück, schloss kurz die Augen, um jeden Bissen noch intensiver zu genießen. So viel Zeit musste sein, beschloss er. Erst sich den verdienten Genuss gönnen, dann weiter mit der Arbeit. Nichtsdestotrotz blieb doch noch ein Stück des Strudels auf dem Teller, als er bereits nach dem Handy griff. Er wollte