Günther Thömmes

Das Erbe des Bierzauberers


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      Michel wurde noch in der Nacht abgeholt und gleich am nächsten Tag begraben.

      Der Gast, der Interesse an Michels Gerätschaften und Fahrzeug angemeldet hatte, wollte am Tag wiederkommen. Georg sagte zu, aber ohne wirklich zu verstehen, was vor sich ging. Der Wirt versprach Georg, ihm bei der Verhandlung zu helfen, wobei sich Georg eindringlich an Michels Angst erinnerte, ›behumst‹ zu werden.

      Natürlich ließ sich der Wirt seine Hilfe teuer bezahlen, dennoch war der Preis, den er für Georg dann aushandelte, gut genug, um diesem eine prall gefüllte Geldkatze zu übergeben.

      Viel Geld für einen zehnjährigen Jungen …

      »Was wirst du jetzt machen, so ganz allein?« Ob der Wirt dies wirklich wissen oder nur höflich zu dem Trauernden sein wollte, konnte Georg nicht ausmachen.

      Georg wusste ebenfalls nicht, ob der Wirt ihn als Waise melden musste, daher sagte er vorsichtshalber schnell:

      »Ich weiß nicht, meint Ihr, ich kann eine Weile hier in der Stadt bleiben? Später gehe ich zurück nach Reutlingen. Da wohnt eine Tante von mir.«

      Das war gleichwohl das Letzte, was er vorhatte.

      Der Wirt durchschaute ihn gleich, grinste nur und sagte:

      »Sicher, in der Stadt findest du immer Arbeit. Pass nur auf deine Geldkatze auf und lass sie dir nicht stehlen. Du kannst dir aber auf jeden Fall erst einmal leisten, ein paar Tage hier wohnen zu bleiben, bis du etwas anderes gefunden hast.«

      Obwohl Georg wenig Vertrauen in den Wirt hatte, viele Möglichkeiten blieben ihm nicht. Immerhin hatte ihn der Wirt nicht bestohlen.

      Er versteckte das Geld an einem sicheren Ort und machte sich daran, Straßburg zu erkunden.

      Erst Tage danach, als sich seine Trauer um Michels Tod bereits gelegt hatte, bemerkte er, dass er gar nicht erfahren hatte, welches Bier nach Michels Meinung denn die Krone verdient hätte. Daher beschloss er, es für sich selbst herauszufinden.

      »An dem Trank muss ja etwas dran sein, wenn sich Menschen deswegen totstechen«, dachte er für sich.

      Als Georg ein paar Tage später in Fischers Brauhaus zur Tür eintrat, war Daniel gerade damit beschäftigt, die atemberaubendste Frau, die seit langer Zeit bei ihm zu Gast gewesen war, zu überreden, das Nachtlager mit ihm zu teilen. Groß, schlank, mit langen schwarzen Haaren wie eine Zigeunerin, lehnte sie an der Theke, die dunklen Augen voller Glut, die ihn beinahe so faszinierten wie ihre vollen Brüste, die frivol unter ihrem knappen Kleid hin und her hüpften.

      Sein Gast, Sonja hieß sie, war auf der Durchreise und während des Abendessens mit anschließender Zecherei in einen heftigen Streit mit ihrem Reisebegleiter, Verlobten oder Beschützer geraten; Daniel konnte dessen wirkliche Bedeutung nur raten; der Streit war in einer fremden Sprache ausgetragen worden, die Daniel lediglich als osteuropäisch erkannt hatte, mehr aber nicht.

      Auf jeden Fall war der Mann wutentbrannt hinausgestürmt, nicht ohne der guten Ordnung halber ein paar Münzen »für den Fraß und das Gesöff« auf den Tisch zu werfen.

      Den Umstand, dass diese Münzen weder für die Zeche noch für ein Nachtquartier ausreichten, versuchte Daniel sich gerade zunutze zu machen, als jemand ihn am Ärmel zupfte.

      »Kann es sein, dass Ihr einen Brauburschen sucht?« fragte Georg forsch.

      »Schleich dich, siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin, oder magst du dir eine Backpfeife einfangen?«

      Daniels schroffe Art hatte wieder einmal die übliche abschreckende Wirkung auf die Weiblichkeit. Das Gesicht der Frau erstarrte. Weil Fischer diesmal aber wirklich Feuer gefangen und schon seit längerer Zeit allein geschlafen hatte, änderte er seine Strategie, sobald er die Veränderung bei Sonja bemerkt hatte. Diese hatte Georg über den Kopf gestreichelt, also entgegnete Daniel etwas freundlicher:

      »Woher weißt du das? Ich suche tatsächlich einen Burschen. Setz dich da rüber.«

      Er zeigte auf einen leeren Platz.

      »Lass dir etwas zu essen und zu trinken geben. Du kannst neben der Feuerstelle schlafen, wenn du sonst keinen Platz hast. Morgen reden wir weiter.«

      Georg nickte und grinste, obwohl er im ›Schwarzen Schwan‹ übernachten könnte.

      Die Frau aus dem Osten feixte ihm zu.

      Daniel winkte Georg davon.

      »Gute Nacht, lass uns jetzt in Ruhe.«

      Georg bekam Suppe und Bier, Fafnir etwas Wasser. Er hatte mit Michel mehrmals Bier getrunken, so wusste er, dass zwei Krüge für guten Schlaf sorgten, ihm von mehr jedoch schlecht wurde.

      Während er seinen zweiten Krug vor sich hatte, bemerkte er, dass Daniel seine glutäugige Osteuropäerin unverhohlen und mit ihrer Billigung tätschelte und sie bald darauf die Stiege hinaufschickte.

      Ausnahmsweise war er einmal nicht der Letzte, der seine Schankstube verließ.

      Das überließ er diesmal Adelheid, der guten Seele seines Brauhauses. Adelheid, die auch Georg verköstigt hatte, ohne Fragen zu stellen – sie war es gewohnt, dass Daniels Burschen abends neu eingestellt wurden –, war der einzige Mensch, gegen den Daniel Fischer niemals die Hand erhoben hätte.

      Was aber auch daran lag, dass sie Daniels Mutter war.

      Bertram

      Nachdem er sich von Georg und Michel getrennt hatte, wanderte Bertram langsam, so gut es seine geschundenen Gliedmaßen zuließen, rheinabwärts.

      Er wusste nicht, wo es hinging, niemals zuvor hatte er Straßburg verlassen. Aufgewachsen als Sohn eines einfachen, armen Kesselflickers, hatte er sich immer mit Gelegenheitsarbeiten am Leben gehalten. Die Arbeit bei Daniel Fischer war seine erste längerfristige Arbeit gewesen, beinahe ein Jahr lang hatte er es dort ausgehalten.

      Der regelmäßige, wenn auch karge Lohn war ihm wichtiger gewesen als die ebenso regelmäßigen Schläge, besonders, als kurz nacheinander beide Eltern gestorben waren.

      Jetzt hielt ihn nichts mehr in Straßburg, er wollte nur noch fort und Neues kennenlernen. Aber während er so dahinwanderte, begann er Daniel Fischer zu vermissen. Nein, nicht so sehr Daniel, den wollte er sein Lebtag nicht mehr wiedersehen, sondern dessen legendäre Biersuppe. Und je mehr der Hunger in seinen Eingeweiden wütete, desto mehr war Bertram sicher, dass diese Biersuppe das leckerste, köstlichste und wunderbarste Gericht war, das er jemals gegessen hatte.

      Jeden Morgen vor Arbeitsbeginn hatte als Frühstück ein Topf davon über dem Feuer gehangen.

      Nun sehnte er sich so danach, dass er gerne ein paar Schläge dafür in Kauf genommen hätte.

      »Einen Esel muss man ja auch antreiben«, entschuldigte er sogar vor sich selber Daniels regelmäßige Unbeherrschtheiten.

      Im nächsten Ort erbettelte er sich etwas zu essen, er hatte fast kein Geld, Fischers Lohn hatte nicht ausgereicht, um etwas zurückzubehalten. Die wenigen Pfennige, die er bei sich trug, hütete er daher wie einen Schatz.

      Langsam verheilten seine Wunden, und er kam schneller voran, je besser er genas. Bei Worms lernte er während einer Rast einen kleinen, aber sehr muskulösen Mann kennen, der sich ihm als Emmerich vorstellte und der eine Reisegruppe anführte. Emmerich hatte sogleich erkannt, dass Bertram allein und ziellos unterwegs war, und fragte ihn, ob er mit ihnen reisen wolle. Bertram hatte kein Geld, aber Emmerich bot ihm sogar einen kleinen Lohn an, wenn er als Hilfe beim Tragen und zum Schutz bei Überfällen mitreiste.

      »Kannst du mit Waffen umgehen? Du siehst jung, kräftig und geschickt aus. Je zahlreicher wir sind, desto sicherer sind wir vor Überfällen.«

      Bertram bejahte und fragte:

      »Wohin geht denn die Reise?«

      »Wir